Günter Wetzel ist ein fleißiger junger Mann. An den Wochenenden und, wenn es geht, auch nach Feierabend arbeitet er nebenbei wieder auf dem Bau, diesmal auf dem eigenen in der Tuchmacherstraße. Zusammen mit seiner Frau Petra erneuert er das alte Haus vom Keller bis zum Dachboden.
In dem zweistöckigen schmalen Haus, das eingeklemmt zwischen gleichaltrigen Gebäuden an der zur Stadt hin abfallenden Tuchmacherstraße steht, möblieren sie ein großes Wohnzimmer, eine Küche mit Eßecke, Schlaf- und Kinderzimmer. Es ist Platz genug, so viel, daß sich Günter Wetzel im Hochparterre noch eine Bastelwerkstatt einrichten kann. »Wir haben damals 25 000 Mark Baukredit aufgenommen«, erzählt er, »und damit kann man in der DDR schon einiges machen.«
Die jungen Eheleute haben keine Schwierigkeiten, diesen Kredit zu bekommen, denn Petra Wetzel arbeitet mit. Sie ist tüchtig und kommt beruflich voran. Sie bringt es von der einfachen Monteurin zum TKO, zum »Technischen Kontroll Organ«, wie der Posten eines Qualitätskontrolleurs in der DDR genannt wird. Petra Wetzel arbeitet im VEB Spannwerk Pößneck. In ihrem Betrieb werden Schraubstöcke, Zwingen, Bohrständer und andere Werkzeuge hergestellt. Zu den Abnehmern der Spannwerks-Produkte gehört auch das bundesdeutsche Versandhaus Neckermann. »Für die haben wir Bohrständer vom Typ SB 3 hergestellt«, erzählt Petra Wetzel, »die wurden auf Wunsch von Neckermann knallgelb gespritzt.«
Die junge Frau hat immerhin eine mittlere Führungsposition in dem volkseigenen Betrieb. Sie gehört zur »Arbeitsgruppe Qualität«. Sie entscheidet, ob die Arbeit ihrer Kollegen den Qualitätsnormen entspricht. »Wenn nicht, mußte ich die Sachen zur Nachbesserung zurückgehen lassen, oder es wurde auch schon mal ein Stück auf den Schrott geworfen.«
Petra Wetzel wird auch von ihren männlichen Kollegen und Untergebenen respektiert und geschätzt. Sie versteht etwas von ihrer Arbeit, und sie ist kontaktfreudig und humorvoll. »Eigentlich wollte ich gern Künstlerin werden«, erzählt sie. Petra Wetzel malt Stilleben und Landschaftsbilder. Sportlich ist sie auch. Als Schülerin war sie Meisterin des Kreises Pößneck im Brustschwimmen. »Die haben bei einer sportärztlichen Untersuchung festgestellt, daß ich eine übergroße Lunge und ein um 50 Prozent größeres Herz habe. Das hat wohl die sportlichen Leistungen möglich gemacht.«
Die schönsten Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugendzeit sind für Petra Wetzel die Sommerferien am Malteich an den Ausläufern des Thüringer Waldes. »Da haben wir gezeltet und geangelt, sind geschwommen und haben im Wald Pilze gesammelt und Picknick gemacht. Wenn das Wetter schön war, war es einfach traumhaft.«
Als Teenager geht Petra Wetzel am liebsten zum Tanzen. »Ich war mit meinen Freunden auch bei FDJ Veranstaltungen im Kreiskulturhaus, aber auch nachmittags am Wochenende in den Tanz-Cafés Pößnecks.« Sie trägt knappe Miniröcke und knallenge Hotpants. Das war damals gerade der letzte Schrei, nicht nur im Westen, auch bei der Kleinstadtjugend in der DDR. Sie gewöhnt sich das Rauchen an, auch das gehört dazu. Sie pafft bis zu 20 Zigaretten »Alte Juwel«. Sie sammelt Rock-Platten aus dem Westen. Ihr größter Schatz ist eine amerikanische Doppel-Langspielplatte mit einem Konzert von Elvis Presley. Das hat ihr ihre Mutter aus der Bundesrepublik mitgebracht, als sie nach Pößneck zu Besuch kommt. »Darüber habe ich mich wahnsinnig gefreut, so eine Platte kostet in der DDR ein paar hundert Mark auf dem Schwarzmarkt.«
Manchmal bekommt Petra Wetzel Fernweh. »Besonders, als mir meine Stiefschwester, die in der BRD lebt, Ansichtskarten von ihren Urlaubsreisen geschickt hat. Die war in Italien, in Spanien und in Griechenland – und einmal sogar in Afrika. Ich kann mich noch erinnern, daß auf ihrer Postkarte Pygmäen zu sehen waren, und ich habe mich gefragt, ob ich wohl jemals in meinem Leben auch in solche Länder reisen könnte.« Bis zu ihrer Hochzeit ist Petra Wetzel nicht weit gekommen. »Meine weiteste Reise war nach Karl-Marx-Stadt, und einmal sind wir mit der Schulklasse nach Berlin, in die Hauptstadt der DDR, gefahren.«
Nach der Hochzeit hat sie anderes im Sinn als Reisen und Abenteuer. Zusammen mit ihrem Mann Günter baut sie das ererbte Haus um. Sie richtet die Wohnung nach ihrem Geschmack ein. »Wir haben uns eine Regalschrankwand angeschafft, aus furniertem Preßspan, braun mit weißen Einlegebrettern.« Als Zierstücke stehen eine teure Quarzuhr, ein Geschenk aus dem Westen, darin und ein riesiger Kognakschwenker, den ebenfalls Verwandte mitgebracht haben. Auch der Bettvorleger fürs Schlafzimmer und die bunte Tapete mit Tiermotiven fürs Kinderzimmer stammen aus der Bundesrepublik. Das Kinderzimmer ist schon fertig, bevor der erste Sohn der Wetzels geboren wird.
Petra Wetzel erzählt: »Das war eine schwere Entbindung. Ich hatte eine Risiko-Schwangerschaft, und als sich Komplikationen ergaben, mußten die Ärzte die Geburt einleiten.« Der nervöse Ehemann Günter Wetzel war zuvor noch vom Krankenhauspersonal vertröstet worden. »Die haben mir gesagt, daß die Geburt noch einige Zeit dauern würde, daß ich normal Weiterarbeiten sollte.« Günter Wetzel hat erst mit zwei Tagen Verspätung erfahren, daß er Vater geworden ist. »Ich kam mit meinem Lastwagen von einer langen Fahrt nach Pößneck zurück und fand ein Telegramm zu Hause. In dem Telegramm stand: »Habe entbunden. Sohn Peter. Gewicht 4070 g, Größe 53 cm.«
Die Wetzels nennen ihren ersten Sohn Peter, der zweite, drei Jahre später geboren, heißt Andreas.
Petra Wetzel, die zweifache Mutter, ist eine etwas mollige junge Frau mit rotbraunem Haar, grau-grünen Augen und lustigen Sommersprossen.
»Bei den Schwangerschaften habe ich immer enorm viel Gewicht zugenommen, das mußte ich jedesmal wieder mühsam herunterhungern«, erzählt sie. Petra Wetzel spricht schnell und untermalt ihre Sätze mit kurzen Handbewegungen. Sie sagt über sich: »Ich halte mich für fröhlich und sehr kontaktfreudig, und das ist auch eine gute Ergänzung zu meinem Mann, der eher ein ruhiger Typ ist.« Um Politik habe sie sich nicht sehr viel gekümmert, doch zwei Dinge hätten sie in der DDR gestört:
»Daß die Leute, die wirklich von Politik Ahnung haben, sich nicht getraut haben, ihre Meinung zu sagen. Die haben immer gekuscht aus Angst, daß jemand sie beim Stasi verpfeifen könnte. – Und daß man nicht aus der DDR heraus konnte, daß man nicht reisen konnte, wohin man will.«
Petra Wetzel, berufstätig, verheiratet, zweifache Mutter, ist erst 24 Jahre alt. Eine lebensfrohe junge Frau, die »manchmal das Gefühl hat, schon zu früh zuviel Verantwortung übernommen zu haben«.
Auf die Frage, wovor sie am meisten Angst habe, sagt sie: »Ich habe Angst vor dem Zahnarzt und vor dem Altwerden. Ich wäre am liebsten immer 17 oder 18 geblieben.«
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