Als er endlich eine Gegend mit dichterem Strauchwuchs erreichte, war es bereits fast Nacht. Die Senke, in die er hinabstieg, war schon von dem See der Dunkelheit bis oben angefüllt. Der Huf Huemuls klatschte unten in Wasser – Thom hatte einen guten Platz gefunden.
„Such dir noch Grünes, Huemul!“ Er schlug seinem Rappen auf den glänzenden Schenkel, und das Pferd trabte zwischen den Büschen davon. Thom hatte den ganzen Tag nur Trockenes gekaut. Jetzt sammelte er dürres Gesträuch, und gleich darauf knatterte ein weißes Feuer, über das er sein verrußtes Maximkesselchen hängte. Bald brodelte das Wasser, und er warf getrocknetes Hammelfleisch hinein. Die Feuerhelle würde auf der Meseta oben weithin zu sehen sein, doch hier brauchte er nicht zu fürchten, daß er einen unerwünschten Gast herbeilockte – höchstens einen roten Fuchs, der von den Bergen in die Einöde herausstreifte.
Thom aß gemächlich und streckte sich dann, mit Gott und der Welt zufrieden, auf seinem Poncho aus. Hie und da fiel ein Windstoß von der Höhe herab in die trockenen Büsche. Huemul schabte in der Nähe noch den dichten, grünen Rasen. Später hörte Thom ein kurzes, heiseres Fuchsbellen – beruhigende Laute für den einsamen Pampasreiter . . .
An der Mondsichel, die jetzt bleich im schwarzen Himmel hing, erkannte Thom später, daß er mehrere Stunden geschlafen haben mußte. Er berechnete, daß er bald auf den Rio Cisnes treffen würde, wenn er morgen weiter nach Norden reiten konnte, ohne auf Hindernisse zu stoßen. Er drängte die Zweifel zurück, ob er sich jetzt überhaupt noch auf der chilenischen Seite befand. Natürlich gab es längst keinen Grenzzaun mehr – wie unten an der Polizeistation.
Er döste wieder ein – und sogleich saß er im Sattel und ritt, ritt über eine Pampa ohne Grenzen.
Er erwachte von neuem und vernahm einen sonderbaren Ton in der Luft. Er klang wie das verwehte Rauschen eines fernen Wasserfalls. War er vielleicht dem Rio Cisnes bereits so nahe? Am Abend hatte die Dämmerung das Land vor ihm verhüllt.
Thom lauschte angestrengt – da vermißte er das Scharren und Schnauben Huemuls! Er richtete sich halb auf und pfiff durch die Zähne. „Eh, Huemul, wo steckst du?“ Er horchte wieder, diesmal schon beunruhigt.
Etwas später hörte er Huemuls Galopp über der Mulde. Schwarz und riesengroß in der Dunkelheit, tauchte das Pferd auf und parierte knapp vor ihm. Es schnaubte heftig und warf mit einem kurzen Ruck den Kopf in die Richtung, aus der es herabgekommen war.
Thom fiel jetzt der hellere Himmelsrand im Westen auf. Er sprang empor und lief bis zum Rand der Mulde hinauf, von wo er einen besseren Überblick hatte.
Die Helle stieg jenseits des flach aufgewölbten Horizonts vom Boden auf.
Sie verbreitete sich nach zwei Seiten zu einer brandigen Röte.
Feuer auf der Meseta!
Der Pampero hatte in dieser Nacht keine Ruhe gefunden. Er stürmte genau aus der Richtung der Gegend heran, in der die Flammen zum Himmel stiegen. Der schwarze Rand der Hügelkuppe hob sich schon scharf vom rasch heller werdenden Himmel ab. Thom schaute erregt den westlichen Horizont entlang – dort drüben wütete ein mächtiges Feuer, das einen breiten Landstreifen ergriffen hatte!
Hatten die Hirten einer Estancia vor den Bergen einen Waldbrand entfacht? In Patagonien brannte zu jeder Zeit irgendwo der Wald an der Kordillere, um neuen Schafweiden Raum zu geben. Thom ging eine Zahl durch den Kopf: dreißig Millionen Schafen lebten von den Weiden Patagoniens!
Er schüttelte den Kopf. Er hatte auf seinem gestrigen Ritt keinen einzigen Baum gesehen – wie sollte hinter dieser flachen Kuppe plötzlich ein ganzer Wald wachsen?
Während er noch unschlüssig hin und her überlegte und den Stößen des nächtlichen Pampero standhielt, züngelten unvermittelt die ersten Flammen über den Rand der Himmelslinie. Eine Feuerzunge leckte über die Kuppe, dort wieder – dort wieder! Die Flammen verbanden sich zu hüpfenden, flackernden Streifen, breiteten sieh gegen Süden und Norden aus.
In diesem Augenblick wehte ihm auch der erste scharfe Brandgeruch von der Meseta entgegen!
Thom konnte sich von dem schaurigen, unheilvollen Anblick nicht lösen. Das Flammenspiel bannte ihn auf der Stelle.
Erst als Huemul heraufgaloppierte und schnaubend wieherte, wurde ihm auf einmal bewußt, daß die Pampa den ganzen weiten Horizont entlang brannte. Jetzt glitt das Feuer den Hügel herab wie eine unaufhaltsame, rotlohende Walze.
Die Glut raste im Sturm auf Thom Rheden zu!
Als Thom das merkte, rannte er schon hinab in die Senke, hob Sattel und Taschen auf und wunderte sich nicht, daß ihm das Pferd sogleich gefolgt war. In Sekundenschnelle hatte er den Sattel festgeschnallt, während der Rappe ungeduldig tänzelte, als verstände er dieses zeitfressende Hantieren nicht. Sobald er seinen Fuß in den Steigbügel setzte, jagte das Pferd mit langen Fluchten aus der Mulde empor.
„Eh, Huemul, warte!“ zügelte Thom noch einmal sein Pferd. Die brennende Flut war indessen über die Hügelkuppe herabgerollt. Der Sturm riß lohende Fetzen von Zunder hoch in die Luft und wirbelte sie vor dem Brandstreifen her – immer neue Flammenherde anfachend. Die Meseta war hier dicht mit niedrigen Büschen bewachsen. Das kurze Gras dazwischen hatte der Pampero ausgetrocknet. Glühende Aschenteilchen flogen auf, und die ersten Feuerzweige fielen vor den Hufen des Rappen nieder.
Auf einmal war eine Woge von Glut um sie. Da gab es keine Wahl mehr, wohin sich wenden. Thom riß Huemul herum und drückte ihm die Sporen ein.
„Flieg, mein Rappe, flieg!“
Das Pferd fiel aus dem Stand unmittelbar in einen Galopp und Sprung, daß selbst der Pampero hinter ihm zurückblieb. Jetzt, da Huemul mit dem Wind lief, konnte er seine volle Schnelligkeit entfalten. Seine Hufe berührten kaum mehr den Boden; das Dorngestrüpp rauschte zurück, und über die steinharten, unbewachsenen Flächen dröhnte sein Huf. Hinter Roß und Reiter tobte die Glut – ein unruhiges Flackern zuckte hoch hinauf über den schwarzen Nachthimmel.
Mensch und Tier wußten, daß sie um ihr Leben kämpften.
Gegen Osten hin schien sich der Boden flach abwärts zu senken. Das Mondlicht wurde von den ersten grauen Rauchschwaden verdunkelt, die bereits die Sterne ausgelöscht hatten.
Die Flammenlinie folgte dem Reiter. Längst mußte die Lohe Thoms Lagerplatz überrollt haben, wo sie ihn ohne Huemuls Wachsamkeit vielleicht überrascht hätte. Ließ das heulende Stürmen des Pampero noch immer nicht nach? Wenn Thom kleinere Mulden umreiten mußte, bemerkte er jedesmal, daß die Feuerzone wieder näher gerückt war.
„Jage, Huemul, jage!“ feuerte Thom den Rappen an. Jenseits der Zone der niedrigen Dornbüsche würde der Pampabrand vielleicht erlöschen.
Huemul bäumte sich jäh auf und stemmte sich mit den Hufen gegen den Boden, daß der Sand flog. Thom wurde fast aus dem Sattel geworfen und fand nur noch in einem Steigbügel Halt. Als er sich mit einem Ruck emporriß, erkannte er hart vor sich einen cañonartigen Grabenriß, auf dessen Grund kein fahler Monddämmer hinabreichte.
Der Abbruch lief nach Norden und Süden weiter, soviel Thom in dem Düster sehen konnte. In welcher Richtung sollte er an dem Riß entlangreiten? Wann holte ihn die Feuerwalze ein, die ebenfalls auf diesen Abbruch zuraste?
Thom entschloß sich blindlings, nach Norden zu reiten. Er erkannte schattenhaft, daß dort wieder eine Höhe anstieg. Vielleicht fand er oben auf dem Hügel kahlen Boden, der ihn retten mußte.
„Flieg, Huemul, flieg!“
Der Sturm traf den Reiter jetzt von der Seite. Die Hitze, die vor den Flammen herlohte, schlug ihm in Schwaden entgegen. Der Rappe war schweißnaß.
Aber die Hoffnung trog. Jenseits der Anhöhe flammte der Himmel bereits rot, als Thom den Fuß des Hügels erreichte. Der Sturm überschüttete Roß und Reiter mit einem Schwall von Zunder – und immer noch drohte der tödliche Erosionsabbruch zur Rechten!
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