»Das heißt?«
»Das Gute erkennen, während es entsteht. Ich kannte ja die meisten Expressionisten schon vor und während des Krieges, dann danach in der schlechten Zeit. Den Otto Dix habe ich mir vom Munde abgespart. Für manches bin ich 3. Klasse nach Paris gefahren, bot 320 Mark, wenn die anderen bei 300 paßten, danach konnte ich mir keinen Kaffee mehr leisten.«
Was kann er sich heute leisten? Angenommen, er würde seine Sammlung bei Sotheby’s versteigern lassen? Wenn von den rund 500 Werken jedes nur zehntausend Mark erzielte, wären das schon 5 Millionen. Manche kämen aber auf hunderttausend und mehr, viel mehr. Der Versicherungswert seines Kunstbesitzes dürfte bei weit über 100 Millionen Mark liegen.
Als wir die erste Flasche Baron de L, den Rassigen von der Loire, ausgetrunken haben, sagt er zu Signore Pireddu, dem Oberkellner aus Sardinien, er möchte sie bitte für ihn einpacken. Sammelt er auch Flaschen? »Ich grapsche eben alles zusammen – wie ein Eichhörnchen, das seine Lager später wieder vergißt.« Walter Fritzsche vergleicht ihn in der Einleitung zum Katalog mit einem Biber, der mit seinen Sammlungen Bauteilchen für Bauteilchen zu einem Staudamm zusammenfügt: gegen den Strom der Zeit.
Er ist 1918 geboren, in unserer Generation strömte die Zeit gar mächtig. Der ganz große Durchbruch Buchheims kam spät. Schon in den Sechzigern veröffentlichte er »Das Boot«, den Welterfolg – als Roman, als Film, als Fernsehserie. Er reitet die Welle, das nächste Buch soll »Die Festung« heißen, Brest an der bretonischen Küste ist der Schauplatz. Unentwegt schreibt, dreht und schneidet er Dokumentarfilme, am liebsten alles selbst. »Wenn die kommen und wissen wollen, was ich verlange, sage ich immer nur: Viel, sehr viel und davon das Doppelte. Und Sie werden lachen, ich kriege es.«
Er spricht gern, assoziiert mühelos, nimmt kein Blatt vor den Mund. »Beschissen doof« fühlt er sich allemal, wenn etwas fertig ist. Schöpferische Pause? Das klingt ihm zu nobel. Henry Miller kam einmal zu ihm nach Feldafing, unangemeldet. Mit dem hat er sich großartig verstanden. Von Loriot will er nichts wissen: »Vom Erfolg korrumpiert, im Grunde überhaupt nicht witzig.« Emil Nolde und die Nazis? »Der malte doch lange vor 1933 schon Blut und Boden, dachte, nun käme seine Zeit, ein tragisches Mißverständnis.«
Trotz sprudelnder Rede vergißt er die Tafel nicht. Die winzige Quiche Lorraine auf dem Vorspeisenteller erregt sein Entzücken. Den Zander aus dem Ammersee lobt er bodenständig: »Den kriegen wir in Feldafing auch manchmal.« Er mag Nieren und Bries in einer pikanten Sülze, nickt beifällig zur schon gelösten kleinen, knackigen Lobsterschere. Beim Dessert – es sieht aus wie von Nolde gemalt – bedauert er wohl nur, daß er es nicht mit nach Hause nehmen kann.
Den Schluß bildet zum Espresso ein herrlicher alter, dunkler Calvados, so wie ihn Remarque gefeiert hat. Er schnuppert am Glas: »Witzigmann versteht sein Handwerk. So wie ich meines verstehe. Ich mag nur Leute, die ihr Handwerk verstehen. Ich bin auf bescheidene Weise anspruchsvoll.«
Bedächtig streicht er sich den weißen Kapitänsbart und dann den Bauch unterm Batikhemd und sagt, mich noch einmal aus den Augenwinkeln flink taxierend und so, als wollte er damit auch den gemeinsamen Abend nach Kosten und Nutzen bilanzieren: »Man muß dem Zufall seine Chance geben, damit er voll zur Wirkung kommt.«
VORBILD ZUR SEE
War es sein Traum, einmal Traumschiffkapitän zu
werden? »Zur See wollte ich schon mit 15,
und natürlich hatte ich es mir in den Kopf gesetzt,
mein Kapitänspatent zu machen. Aber das Glück,
einmal Kapitän der ›Europa‹ zu werden,
davon kann ein Seemann nicht mal träumen.«
Der Kapitänstisch steht genau in der Mitte des Restaurants. Kapitän Raasch hebt das Glas bedächtig und schaut durch die großen Fenster hinaus – ringsum nur blauer Atlantik: »Wir halten Kurs Nord, fahren zur Zeit 15,2 Knoten und werden morgen früh sieben Uhr Teneriffa erreichen. Backbord von uns jetzt die Kapverdischen Inseln, Steuerbord Mauretanien. Aber selbst wenn die westafrikanische Küste in Sichtnähe wäre, wir würden nichts sehen als Wüste.«
»Wie schaffen Sie es, daß wir immer auf die Minute pünktlich im Bestimmungshafen festmachen?«
»Das ist heute kein Kunststück mehr. Wir kennen Entfernung, Windstärke, Seegang, haben genaue Seekarten und die Standortbestimmung via Satellit mit Magnavox. Wir kennen unsere Maschinenleistung. Den Rest besorgen Radar, Echolot, der wachsame Offizier auf der Brücke und der Rudergänger.«
»Ist der Kapitän eines Kreuzfahrers also nur noch der große Salonlöwe, gut fürs Farbfoto vom Begrüßungscocktail, den Händedruck und das freundliche Wort für jeden?«
»Wenn das alles wäre, hätte ich dieses Kommando nicht übernommen. Der Kapitän ist verantwortlich für das ganze Schiff und alles, was auf ihm und mit ihm passiert. Eigentlich habe ich drei Jobs: Ich bin der Vorgesetzte von fast 300 Mann Besatzung, ich fahre einen 30 000-Tonner als ›Kapitän auf großer Fahrt‹, und ich habe mich um Wohl und Wehe der 600 Passagiere zu kümmern. Das allein kostet allerdings etwa die Hälfte der Zeit.«
»Sind Sie ständig an Bord? Wieviel Urlaub haben Sie? Können auch Sie das Schiff verlassen, wenn Landgang im Tagesprogramm steht?«
»Seeleute werden heute nicht mehr ausgebeutet, jedenfalls deutsche nicht. Reedereien und Gewerkschaft haben Tarifverträge ausgehandelt. Neben hochanständigen Löhnen, Kranken- und Altersversicherung gibt es fast vier Monate Urlaub im Jahr, auch für Kapitäne. Dazu gehört eine feste Arbeitszeit pro Tag, allerdings nicht für Kapitäne. Dazu gehört auch die Möglichkeit, die Ehefrau mitzunehmen.«
Kapitän Raasch erwartet seine Frau in Teneriffa, wo ein Hapag-Lloyd-Charterflug zeitgünstig eintrifft. Bis Bremerhaven wird sie an Bord bleiben. »Es klappt gerade gut mit der Familie, und sie hat ja alles an Bord, was die Kapitänsfrau so braucht. Auch Frau von Neuhoff hat ihren Schrank in der Kapitänskajüte.«
Michael von Neuhoff ist der andere Kapitän der »MS Europa«. Er und Helmut Raasch lösen sich ab, fahren zwischendurch auch mal wieder ein Containerschiff ihrer Reederei. Das haben sie gründlich gelernt, bevor man ihnen das große Passagierschiff anvertraute, den Stolz von Hapag-Lloyd, den größten und schönsten deutschen Kreuzfahrer.
»Wie ist es heute auf einem Frachtschiff, auf einem Tanker?«
»Ehrlich gesagt, ziemlich eintönig. Früher hatten wir oft ein paar Passagiere an Bord. Früher gab es auch noch Geselligkeit bei der Mannschaft. Heute schiebt jeder seine Videocassette in den Recorder, hockt vorm Bildschirm, trinkt sein Bier allein, und das ist es dann.«
»Und ›Schön ist die Liebe im Hafens‹, das ist auch vorbei?«
»Wir haben heute in der Frachtschiffahrt Liegezeiten von durchschnittlich sechs Stunden, jede Minute kostet. Da geht kaum noch jemand an Land. Man kann also auf diese Weise die Welt nicht mehr kennenlernen. Man sitzt komfortabel und sozial abgesichert auf seinem Pott. Das ist nicht zu verachten, aber das ist auch alles.«
Helmut Raasch wurde 1936 in Pommern geboren. Der Vater fiel im Krieg. Gleich nach der Schule verschwand er in Richtung Westen. »Es war ein point of no return. Meine Mutter hat mir das nicht verziehen, bis ich Kapitän wurde. Wenn sie noch lebte, würde ich sie gern mal mitnehmen, hier auf der ›Europa‹.«
Er fing ganz unten an, als »Moses«, als Schiffsjunge »vor dem Mast«, den alle herumstoßen und herumschicken können. »Es war der harte Weg, aber darum habe ich auch heute noch diesen Kontakt zum letzten Matrosen. Ich sitze nicht nur hier beim Galabuffet, sondern gern auch in der Mannschaftskantine, bei Birnen, Bohnen und Speck, zu einem Klönschnack, mit meiner Frau, wenn sie da ist.«
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