In einem kühlen Tonfall merkte der Konsul an, dass es keinen Grund gebe, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und dass Caepio klüger gehandelt hätte, wenn er seine Meinung für sich behalten hätte. Sein Respekt für ihre politischen Verbündeten sei zu leicht zu durchschauen. Jetzt müsse man vernünftig handeln.
»Wir sollten ins Exil gehen«, fuhr Caepio fort. »Diese Rede war ein Todesurteil für Drusus’ politische Gegner.«
»Die Erinnerung des Volkes währt nicht lange«, entgegnete der Konsul. »In einem Monat ist alles vergessen.«
Hinter uns räusperte sich jemand. Das Geräusch hallte durch den hohen Gang.
»Salve, Varius.« Mamercus versuchte nicht, seine Abscheu vor dem sehnigen, kleinen Mann zu verbergen, der uns von der Türöffnung des Gebäudes aus beobachtete. »Wie gefiel dir die Trauerrede? Gab es für deinen jämmerlichen Geschmack genug Blut und Verwünschungen?«
Ich begriff, weshalb Mamercus den Handlanger des Konsuls ein Wiesel genannt hatte. Sein spitzes Gesicht, die schmalen Augen und die großen Schneidezähne trugen zu dieser unheimlichen Ähnlichkeit des Mannes mit dem kleinen Raubtier bei. Unter seiner Tunika zeichneten sich die Umrisse eines Messerschafts ab.
»Sie ist kraftvoll wie alle prächtigen Reden.«
Varius’ Stimme war trocken wie Sand, und sein Akzent war mächtig wie ein iberischer Schinken.
»Es heißt, sie war «, berichtigte ihn Mamercus. »Die Rede war kraftvoll, Varius.«
Man musste Varius seine unsichere Verwendung der Grammatik verzeihen. Als gebürtiger Spanier war er schließlich mit einer Sprache aufgewachsen, die nicht zwischen Gegenwart und Vergangenheit unterschied.
»Mamercus.« Konsul Philippus stand in der Türöffnung des Konsulariums. »Wer ist der Mann, den du da mitgebracht hast?«
Caepio zwängte sich an dem Konsul vorbei, um rasch Eindruck zu schinden.
»Das ist der Arzt, der Drusus’ Tod feststellte. Er weiß etwas, was wir gegen Crassus Orator verwenden können. Drusus sprach nämlich keine letzten Worte. Er starb, ohne sein Bewusstsein wiedererlangt zu haben.«
»Dann lügt Crassus Orator vom Rostrum herab?«, fragte Varius. Die schmalen Augen des Spaniers hefteten sich auf mich. »Das wundert mich nicht. Die Frage ist nur, ob man das verwenden kann.«
»Es würde mich außerordentlich freuen«, warf ich ein, »wenn meine Zeugenaussage solch vornehmen Herren von Nutzen wäre. Ich wiederhole sie gern vor jedem, der sich herablässt, einer unbedeutenden Person wie mir zuzuhören.«
Alle warteten auf eine Reaktion des Konsuls. Die blieb allerdings aus. »Es muss für die Herren eine große Erleichterung sein, dass Drusus tot ist«, fuhr ich fort, »dieser furchtbare Unruhestifter.«
»Crassus Orator wird im Januar Volkstribun«, erwähnte Caepio.
»Ja, dann haben wir wieder Scherereien«, unterbrach ihn Varius. »Der Orator wird Drusus’ Vorhaben für die Italer weiterführen. Gewiss mit noch größerer Überzeugung.«
Die Machtverhältnisse zwischen dem kleinen Fremdling und dem römischen Adligen hätten zu Caepios klarem Vorteil ausfallen müssen. Aber die Art und Weise, wie er vor dem Blick des Spaniers zurückwich, zeugten vom Gegenteil.
»Ich verstehe den Widerwillen der Herren, dass die Italer römische Bürger werden«, schmeichelte ich mich ein. »Es wäre schlimm, wenn irgendwelche Barbaren vornehmen Patriziern ebenbürtig wären.«
»Schlimm?« Endlich reagierte der Konsul. Dies war eine Angelegenheit, die er als zu bedeutsam erachtete. »Schlimm ist nicht das passende Wort. Rom hält jedes Jahr Wahlen für alle Ämter der Republik ab. Stell dir den Wirbel vor, wenn sich eine Völkerwanderung von Italern jeden Sommer in die Stadt begibt, um abzustimmen. Und wenn es ihnen einfällt, ihre eigenen Kandidaten aufzustellen?«
Ich lächelte unsicher. Caepio war ebenfalls verwirrt.
»Die Römer könnten vollkommen überstimmt werden«, flüsterte Varius ihm zu.
»Du hast das Problem auf den Punkt gebracht. Demokratie ist eine gefährliche Macht. Sie sollte denen vorbehalten sein, die in der Lage sind, sie mit Respekt zu verwalten.«
Plötzlich spürte ich eine schwere Hand auf meiner Schulter. Ich blickte in die wasserblauen Augen von General Marius. Die graue Trauerschminke betonte jede einzelne Falte seines zerfurchten Narbengesichts.
»Dachte ich es mir doch, dass du es warst, den ich hier hereingehen sah, Demetrios. Was ist hier los?«
Caepio schaute von mir zu Marius.
»Ihr beiden kennt euch?«
»Demetrios war mit mir in der Po-Ebene«, erwiderte der General. »Er war mir besser zu Diensten als sonst irgendein Arzt. Bona Dea, dieser Mann ist mein Leibarzt.«
Varius streichelte den Messerschaft unter seiner Tunika.
»Mamercus, weshalb kommst du hier mit einem Griechen angeschlichen, der der Leibarzt einer unserer Feinde ist?«
Marius und ich standen zusammen auf dem überfüllten Forum und sahen, wie Crassus Orator eine Fackel auf Drusus’ Scheiterhaufen warf. Unser Rückzug aus dem Nebengebäude des Senats war unbeholfen gewesen, verlief aber ohne Zwischenfälle. Der Konsul, Caepio und Varius hatten uns schweigend nachgeschaut, während wir in der Menge verschwanden.
»Was hast du mit diesem Mann zu schaffen?«, flüsterte der General mir zu und zeigte auf Mamercus, der sein Gesicht dem Scheiterhaufen zugedreht hatte. Die Flammen loderten zu dem bleigrauen Himmel empor, der so tief hing, dass er die Hausdächer auf den umliegenden Hügeln zu berühren schien.
»Du selbst hast uns einander vorgestellt, General.«
»Aber nicht, damit du dich mit ihm herumdrücken sollst. Und was ist damit?« Er wedelte mit der Lederhülle, die Scaurus’ Angebot an die Marser enthielt. »Sie lag in deinem Zimmer herum. Frei zugänglich. Jeder hätte sie mitnehmen können.«
Ich packte den stabilen Lederköcher. Doch er hielt ihn am anderen Ende fest.
»Demetrios. Ich muss wissen, ob ich mich auf dich verlassen kann.«
Die trüben Augen, die mich hilflos anstarrten, schienen nicht mehr länger die eines machtvollen Heerführers zu sein. Sie gehörten einem alten Mann, dessen Freunde im besten Fall ihre eigenen Interessen verfolgten und unter dessen verbliebenen Verbündeten nun Zweifel aufgetaucht waren.
Den gleichen Ausdruck hatte ich in den Augen gesehen, die aus einem Loch in dem runden Zelt mitten in Marius’ Lager in der Po-Ebene zu mir hinaufstarrten. Um das Zelt herum befand sich ein 50 Fuß breites Niemandsland.
Dieser Bereich war immer schwer bewacht, und stets brannte eine Fackel neben dem Eingang des Zeltes.
Der General hatte mich dort hineingetragen. Als ich mich über die Metallgitter auf dem Boden mit der darunterliegenden engen Zelle beugte, entdeckte ich, wie wertvoll deren Inhalt war.
»Teutonengeisel«, sagte Marius. »Der Anführer der Teutonen.«
Der Mann in dem Loch war nackt, behaart und dreckig.
»Teutonen?«
»Der Vortrupp der Kimbern. Ich habe ihn verhört. Ich weiß jetzt mehr über die Barbaren. Sie haben auf ihrer Völkerwanderung Horden von anderen Stämmen aufgenommen. Deshalb sind sie so viele. Teutonen, Ambronen, Helvetier, Volsker. Das Einzige, was sie vereint, ist der Wunsch, Rom zu plündern.«
Der Mann in der Zelle stöhnte vor Schmerzen. Er hatte keinen Platz, um aufstehen oder sich hinlegen zu können, er konnte sich nur zusammenkauern.
»Seit wann ist er dort drin?«
»Er wurde verwundet und während der Schlacht gefangen genommen. Ich schleifte ihn von Gallien bis hierher mit. Er kann uns noch von Nutzen sein.«
Aus dem leeren Blick des Teutonen kam mir nur noch Hoffnungslosigkeit entgegen.
Ich hätte Freude empfinden sollen. Oder zumindest Schadenfreude. Vielleicht sogar eine gewisse Art von Triumph. Aber alles, was ich fühlte, war Mitleid.
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