Die vielen Fältchen um seine Augen ziehen sich schnell zusammen, die Pupillen verengen sich etwas, das ergibt ein für ihn charakteristisches wachsames Lächeln, im Profil hat er wirklich etwas Falkenhaftes.
»Niemand kann ernstlich meinen, Kungeleien kämen nicht heraus, bei zehn Sendungen im Jahr. Nein, die anderen können es genauso gut. Es ist, nun ja, ein bißchen Menschenkenntnis, ein bißchen Einfühlung, ein bißchen Allgemeinbildung. Und das Publikum hilft indirekt, ich beobachte es aufmerksam.«
»Ist es nicht vor allem Intuition? Sind Sie ein intuitiver Mensch, vielleicht sogar mit medialen Fähigkeiten?«
»Zweifellos gehört Intuition dazu, es ist wohl wirklich die Hauptsache, aber man muß nicht bis ins Parapsychologische gehen. Vielleicht bin ich als Frager so etwas wie das Gegenteil von Günter Gauß, der immer so allwissend wirkt.«
Unschlagbar ist Guido Baumann, wenn es darum geht, einen Künstler hinter der Maske zu erraten, einen Star aus dem Showbusineß. Er verfügt eben auch über eine enorme Personenkenntnis in der Szene.
»Man macht nicht ungestraft jahrzehntelang Unterhaltung. Heute interessiert mich allerdings mehr als alles Entertainment das Schreiben. Ich berate den Ringnier-Konzern, mache Interviews, die gedruckt werden – wie Ihres hier mit mir.«
Wir lachen beide zugleich los über die komische Situation: Bei diesem Tischgespräch interviewt ein Interviewer einen Interviewer. »Wer ist Ihr nächster Partner?« frage ich.
»Voraussichtlich Billy Wilder, er ist 78, aber noch immer einer der interessantesten unter den großen Figuren des amerikanischen Films. Und außerdem fliege ich gern nach Amerika. Ich habe drüben viel gelernt. Wem sage ich das . . .«
Wer war sein ergiebigster Partner?
»Ich möchte keine Zensuren verteilen. Beeindruckt hat mich einmal Rolf Liebermann. Ich fragte ihn, warum er das Komponieren aufgegeben habe zugunsten der Opernintendanz in Hamburg und Paris. Er zögerte lange, ich wartete, und dann sagte er: Es war die Angst vor einem Stück weißen, leeren Papiers.«
»Apropos Angst. Sie wirken bei öffentlichen Auftritten so angenehm locker und unprätentiös, so beneidenswert casual. Ist das angeboren oder hart erarbeitet?«
Er betrachtet angelegentlich und ernst eine kleine blaue Blüte, mit der Herr Petermann die frischen Wald- und Wiesenbeeren des Desserts garniert hat. Dann blickt er mich so freundlich und offen an, wie nur er das kann: »Ich bin ausgesprochen kamerascheu. Ich war immer ein eher schüchterner Mensch.«
Als er den roten Jaguar wieder startet, Veronique an seiner Seite, denke ich: Vermutlich ein Mann ohne Feinde, ein Mann mit dem seltenen Talent zur Freundschaft, man fühlt sich einfach wohl in seiner Gegenwart. Ist da nicht eine Spur von Traurigkeit, von Resignation und viel Nachdenklichkeit hinter all dem Lächeln, der Grazie, der Weltläufigkeit?
Der berühmte Titel der Gedichte Eugen Roths könnte für ihn erfunden sein: Ein Mensch.
PERSONENBESCHREIBUNG
Ich bin stets gern etwas früher am Tisch als
mein Gast. Am Abend eines schwülen
Pariser Sommertages gibt es kaum etwas Schöneres,
als bei einem Glas Champagner mit frischem
Aprikosensaft unter dem geöffneten Dach des
Restaurants »Lasserre« auf einen Freund zu warten.
Das üppige Grün der mächtigen Kastanien,
die die Avenue Franklin D. Roosevelt säumen,
überwölbt schattenspendend
den klassizistisch dekorierten Gourmettempel
mit den drei Sternen im Michelin.
Noch plaudern die Garçons dezent im Hintergrund miteinander. Eine resolute Amerikanerin marschiert an der Spitze einer Schar junger Leute herein, der reservierte Tisch gefällt ihr nicht, Headwaiter Jacques runzelt diskret die Stirn, zieht seine Platzverteilungsskizze zu Rate, und die höflich wartende Runde aus Übersee erhält die gewünschte »cosy corner«.
Aber schon kommt das nächste Problem auf Monsieur Jacques zu. Mit besorgter Miene, die mich an Andrej Gromyko erinnert, nähert er sich meinem Tisch: »Excusez, Monsieur Kosch!« Im Französischen klingt mein Nachname weicher. »Ihr Gast wartet unten im Foyer auf Sie, es gibt da ein Problem.«
Er geleitet mich zum Fahrstuhl, greift sich an seine Frackschleife: »Der Herr trägt keine Krawatte, und im Lasserre, Sie verstehen . . .«
Unten treffe ich auf einen wütend paffenden Georg Stefan Troller. »Es ist unerhört, was bilden die sich ein, normalerweise würde ich wieder gehen. Hier habe ich Peter Handke interviewt. Und nun dieses Theater.«
Nicht einmal der Ärger verändert den unverwechselbaren Klang seiner Stimme, mit dem er seit gut 30 Jahren deutsche Radiohörer und Fernsehzuschauer betört, besonders die älteren wie jüngeren Damen.
Während ich seine charmante, aber ebenfalls wütend paffende Frau Kerstin begrüße, geht mir durch den Kopf, was im Französischen so hüsch »corriger la fortune« heißt. »Darf ich Sie anfassen, George? So hieß es doch beim Militär.«
Ehe er sich wehren kann, habe ich ihm seinen seidenen Schal, den er unter dem Hemd trägt, gelöst, den Hemdkragen umgeschlagen, das Tuch außen herumgebunden, ein Knoten, und fertig ist der Schlips.
»D’accord?« frage ich Monsieur Jacques. Er neigt resigniert das Haupt, Kerstin löscht ihre Zigarette, George sagt: »Na, da haben Sie gleich einen netten Aufhänger für Ihr Tischgespräch.«
Es bleibt die einzige Unstimmigkeit des Abends. Der mit Goldenen Kameras, Grimme-Preisen, Bambis überschüttete, vom Fernsehruhm verwöhnte Kollege ist ganz der nachdenkliche, auf jene ausgestorbene, unwiederholbare jüdisch-wienerische Art urbane Mann, als den ich ihn Anfang der fünfziger Jahre zum ersten Mal in Paris traf.
»Wissen Sie noch, was eine Maihak war?« frage ich ihn. »Na, hören Sie, ich bin doch jahrelang mit dem irrsinnig schweren Ding herumgelaufen, habe all meine Rundfunkreportagen für den Südwestfunk damit gemacht.«
Wir erklären den Damen, daß dieses erste tragbare Tonbandgerät der Nachkriegszeit, das »Sendequalität« lieferte, noch mit der Hand aufgezogen wurde, daß es unser unentbehrliches Handwerkszeug war – für ihn in Paris, für mich in Berlin.
Natürlich muß ich die geflügelten Worte sprechen, die allen »alten Kameraden« einfallen, wenn sie zurückdenken: »Wer hätte das gedacht, George, als ich Sie im verbeulten Trenchcoat und erheblich schlanker zum ersten Mal in einem Bistro traf, und Sie mir St.-Germain-des-Prés zeigten, mit Sidney Bechets Klarinette im Jazzkeller, den es nicht mehr gibt, und mit Sartre, den es auch nicht mehr gibt, beim Aperitif im Café Flore?«
»Sie meinen, wir haben uns nicht träumen lassen, daß es einmal zu einem Diner im Lasserre langen würde. Weiß Gott.«
Das Menü muß gewählt werden. Er nimmt eine Vichyssoise, für »nebbich« 95 Francs die billigste Vorspeise. Mit Bleistift ganz zart sind Girolles Fraîches, frische Pfifferlinge am Rand notiert, dafür entscheidet sich Kerstin. Bei den Entrées sinnt George über das Pigeon André Malraux nach und schüttelt den Kopf: »Der streitbare Kulturzar de Gaulles und ein Täubchen?«
Spätestens jetzt ist mir klar: das wird ein langer Abend. Fünfzig Folgen (oder mehr) hatte seine Serie »Personenbeschreibung« – er weiß unendlich viele Anekdoten von seinen Interviewpartnern. Und wie er sie erzählen kann! Wer war ihm der liebste?
»Fast möcht’ ich sagen: der Handke. Ich mochte seinen sensiblen Humor, seine leise Melancholie. Und er ist großzügig. Als junger Schriftsteller bestimmt kein Krösus, lud er uns hierher ein und gab sein ganzes Honorar dafür aus.«
»Wen hätten Sie besonders gern noch vor Ihrer Kamera gehabt? Nur als Idee, es muß kein lebender Unsterblicher sein.«
Ohne zu zögern sagt er: »Arthur Schnitzler, Josef Roth, Hemingway.« Er bittet mich dringend, eines seiner Davidoff-Zigarillos zu probieren. Wir trinken einander zu. Er sagt: »Gewiß ist das alles hier vortrefflich, aber . . . schicken Sie mich bitte nicht weg, wenn ich ehrlich sage: Ich bin kein Gourmet, ich bin ein Bauer, ich mag einfache Sachen.«
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