Interessanterweise erlebten alle Patriarchen ähnliche Gottesbegegnungen, d. h. sie lernten alle Gott kennen, nicht nur als den Retter und Beistand, sondern auch als den Heiligen, der zu lieben, aber auch zu fürchten ist: Abraham (Gen 22 Forderung des Sohnes), Isaak (Gen 31,42 Jahwe ist „der Schrecken Isaaks“), Jakob (Gen 32,23 Kampf am Jabbok). Auch Mose musste erkennen, dass er sich Gott noch nicht ganz ausgeliefert hatte, indem er das Beschneidungsgebot missachtete. Gott greift nun ein, um dieser „lebenswichtigen Forderung“ (Gen 17,14) wieder Geltung zu verschaffen. Mose hatte dies bei seinem Sohn unterlassen. Zippora erkennt die Ursache und tut, was Mose hätte tun sollen und bringt ihren Mann mit dem Blut der Beschneidung in Verbindung. „Blutbräutigam“ nennt sie Mose, weil er ihr durch diese Beschneidung (V. 26) neu geschenkt wurde. Mose lernt zudem, dass der Mensch Schutz braucht – nicht vor dem Zorn des Pharao, sondern vor dem Zorn Gottes – und dass Gott in seinem Gnadenbund und in der Beachtung seiner Gebote diesen Schutz gewährt.29 Martin Buber wählte für dieses Kapitel in seiner Monografie den Titel „Göttliche Dämonie“ und erklärte: „Es gehört zum Urwesen dieses Gottes, dass er den, den er erwählte, auch restlos einfordert“.30
Gott „schlägt“ die Erstgeburt Ägyptens (Ex 12,12.23.29). Er gebietet den Völkermord in Kanaan!31 Und was ist das für ein Gott, der das Opfer eines geliebten Kindes fordert? In seiner Deutung der Bindung Isaaks in Gen 22 zieht der Münsteraner Alttestamentler Johannes Schnocks unter anderem folgenden Schluss (Hervorhebung von mir):
Einerseits ist dieser Gott nicht harmlos. Er ist durchaus bereit, wie in Gen 20,3 eine Todesdrohung gegen Abimelech auszusprechen, wie in Gen 20,17 eine Unfruchtbarkeit über das Haus Abimelech zu verhängen oder Abraham wie in Gen 21,12f zu einem Verhalten zu raten, das zunächst Ismaels Überleben gefährdet. Andererseits offenbart er sich dem Abimelech und zeigt Lösungswege auf, damit die Todesdrohung nicht Wirklichkeit wird. Er rettet Hagar und Ismael und macht ihn zum Stammvater … eines großen Volkes. Dieser Gott ist ein souveräner Herr über Leben und Tod, aber das Leben hat in diesen Erzählungen immer das letzte Wort.32
Weit entfernt davon, dass Gen 22 Gewalt in religiöser Pflichterfüllung verherrlicht, muss man den Text als „Denkmodell für das Vertrauen auf Gott in einer existenziellen Krise schlechthin“ verstehen.33 Das Entscheidende in Abrahams Erprobung ist nicht einfach blinder Gehorsam, sondern das bedingungslose Vertrauen in einen Gott, dessen Verhalten bisweilen auch rätselhaft und dunkel sein kann, ein Gott, der sich auch dem Beter mitunter als „verborgener Gott“ präsentiert34. Es geht um Beziehung zu dem, der Herr über Leben und Tod ist. „Darin, dass er angesichts der Verborgenheit Gottes bis zuletzt auf den vertraut hat, der allein retten kann (V.5b.8a), ist Abraham vorbildlich“.35
Und Isaak? In Gen 31,42 lesen wir von Jahwe als den „Gott Abrahams und den Schrecken Isaaks“ (elohej avraham ufachad jizchaq)! Isaak lernt, dass dieser Gott Liebe, Respekt und Gehorsam verdient. Gott „bleibt diesem Sohn ein erhabener ‚Schrecken‘ …“.36
3 Nicht Zorn, sondern Barmherzigkeit!
Nirgendwo sonst begegne dem Leser laut Ralf Miggelbrink gottgewollte und geförderte Gewalt häufiger als in den Büchern Josua und Richter. Miggelbrink versteht freilich die Landnahmeberichte als fiktive, Jahrhunderte später in Zeiten der nationalen Krise erfundene Trostschrift, „die in der exilischen Situation … das exklusive Vertrauen Israels auf Jahwe … propagieren soll“37 Die gegenwärtige Forschung geht mehrheitlich davon aus, dass auch das Kriegsgesetz aus Dtn 20 (das die Vernichtung aller Völker innerhalb des „Gelobten Landes“ fordert, die sich nicht den Israeliten unterwerfen) aus der späteren Königszeit stamme. Die Bücher Josua und Richter seien als Ganzes erst Produkte aus der Zeit des babylonischen Exils. Damit wird die sogenannte Landnahme Josuas pure Erfindung späterer Propaganda. So folgert der Theologe und Publizist Klaus-Stefan Krieger, dass viele gewaltvolle Passagen der Frühzeit Israels nicht historische Fakten wiedergäben, sondern „mitunter sehr phantasievolle Nacherzählung der Vergangenheit seien“.38
So kann man sich der Problematik eines „schlagenden“ Gottes auch entledigen. Anstößige Passagen werden fiktionalisiert und einer viel späteren Zeit zugeordnet. Eine Lösung ist dieser Ansatz keineswegs, denn man ‚rettet‘ den Ruf Gottes auf Kosten seines Wortes!
„Als der wütende Wegbereiter der Landnahme zieht Jahwe seinem Volk voran“.39 Dieser Satz insinuiert, dass der Gott der „Landnahme“ als jähzorniger Rachegott willkürlich Völker dezimiert. Das ergibt ein falsches Bild. Einmal im Hinblick auf die sogenannte Landnahme. Der Konflikt Israels mit den Kanaanäern wird bereits in Gen 9,25 prophetisch angedeutet (Noahs Fluch).40 Während in den Eroberungsberichten in Israels Umwelt, etwa Assur oder Moab, Brutalität verherrlicht wird, „betont das Buch Josua den Gehorsam gegenüber Jahwe“.41 Andere Nationen vergrößerten ihr Herrschaftsgebiet, Israel suchte eine Heimstätte, das Land, das Gott verheißen hatte (Gen 12,7; 15,18–21; usf.). Gott ist der Handelnde (es geht eigentlich im Buch Josua nicht um „Landnahme“, sondern um „Landgabe“): Israel hat das Land von Jahwe als „Erbbesitz“ und „Heilsgabe“ (Volkmar Fritz) erhalten (vgl. Dtn 12,10; 19,10ff; 20,16; 21,23; 24,4; 25,19).
Die Landgabe im Josuabuch hat somit eine heilsgeschichtliche Bedeutung, insofern sie Israel in den Besitz des verheißenen Landes bringt. Die vollständige Eroberung blieb ein Ideal, das faktisch nie erreicht wurde (Jos 13,1–6; 15,63; 17,12; Ri 1,19–34).42 Erst im messianischen Zeitalter werden die Grenzen des Landes überdimensional, bis schließlich dem Jerusalemer Herrscher, dem Gesalbten, „alle Nationen dienen“ (Ps 72,8–11)! Übrigens: Alle anfänglichen Aggressionen gingen nicht von Israel, sondern von verschiedenen Gruppen aus (Amalekiter: Ex 17,8–13; Arad: Num 21,1; Amoriter: Num 21,21–26; Baschan: Num 21,33–35; Balak/Moab: Num 22–24). Die Bibel selbst begründet die Vertreibung der Bewohner Kanaans mit dem Hinweis auf die „Heiligkeit“ des Gottesvolkes und der Abwehr des Götzenkults (Dtn 7,4–6; 20,18 damit sie euch nicht lehren, nach all ihren Greueln zu tun, die sie ihren Göttern getan haben, und ihr so gegen Jahwe, euren Gott, sündigt). Die Anweisungen zum Jahwekrieg erfolgen unmittelbar nach der Gesetzgebung, keine anderen Götter zu haben (Dtn 5,7–10; 6,4–5; 13,15). Letztlich geht es um Heiligung und Rettung.
Die Landgabe muss auch unter dem Aspekt des Gerichts gesehen werden, als Strafe für die überwältigende Bosheit der ursprünglichen Bewohner (Gen 15,16; Ex 34,13–16; Lev 18,25; Dtn 9,5; 20,18 u. a. m.). David Lamb, Professor für Altes Testament in Hatfield, Pennsylvania, geht sogar so weit, hier ein Beispiel für Gottes langmütigen Charakter zu sehen. Schon in Gen 15,16 wurde festgestellt, dass „das Maß der Schuld“ der Bewohner Kanaans „noch nicht voll war“. Obwohl sie schon Jahrhunderte früher Strafe verdient hätten, wartete Gott, der „langsam zum Zorn“ ist, ab und ließ den Menschen Zeit zur Umkehr.43 Dies führt uns zum zweiten Einwand hinsichtlich des Zornes Gottes.
In den ersten Kapiteln der Bibel, im Buch Genesis wird nirgends vom Zorn Gottes geredet, doch das ändert sich sehr deutlich im restlichen AT (auch im Neuen Testament gehört die Warnung vor Gottes Zorn (Joh 3, 36; Röm 1,18; 12, 19; Eph 5,6) zu den Glaubensinhalten. Das Jüngste Gericht wird unter anderem als „Tag des Zorns“ (Röm 2,5) beschrieben. Der Offenbarung des Johannes zufolge steht eine letzte Stunde großen Zornes Gottes noch aus (Offb 14,19; 19,15).
Das Widerstreben gegen Gottes Führung, die Mißachtung seiner Gebote, der Abfall zu anderen Göttern führt den Z[orn] G[ottes] gegen sein Volk herauf (Num 11, 1; 12, 9; Dtn 1, 34 ff.; 32,16; Ri 2, 13 ff.; Ex 32; 1Sam 15) … Trotzdem tritt der Z. nie als gleichberechtigter Wesenszug Gottes neben Heiligkeit, Liebe und Macht. Die Gewißheit, daß das Erbarmen immer wieder über den Z. hinweggreift (Ex 20, 5 f.; 2Sam 12, 13; 24, 16; Jes 40, 2; 51, 22), … daß Jahwe nicht nachträgt (Jes 57, 16; Mi 7, 18; Ps 103,8 ff.), sondern in Langmut zuwartet und warnt (Ex 34, 6 f.; Num 14, 18; Jes 48, 1), vor allem aber die Ausblicke auf eine die Zeit des Z.es abschließende Heilszeit lassen die Begrenztheit des Z.es gegenüber dem göttlichen Heilswillen stärker hervortreten und bahnen den Weg zu einer Heilsgewißheit, die den Z. als das Mittel zur Heilsbeschaffung positiv zu würdigen wagt.44
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