Der Flammenring schloß die Fliehenden ein, enger – enger.
Thom hatte bisher verzweifelt nach einem Ausweg gesucht. Jetzt half nur noch kalte Entschlossenheit! Er mußte das Letzte wagen – den Ritt durch die Flammen!
Das Feuer schenkte ihm keine Zeit zum Überlegen mehr. Wo er im Augenblick stand, wuchsen die Domsträucher besonders dicht – draußen auf der freien Meseta mußte der Boden weniger bewachsen sein. Thom riß den Poncho von der Schulter und warf ihn über den Kopf seines Rappen. Nur die Augen des Pferdes ließ er frei und band den Poncho um den Hals zu, damit er nicht fortflog. Er selber wußte sich in seiner Lederkleidung halbwegs geschützt.
Das Pferd ließ mit einem instinkthaften Verstehen alles geschehen. Thom neigte sich auf den Hals des Rappen vor, daß sein Gesicht fast dessen Ohren berührte.
„Huemul, du mußt mich jetzt durchs Feuer tragen!“ raunte er ihm zu. „Spring, Huemul, spring über die Flammen!“
In diesem Augenblick, da sich Mensch und Tier so nahe wie nie gekommen waren, schien der Rappe jedes Wort zu verstehen. In seinen Augen funkelte der Widerschein der Glut, sein ganzer Körper klebte vor Schweiß. Vielleicht war gerade das jetzt günstig.
Thoms Sombrero hing tief über die Augen herab, als sie den Platz unter dem Hügel verließen. Der Rappe stieg zuerst aufbäumend hoch, als er die Richtung erkannte, in die ihn sein Reiter zwang. Er wieherte kurz und wie wimmernd auf, dann schoß er nach vom. Es gab keinen anderen Ausweg mehr. Thom blitzte die Erkenntnis durch den Kopf, daß die Feuerzone nicht tief sein konnte. Wenn es ihm gelang, die Flammen zu überspringen, ohne daß das Roß stürzte, würden sie auch das noch glühende Land dahinter überwinden können. Eine flache Mulde lag vor ihnen, einen niedrigen Hang hinauf – da stand die Feuerwand vor ihnen!
„Sch, Huemul, sch!“ zischte ihm Thom ins Ohr.
Urplötzlich schlug weiße Lohe um sie zusammen. Die Hitze benahm den Atem, die Luft war von einem hohen, tödlichen Sirren erfüllt. Thom hatte die Augen geschlossen und den Arm übers Gesicht gepreßt. Er fühlte unter sich die Bewegung des Pferdes. Es stampfte weiter -weiter.
Blind fuhr Thom mit der Hand über den Poncho. Brannte er, oder glühte er nur so sehr von der Hitze? An seinen Beinen biß die Glut – durch, nur hindurch!
Da Heß die Helle vor den geschlossenen Augen nach.
Thom hob den Kopf von dem schützenden Pferdehals – sie waren hindurch!
Unvermittelt spürten sie wieder den Sturm. Er drückte die Flämmchen des noch immer rot schwelenden Bodens nieder und fachte die Glut der Rasenkrume an, daß die Erde weithin leuchtete.
Doch das hohe, weiße Flammenband lag hinter ihnen!
Sie durften auch hier nicht anhalten. Thom stieg der beißende Geruch verbrannter Haare in die Nase. Er fuhr mit seinen Händen an den Flanken des Rappen auf und ab, um das Glimmen zu ersticken. Er drückte noch immer dem Roß die Sporen kurz und scharf ein, damit es im Galopp blieb. Wenn sie stehenblieben, würde wieder die Glut heraufzischen.
Erst als der Boden sich schwarz verkrustete, ließ er sein Pferd in Trab und Schritt fallen, hielt es schließlich an und sprang aus dem Sattel. Das Fell des Rappen war angesengt, die Flammen hatten die Augenbrauen weggeglüht; nur gegen die harten Hufe hatte das Feuer nichts vermocht.
Sie waren durch das Feuer geritten!
Jetzt lag die Meseta schwarz und leblos vor ihnen. Wo die Flammen erloschen waren, rauchte verbrannter Boden – ein verwunschenes Land.
Es war nicht möglich, in dieser heißen, trostlosen Einöde zu rasten und zu lagern. Als Thom wieder anritt, stäubte bei jedem Huftritt die Asche vom Boden auf, die der Pampero sofort mit sich fortwirbelte.
Nach der Anspannung der letzten Stunde überfiel Thom eine unüberwindliche Müdigkeit. Die Flammenlinie verschwand hinter dem Horizont im Osten, nur den Himmel überzuckte noch lange eine flackernde Röte. Vielleicht erlosch weit draußen jenseits des Abbruchs allmählich die Kraft des Pampafeuers – im Winter würde der Regen die Asche in den Boden waschen und später neues Grün über das tote Land sprossen.
Thom erkannte aus der Stellung des Mondes, daß er immer noch nach Westen ritt. Er fand nicht die Kraft zu einem andern Entschluß – nur fort von der toten, verbrannten Erde! Tief und tiefer sank sein Kopf auf den Hals des Rappen nieder; allmählich glitt er in ein waches Träumen hinüber.
Er schrak auf, als Huemul plötzlich ohne Aufforderung stand. Er hörte vor sich den Trab eines anderen Pferdes – ein einzelner Reiter kam ihm über einen niedrigen, mondblassen Hügel herauf entgegen. Thom war hellwach, als der Reiter nahe vor ihm auf einmal stutzte. Er sah, wie der Unbekannte an der Satteltasche nestelte, etwas Dunkles glitt in seine Hand – eine Waffe!
Auch Thom hatte mit einem Ruck an den Gürtel gegriffen – als er auch schon sah, wie sein Gegenüber den Arm streckte.
Da schoß Thom, fast aus der Hüfte, auf den ausgestreckten Arm. Der Schuß des andern zischte in den Boden und verschlang einen jähen Schmerzensruf. Sein Arm fiel herab. Er schwankte und sank aus dem Sattel.
Thom kniete im nächsten Augenblick bei dem Fremden. Das Pferd war ausgebrochen – es würde in der Dämmerung nicht weit laufen. Rheden hatte die Waffe des Fremden fortgestoßen; jetzt befühlte er den blutenden Arm.
„Das haben Sie sich selbst zuzuschreiben – Sie hoben die Pistole gegen mich!“ sagte er rauh und erregt.
„Scheren Sie sich fort!“ knirschte der Verletzte. „Ich kann mir selber helfen!“
„Sonderbar!“ Thom schüttelte verwundert den Kopf. Wie ein Blitz durchfuhr ihn die Erkenntnis:
„Sie haben das Feuer auf der Meseta gelegt!“
Der Fremde schwieg. Thom rüttelte ihn. „Warum haben Sie das getan – warum?“
Aus den wenigen geknurrten Worten des Fremden hatte Thom erkannt, daß der Mann kaum der spanischen Sprache mächtig war. War es ein neuer Einwanderer aus Europa oder – oder einer der verdammten Turkos?
Türken – es konnten auch Iraker oder Perser sein – schmuggelten seit langem immer wieder gefährliches Rauschgift in die südamerikanischen Länder ein. Sie tarnten sich oft als arme Hausierer, die mit einem Bauchladen von Estancia zu Estancia ritten.
Thom riß einen losen Halfterriemen vom Sattel und fesselte den Mann, der ihn wortlos abgeschossen hätte, wenn ihm Thom nicht zuvorgekommen wäre. Der Fremde mit seiner schmerzenden Armwunde konnte sich nur schwach wehren. Er fluchte in einer fremden Sprache, dann schwieg er wieder.
Jetzt fand Thom Zeit, das Reitpferd des Turko einzufangen. Es ließ sich leicht an der Halfter fassen, und Thom band es an Huemul. Dann durchsuchte er die Sattelpacken des wandernden Hausierers. In dem Sattel mit doppeltem Bezug aus hartem Leder fand Thom sorgfältig versteckte Päckchen mit dem gefährlichen weißen Pulver – Marihuana!
Rheden begriff den Zusammenhang zwischen dem Feuer auf der Meseta und seiner neuen Entdeckung:
„Deshalb also das Feuer in dem stürmischen Pampero! Sie legten es, um ungehindert über die Grenze zu kommen!“
Er klatschte seinem Huemul auf das versengte Fell.
„Aber wie Sie sehen – wir sind durch das Feuer geritten!“
Er befahl dem Turko, auf sein Pferd zu steigen. Anfangs lehnte der Mann das mürrisch ab, aber dann sah er ein, daß er mit seiner Verletzung und ohne Reittier nicht weit kommen würde. Sobald Thom ihn angezeigt hätte, würde man ihn hier jagen – zu Pferd, mit Autos und sogar mit Flugzeugen.
„Sie brauchen einen Wundverband – zeigen Sie mir die Richtung zur letzten Estancia, von der Sie kamen!“ befahl Thom.
Der Turko hob stumm den Kopf und wies wortlos nach Westen, zum Fuß der ersten Waldberge. Thom sah ein, daß er weiter von seiner Richtung nach Norden abweichen mußte. Vielleicht war es auch gut so: der Rio Cisnes beschrieb viele Krümmungen, ehe er die Schluchten der Kordilleren erreichte.
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