Dasselbe Gefühl löste jetzt Marius’ Blick im Schein von Drusus’ Scheiterhaufen in mir aus.
»Selbstverständlich kannst du mir vertrauen«, sagte ich.
»In einem Stall vor dem Capena-Tor steht ein Pferd für dich bereit. Bei Morgengrauen.«
Er ließ die Hülle los, drehte sich um und verschwand.
Mamercus näherte sich: »Glaubt er immer noch, dass ich Drusus ermordet habe?«
»Der General ist von Natur aus misstrauisch.«
»Warte, bis du hörst, was Claudianus zu erzählen hat. Komm m-mit zurück zur Sänfte.«
Wir stiegen ein und zogen den Vorhang zu. Ich ließ Marius’ Lederhülle unter den Sitz gleiten.
»Du m-musst bei ihm vorsichtig sein. Claudianus’ Eltern starben, als er ganz klein war. Ich habe m-mich um ihn gekümmert, seitdem m-mein Bruder Volkstribun geworden war.«
»Das hättest du doch nicht tun müssen?«
»Das war der Einfall m-meiner Frau. Da kommt er.«
Drusus’ Sklaven trugen uns an den Kindern vorbei. Als Claudianus die Sänfte entdeckte, lief er zu ihr hin, kletterte zu uns hinein und setzte sich. Er hatte dunkles, gelocktes Haar und eine gesunde, olivfarbene Haut.
»Das hier ist Demetrios, von dem ich dir erzählt habe«, sagte Mamercus. »Er wird dir gewiss ein paar Fragen stellen. Antworte ihm so gut, wie du nur kannst.«
Mamercus klopfte gegen die Wand, woraufhin die Sänfte sich in Bewegung setzte. Der Junge musterte mich. In seinem jungen Leben hatte er bereits einige Enttäuschungen erlebt. Er hatte nicht im Sinn, jedem zu trauen.
»Ich weiß, dass du neulich bei deinem Vater zum Abendessen warst«, erwähnte ich.
»Mein Vater starb vor vielen Jahren.«
»Drusus adoptierte dich«, führte ich an. »Er war dein neuer Vater.« Seine dunklen Augen saugten sich an mir fest.
»Das war nur, um einen Erben zu bekommen«, erwiderte der Junge, »damit die Kinder seiner Schwester nicht alles erben würden. Er konnte die freche Brut nicht ausstehen. Sie hänselten mich immer …« Der Junge unterbrach sich selbst und schaute auf den Boden hinunter. »Warum?«
»Weil ich ein Claudius bin.«
Die Claudianer waren vor mehr als 500 Jahren aus Sabii nach Rom gekommen. Die Servilianer sind indes schon immer Römer gewesen. Unter den Claudianern hatte es Landesverräter gegeben, während die Servilianer immer auf dem Weg der Tugend gewandelt waren – bis zu Servilias Großvater.
»Also deshalb lebst du nun bei deinem Onkel Mamercus?«
»Er ist nicht mein richtiger Onkel. Er ist mit meiner Schwester verheiratet. Sie sind die Einzigen, die gut zu mir sind. Ich wünschte, sie hätten mich adoptiert.«
Der Junge drückte sich an Mamercus, als ob er versuchen würde, zwischen den Falten der Toga zu verschwinden.
Das war ein anderer Junge als derjenige, den ich kürzlich getroffen hatte.
Mamercus bat ihn, zu erzählen, was nach dem Essen bei Drusus am Abend vor dem Mord geschehen war. Seine Stimme hatte einen warmen Ton, den ich noch nie zuvor an ihm bemerkt hatte.
»Nachdem Onkel Mamercus gegangen war, wurde ich ins Bett geschickt. Aber ihre Stimmen ließen mich wachbleiben. Die des Senatsvorsitzenden, Crassus Orators und die von General Marius. Und selbstverständlich die von Onkel Drusus. Sie gingen in sein Tablinum. Dort gibt es einen Lüftungsschacht, der von unten her durch mein Schlafzimmer verläuft.«
»Worüber redeten sie?«
»Das hörte ich nicht. Ich hoffte nur, dass sie bald ruhig sein würden, damit ich einschlafen konnte. Irgendwann unterbrach sie unser Pförtner Petronius, weil noch ein Gast gekommen war. Ich hörte Drusus sagen: ›Lass den Betreffenden im Atrium warten‹. Kurz danach musste ich pinkeln, deshalb ging ich hinunter. Da sah ich, dass der Gast nicht im Atrium wartete, sondern an der Tür des Arbeitszimmers stand und lauschte. Sie redeten da drinnen immer noch laut miteinander. Sie muss sie gehört haben.«
»Sie?«
»Ja, es war eine Frau. Ich ging, wie gesagt, hinunter, um zu pinkeln, und während ich dort stand, gingen die anderen Gäste allmählich. Als ich zurückkam, waren die Frau und Drusus ins Tablinum gegangen.« »Was haben sie miteinander gesprochen?«
»Sie redeten nicht. Sie vögelten.«
»Die Frau beugte sich über den Tisch. Drusus stand hinter ihr. Er hatte ihre Stola ganz nach oben geschoben, damit er besser …«
Ich unterbrach den Jungen und bat ihn zu erzählen, was danach geschehen war.
»Die Frau reichte Drusus einen Becher Wein. Er trank ihn, während er seine Kleidung in Ordnung brachte. Ich ging dann nach oben, um zu schlafen.«
»Kanntest du sie?«
»Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Sie trug einen gelben Schleier und einen Umhang. Ihre Stola war auch gelb. Die Frau war gelb wie eine Butterblume.«
Ich lehnte mich gegen die Rückwand der Sänfte. Der Pförtner Petronius hatte natürlich die Geliebte von Drusus gekannt. Er dürfte sie schon bei anderen Gelegenheiten hereingelassen haben.
»Ich war ebenso verblüfft wie du, als ich das gehört habe«, sagte Mamercus. »Drusus hatte keine Zeit für Frauen. Politik war sein ganzes L-Leben.«
Im Halbdunkel der Sänfte schaukelten wir weiter, bis wir die Bronzetür von Drusus’ Haus in ihrer Verankerung quietschen hörten. Ich stieg aus und untersuchte die Räume um das Atrium herum. Es waren alles Vorrats- und Lagerräume. Die Sklaven schliefen im Untergeschoss, die Familie im ersten Stock. Offenbar hatte nur Claudianus die Frau in Gelb gesehen.
Kurze Zeit später kehrte Aemilia mit den Sklaven und den übrigen Kindern nach Hause zurück.
Das graugeschminkte Gesicht von Servilia leuchtete wie eine Sonne auf, als sie mich erblickte. Ich war gleichzeitig stolz und beunruhigt darüber, dass mein Erscheinen solch eine große Freude auslöste.
»Salve, Demetrios.«
Sie spielte mit einem Büschel ihres ungekämmten Haares. »Ich habe dich auf dem Forum gesehen. Du hast mit meinem Vater gesprochen. Ich hoffe, ihm geht es gut.«
»Er war ein wenig traurig wegen der Grabrede, aber ansonsten in guter Verfassung. Leider wurde unser Gespräch unterbrochen. Doch ich soll dich von ihm grüßen.«
»Danke. Ich hoffe, ich werde meinen Vater künftig häufiger sehen. Und dich, Demetrios.«
»Servilia, geh nach oben und entferne die Schminke.«
Aemilia riss sich die kastanienbraune Perücke herunter und fuhr mit ihrer Hand durch das weißgelbe, kurze Haar. Sie schaute zu mir und dann zu Servilia, die sich auf der Treppe umdrehte und winkte.
»Also du und Servilia kennt euch, Demetrios?«
»Wir begegneten uns vor einigen Tagen«, entgegnete ich. »Sie empfand eine gewisse Sympathie für mich. Servilia ist eine außergewöhnliche junge Frau.«
»Ach ja, ist sie das? Ich habe leider nicht so viel von ihr und ihren Geschwistern mitbekommen, so wie ich es mir gewünscht hätte. Dazu werde ich jetzt Gelegenheit erhalten. Ich ziehe hier auf den Palatin. Sobald das Begräbnisfest zu Ende ist, gehe ich nach Hause und packe meine Sachen. Ich werde hier wohnen bleiben, bis die Jungen alt genug sind, damit Scaurus ihnen das Erbe ausbezahlen kann. Und bis die Mädchen verheiratet sind.«
Ich überhörte die letzte Bemerkung und fragte nach, was der Senatsvorsitzende mit dem Erbe zu tun habe. Es zeigte sich, dass Drusus in seinem Testament Scaurus als Exekutor des Nachlasses bestimmt hatte.
»Ich dachte, der nächste männliche Verwandte von Drusus würde die Pflichten eines Exekutors übernehmen.«
Aemilia betrachtete ihren Sohn.
»Mamercus’ einzige Pflicht ist es, einen Hauslehrer für die Kinder zu suchen. Juristisch hat er nichts mit der Liviusfamilie zu tun. Das hast du streng genommen auch nicht. Nicht wahr, Demetrios?«
Sie hob ihr Kinn und betrachtete mich von oben bis unten. Doch es hinterließ einen anderen Eindruck bei mir als damals, als ihre Enkelkinder dasselbe versucht hatten.
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