Da das Verbrechen höchstwahrscheinlich zwischen dem Mittag des 16. und dem Mittag des 17. Oktober begangen worden sein musste, schied Weber somit als Täter aus: Alle drei Zeugen hatten sein Alibi bestätigt.
Trotz dieser Ermittlung des Bieler Polizeikorporals blieb die Züricher Polizei misstrauisch, denn immerhin war Weber bereits siebenfach vorbestraft. Nicht auszuschließen war ein Rechenfehler bei der knapp bemessenen Tatzeit. Jedenfalls hielt man es für ratsam, Weber auch weiterhin zu beobachten, denn wenn er der Mörder war, hatte er die Summe von mindestens 170.000 Franken erbeutet, die Eichenwald zuletzt in seiner Aktentasche mit sich geführt hatte. Erfahrungsgemäß kann ein Verbrecher nach einiger Zeit der Verlockung nicht widerstehen, mit den Tausendern nur so um sich zu werfen. Aber weder Weber noch ein anderer verriet sich durch solche Prasserei. Hinweise, dass der Mann, der die Uhren über die Grenze geschmuggelt hatte, in einem Abnehmerland hinter dem Eisernen Vorhang verhaftet worden war, halfen auch nicht weiter.
Dennoch waren Polizeileutnant Pfister und Bezirksanwalt Dr. Huggenberger noch nicht bereit, den Fall Eichenwald als unlösbar aufzugeben. Im Stillen ermittelten sie weiter, bis es ihnen schließlich fünfzehn Monate nach dem geheimnisvollen Verschwinden des Wiener Händlers gelang, in Webers scheinbar stichhaltigem Alibi eine Lüge zu entdecken.
Bei einer Befragung gab der Bieler Polizeikorporal zu, den Möbelhändler nicht in Nidau aufgesucht und mit ihm von Angesicht zu Angesicht, sondern nur telefonisch gesprochen zu haben. Was er versäumt hatte, holte Leutnant Pfister jetzt nach. Versuchte Scheidegger anfangs noch, seine früheren Angaben aufrechtzuerhalten, so gestand er schließlich, er habe Weber gefällig sein wollen, um ihn nicht als Kunden zu verlieren. Es habe sich ja nur um eine geringfügige Übertretung der Vorschriften im Straßenverkehr gehandelt, wie ihm Weber versichert hatte, eine Kleinigkeit also, nicht der Rede wert.
Bei der nochmaligen Befragung der Geschäftsleitung stellte sich heraus, dass Weber am späten Nachmittag des 17. Oktober nicht selber in der Uhrenfabrik erschienen war. Vielmehr hatte er seine längst fällige Schuld von32.300 Franken durch einen gewissen „Direktor Dreyer“ bezahlen lassen – und zwar in bar. Als man sich in der Geschäftsleitung darüber wunderte, erklärte „Direktor Dreyer“, das Geld stamme aus einer gleichfalls gegen Kasse verkauften Uhrenlieferung.
Am 22. Januar 1955 betraten Bezirksanwalt Dr. Huggenberger und Polizeileutnant Pfister in Biel das Hotel, in dem Weber wohnte. Als sie an seiner Zimmertür anklopften, dauerte es eine Weile, bis er verschlafen und ahnungslos öffnete. Nicht die geringste Unsicherheit verriet ihn, denn er war fest davon überzeugt, ein perfektes Verbrechen begangen zu haben. Niemand konnte ihm etwas beweisen, und deshalb, so glaubte er, konnte man ihm auch nicht den Prozess machen.
Noch ahnte er nicht, wie sehr er sich täuschte!
Acht Monate waren vergangen, als Oberrichter Dr. Gut am 17. September 1955 die Sitzung des Geschworenengerichts in Zürich eröffnete. Die Anklageschrift des Staatsanwalts gegen Theodor Weber enthielt eine ganze Reihe von Straftaten: Betrug, Hehlerei, Urkundenfälschung, Anstiftung zur Begünstigung, versuchte Anstiftung zu falschem Zeugnis, qualifizierter Raub und Mord. Unwichtig sind hier die Nebentatbestände, entscheidend dagegen ist der Indizienbeweis im Bereich der Hauptanklage. Darin wurde Weber beschuldigt, „am 16. Oktober abends oder in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober an einem nicht bekannten Ort in der Schweiz, vermutlich im Jura, auf der Fahrt nach einem unbekannten Ziel dem im Auto sitzenden Gustav Eichenwald mit der Waffe, das heißt durch Schüsse oder Schläge oder auf andere Weise, derart schwere Verletzungen beigebracht zu haben, dass Gustav Eichenwald verschied, worauf er, Weber, zusammen mit Walter Stützle – alias Dreyer – die Leiche des Opfers an einem unbekannten Ort so beiseite schaffte, dass sie nicht mehr gefunden werden konnte.
In der Anklageschrift folgte sodann der Tatbestand des qualifizierten Raubes „in einem unbestimmten, zwischen 134.000 und 200.000 Franken liegenden Betrag“.
Wie schon bisher leugnete Weber sowohl den Raub als auch den Mord und erklärte sich für nicht schuldig. Laut Bericht konnte ihm darauf vorgehalten werden:
Er kannte Eichenwald und stand mit ihm in ständiger Geschäftsverbindung.
Er brachte seinen Zuchthausgenossen Walter Stützle – der noch vor der Verhandlung starb – als „Uhrenfabrikdirektor Dreyer“ ins Spiel.
Er hatte nach Erhalt des Telegramms, das Eichenwalds Ankunft ankündigte, einen Revolver und Patronen gekauft. Die Waffe konnte nicht gefunden werden. Weber lieferte vier verschiedene Versionen über die Revolverkauf und das Verschwinden der Waffe. Er konnte keine beweisen.
Es war ihm gelungen, den Möbelfabrikanten Scheidegger durch Vorspiegelungen zur Bestätigung eines falschen Alibis zu bewegen.
Er hatte sich, zwei Tage bevor Eichenwald vermutlich ermordet worden war, einen Personenkraftwagen geliehen. In diesem war er mit Stützle am 17.10. vormittags bei Scheidegger in Nidau vorgefahren. Er erzählte, der Wagen sei arg verschmutzt, da sich Stützle erbrochen habe. Er wollte das Fahrzeug also reinigen. Später änderte Weber diese Erzählung und behauptete, unterwegs ein Reh überfahren zu haben, das er aus Angst vor einer Anzeige wegen Wildschadens oder verkehrswidrigen Fahrens in den Wagen nahm. Später gab er an, das blutende tote Tier sei im Kofferraum des Autos verstaut worden. Jedenfalls sollten in Nidau alle Spuren verwischt werden, woher immer sie rühren mochten.
Weber und Stützle bedienten sich eines Kessels, dessen Herkunft ungeklärt blieb, um aus einem Nachbarhaus des Möbelhändlers heißes Wasser zu beschaffen, mit dem sie den Wagen gründlich wuschen. Das Innere des Autos bearbeiteten sie mit Putzmitteln, Lappen und Bürsten. Den Bodenbelag, die Teppichmatten und die Überzüge lösten sie von ihren Halteklammern los und wuschen alles in einem Trog im Keller Scheideggers, wobei das Wasser sich rötlich färbte, was Weber mit dem Blut des überfahrenen Wildes erklärte. Mit ebenso großer Sorgfalt wurde der Kofferraum des Leihwagens ausgewaschen. Auch die Blutspuren dort stammten, nach Webers und Stützles Darstellung, von dem ausblutenden Reh.
Als Weber feststellte, dass einzelne Beläge durchgescheuert waren und ausgefranste Stellen einige darunter offenliegende Metallflächen zeigten, ließ er die beschädigten Matten durch völlig neue ersetzen. Die blutdurchtränkten verbrannte er im Ofen des Möbelhändlers. Denselben Weg gingen auch Schuhe und Kleidungsstücke Stützles, die verschiedene dunkle Flecken aufwiesen.
Alle Zeitangaben Webers über die Stunden, in denen diese Vorfälle sich abspielten, erwiesen sich als falsch. Seine Versuche, die Autofahrt mit dem Zwischenfall – dem Erbrechen Stützles oder dem Überfahren des Wildes – in sein Alibisystem einzubauen, misslangen. Für die ganze wahrscheinliche Tatzeit besaß Weber keinerlei beweisbares Alibi.
Weber befand sich bis zum 17. Oktober in einer verzweifelten wirtschaftlichen Lage. Er war erheblich verschuldet, konnte auch kleine Beträge nicht zurückzahlen und musste sich die notwendigsten Existenzmittel durch dunkle Geschäfte – hart am Rand des Strafgesetzbuches – beschaffen.
Nach dem 17. Oktober verfügte Weber über sehr erhebliche Geldmittel. Er zahlte fällige Rechnungen in Höhe von über 100.000 –Franken. Für private Käufe, meist von Luxusartikeln und Einrichtungsgegenständen, sowie für Vergnügungsfahrten und für ein Luxusauto gab er mindestens weitere 30.000 bis 40.000 Franken aus. Wahrscheinlich erreichte der Gesamtbetrag eine höhere Summe.
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