IMPRESSUM
Sherlock Holmes in unserer Zeit
Helmut Höfling
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2015 Helmut Höfling
ISBN 978-3-7375-1857-4
INHALTSVERZEICHNIS
VERBRECHEN SIND SO ALT WIE DIE MENSCHHEIT
Meisterdetektiv Sherlock Holmes und die Wirklichkeit
Den stummen Tatort zum Sprechen bringen
Ein „Mord ohne Toten“
Verbrechen sind nicht immer und überall Verbrechen
JEDER HAT EIN UNAUSLÖSCHLICHES SIEGEL
Von der Kennzeichnung zum Erkennungsdienst
Körpermaße zur Identifizierung
Der faule Trick der indischen Pensionäre
Die verräterische Spur auf der Likörflasche
Ein Fleck auf dem Kalender
Der Fall der „Deptford-Mörder“
Von der Wiege bis zur Bahre ein unauslöschliches Siegel
Der Mord am Terrassenufer
Durch Computer in Sekundenschnelle
Der „Tote von Millery“
Der Kriminalist und der Gerichtsmediziner
WAS BLUT UND HAARE ALLES VERRATEN
„Fort, verdammter Fleck! Fort, sag‘ ich!“
Leuchtendes Blut
Ein dummes Wort hat böse Folgen
Verräterische Haare
Was man aus Haaren alles erkennen kann
Das Mädchen in der Kiesgrube
„Atom als Detektiv“
GIFT GIBT IMMER WIEDER RÄTSEL AUF
Vergiften ist eine der ältesten Mordarten
Der exakte Nachweis des „Erbschaftspulvers“
Giftiger Schokoladenpilz
Ein neues Mordgift wird entdeckt
Gift ohne Spuren
Was heilt, kann töten
WASSER, KUGELN, EXPLOSIONEN
Wer ertrinkt, der erstickt
Der nasse Tod
Massenmord im Bandenkrieg
Schussspuren – der „Fingerabdruck“ jeder einzelnen Waffe
Feuerwaffen, Geschosse und Schusswunden
Der Todesflug der DC 3
„Detektive“ im Labor
Terror, Bomben, Explosionen
DER KRIPO INS LABOR GESCHAUT
Verbrechensaufklärung mit naturwissenschaftlichen Methoden
Den Spuren auf die Spur kommen
Mit dem REM bis zu 50.000fach vergrößert
„Kommissar Raster“
Aus dem Fenster gestürzt: Mord, Selbstmord, Unfall?
„Rasterfahndung“ und „Grünecken“
Kriminelle und Kriminalisten gehen mit der Zeit
Moderne Technik in der Kriminaltechnik
Weder Sherlock Holmes noch Fernsehkommissar
Kleiner Dieb – großer Mörder
Der Stein kommt ins Rollen
Der unbestechlichste Verbündete
Literaturverzeichnis
VERBRECHEN SIND SO ALT WIE DIE MENSCHHEIT
Meisterdetektiv Sherlock Holmes und die Wirklichkeit
„ Es ist nichts so fein gesponnen, dass es nicht kommt ans Licht der Sonnen.“ Schön wär’s, wenn dieses bekannte Sprichwort auch immer zuträfe. Leider aber sieht es in Wirklichkeit oft anders aus. Das gilt auch in hohem Maße für die Kriminalität, denn viele begangene Verbrechen werden erst gar nicht bekannt. So geschieht es immer wieder, dass der Arzt, der den Totenschein ausstellt, nicht die wahre Todesursache erkennt. Wo er einen natürlichen Tod annimmt, handelt es sich in Wirklichkeit um einen Mord.
Bei einem alten Menschen liegt ohnehin die Vermutung nahe, dass er eines natürlichen Todes gestorben ist –näher jedenfalls als bei einem jungen Menschen. Deshalb schöpft der Arzt, der dies bescheinigt, wohl kaum Verdacht, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könnte. Die Anzeichen oder Verdachtsmomente, die zum Beispiel auf einen Tod durch Erwürgen, Erdrosseln oder eine sonstige Art des Erstickens hinweisen, bemerkt er nicht. Erst Zufälle fördern den wahren Sachverhalt zutage. Gerüchte kommen auf, Nachbarn wundern sich, bis schließlich jemand die Kriminalpolizei verständigt und die Ermittlungen den Verdacht bestätigen.
Verdeutlicht wird dies durch die beiden folgenden Fallbeispiele:
Bei einem sechsundfünfzigjährigen Mann, der plötzlich gestorben war, bescheinigte der Arzt den Tod durch Alkoholvergiftung, verbunden mit einer Herzschwäche. Anderthalb Jahre später starb im gleichen Haus ein zweijähriges Mädchen, das Rotkohl aus dem Hundenapf gegessen hatte. Darin war Thallium gewesen, mit dem der Hund vergiftet werden sollte – nun aber war ein Kind das Opfer geworden. Durch diesen Unglücksfall tauchten erneut Zweifel an der Todesursache des Sechsundfünfzigjährigen auf. War er tatsächlich an Alkoholvergiftung und Herzschwäche gestorben – oder hatte man auch ihm Thallium ins Essen gemischt? Als die Gerüchte nicht verstummten, ging man ihnen nach und exhumierte den Toten. Die Untersuchung der Leiche bestätigte das Misstrauen der Nachbarn: Der Mann war nicht an einer Alkoholvergiftung gestorben, sondern mit Thallium vergiftet worden. Die Ehefrau wurde verhaftet und gestand, ihren Mann wegen dauernder Streitereien getötet zu haben. Er wollte, so erklärte sie, „die Giftkörner eben haben, und da hat er sie auch bekommen.“ Vor Gericht widerrief sie jedoch ihr Geständnis und behauptete, er habe sich selbst das Leben genommen.
Wie das Beispiel lehrt, waren hier Indizien verkannt worden. Denn da das zerrüttete Verhältnis der Ehegatten zueinander allgemein bekannt war, hätte man ihm Beachtung schenken und dem plötzlichen Tod misstrauisch gegenüberstehen müssen. Eine genaue Untersuchung der Leiche zwang sich hier geradezu auf.
Der zweite Fall hat sich 1966 in Holland ereignet. Der Kraftfahrer H. brauchte Fliesen für sein Haus. Zusammen mit seiner Frau und seinem Freund K., der als sachverständiger Berater beim Einkauf dienen sollte, fuhr er nach Sch., wo die Ware begutachtet, gekauft und schließlich aufgeladen wurde. Die Abenddämmerung brach bereits herein, als sie endlich mit hoch beladenem Wagen den Heimweg antraten. In einer Kurve, wo die Straße direkt auf einen Kanal zuführte, geriet H. mit seinem Fahrzeug ins Wasser. Schnell versank der Wagen. Hilferufend stand H. auf dem Dach des untergehenden Fahrzeugs. Als Einziger konnte er sich schließlich retten. Mit einem Nervenzusammenbruch wurde er ins Krankenhaus eingeliefert. Seine Frau und sein Freund jedoch waren ertrunken.
Als ein reichliches Jahr später H. das Aufgebot bestellte, um die Witwe seines Freundes K. zu heiraten, brach der Dorfklatsch aus. Schon lange wussten die Nachbarn, dass H. mit der Frau seines Freundes K. ein Verhältnis hatte – nur den beiden anderen Ehepartnern war dies bis zu ihrem Tod im Kanal verborgen geblieben. Auch bei der Polizei war darüber nichts bekannt gewesen. Da jetzt jedoch immer offener über das frühere ehebrecherische Verhalten des Liebespaares gesprochen wurde, mussten auch die Strafverfolgungsbehörden davon Kenntnis nehmen. Als sie die Rekonstruktion des vorjährigen Verkehrsunfalls anordneten, stellte sich heraus, dass es sich nicht so ereignet haben konnte, wie H. damals angegeben hatte. Die Widersprüche veranlassten H. schließlich zu einem Geständnis. Er hatte den Wagen absichtlich ins Wasser gelenkt, um die beiden „Ehehindernisse“ zu ermorden. Sowohl H. als auch seine Geliebte wurden verhaftet und vor Gericht gestellt.
Für beide Fälle gilt dasselbe: Was zunächst so natürlich aussah, war in Wirklichkeit Mord. Konnten diese Verbrechen noch nachträglich aufgeklärt werden, so bleiben viele andere für immer unerkannt. Um zu unterstreichen, dass dies leider keine Seltenheit ist, hat ein bekannter Kriminalist einmal folgenden bildhaften Vergleich geprägt: Wenn man am Grab einer jeden Leiche, die durch ein unerkanntes Verbrechen umgekommen ist, eine Kerze anzünden würde, dann wäre der Friedhof hell erleuchtet.
Was ist der Grund hierfür? Fehlt es vielleicht in aller Welt an Detektiven von der Klasse eines Sherlock Holmes?
Als vor rund hundert Jahren in London der Roman „Eine Studie in Scharlachrot“ des schottischen Arztes Conan Doyle erschien, ahnte niemand, dass die Hauptfigur darin, der Meisterdetektiv Sherlock Holmes, jahrzehntelang für Millionen Menschen das Bild von Kriminalistik und Verbrechensuntersuchung bestimmen sollte. Der Haupttrick, mit dem der Autor seinen Romanhelden Sherlock Holmes immer wieder glänzen lässt, ist die Konstruktion einer vollständigen Personenbeschreibung des Täters aus irgendeiner Kleinigkeit am Tatort. Aus einem einzelnen Härchen, das er am Schauplatz des Verbrechens auf den ersten Blick entdeckt, leitet er Haarfarbe, Barttracht, Alter, Körpergröße, sämtliche Kinderkrankheiten und gegenwärtige Unpässlichkeiten des Täters ab. Eine mikroskopische und chemische Untersuchung des Schnurrbarthärchens liefert ihm ferner völlige Aufklärung über die soziale Klasse, den Beruf, die letzte Mahlzeit, den Friseur, den Geburtsort und die klimatischen und geographischen Verhältnisse der letzten Aufenthaltsorte des Verbrechers.
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