1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 »Und komplizierte Menschen. Oder nur vor der Kamera?«
Er lehnt sich zurück, wiegt das mächtige Haupt, streicht den weißen Bart. »Alle Probleme der Menschheit kommen aus dem einzelnen Menschen. Also interessiert mich der einzelne Mensch, wenn ich unsere Welt verstehen will.«
»Aber dieses Interesse allein löst die Zunge des anderen nicht.«
»Es kommt auf das Klima eines Gesprächs an. Mein Partner darf sich niemals uneasy fühlen mit mir.«
»Bringt man wirklich allein damit die Leute zu einer Art seelischem Striptease, wie Sie, George, das besser können als jeder andere?«
»Sie fragen beharrlich. Wir sind ja auch zwei alte Dinosaurier unserer Spezies, wir sterben aus. Also, vielleicht ist es dies: Ich versetze mich in meinen Gesprächspartner, ich identifiziere mich vorbehaltlos mit ihm, auch wenn er ein Verbrecher ist. Aber der Interviewte – und das mag Sie überraschen – versetzt sich auch in mich.«
Georg Stefan Troller hat einen vielbeachteten Film über Sigmund Freud gemacht. Meint er das Phänomen der Übertragung? Auf Freuds berühmter Couch entwickelt sich eine positive (zärtliche) oder negative (feindliche) Beziehung des Patienten zum Therapeuten – um so intensiver, je tiefer der Patient seine unbewußten Regungen, seine Libidobesetzung, preisgibt. Trollers Kamera als Couch?
1938 ist er wie Freud aus Wien emigriert. Von 1943 bis 1948 war er Soldat der amerikanischen Streitkräfte. Der Zufall hätte es wollen können – wir sind gleichaltrig –, daß er mir einmal an der Front gegenübergelegen hätte. Diese Seite, jene Seite – ein paar »rassische« oder »völkische« Ingredienzien können es entscheiden, so oder so.
»Pariser Journal«, »Pariser Geschichten« – Meilensteine der Erfolgsstory Georg Stefan Troller. Wurde er zum Pariser?
»Ganz und gar nicht. Viel lieber wäre ich Amerikaner geworden. Mein Englisch ist wesentlich besser als mein Französisch. Victor Hugo hatte 8000 Worte, Goethe 15 000, Shakespeare 30 000. Das französische kennt witzige Verbindungen, ist aber eine vergleichsweise arme Sprache. Für mich ist Sprache ein Essential. Ich bin aufgewachsen mit Karl Kraus und Alfred Polgar und Egon Friedell. Das vergißt sich nie.«
Ich erzähle ihm von einem Pariser Eindruck: Jedes Mal sehe ich hier mehr Afrikaner, mehr Araber – jedesmal wirken sie dominierender, selbstbewußter, manchmal auch anmaßend. Dasselbe begegnet mir in London. Was ist das? Steigt der Bevölkerungsdruck der Dritten Welt wie eine Flut? Ist die westliche Welt eine Art Venedig, dessen Fundamente fast unmerklich in dieser Flut versinken?
Er lächelt und sieht jetzt wirklich aus wie der Wunder-Rabbi aus Martin Bubers »Geschichten der Chassidim«. Er hebt sein Glas, blickt durch die hohen Fenster mit den Brokatportieren auf die nun nachtdunkle Avenue Roosevelt, trinkt mir noch einmal zu und sagt: »Der weiße Mann geht.«
MIT MONOKEL BIS NACH STALINGRAD
Selbstverständlich ist er auf die Minute pünktlich –
als ehemaliger Botschafter der Bundesrepublik
Deutschland in vier Ländern und als preußischer
Edelmann von altem Schrot und Korn.
Auch seine Frau Marianne, geborene von Kessel,
als Tochter einer schwedischen Mutter in Schweden
aufgewachsen, würde nie eine Sekunde zu lange
vor dem Spiegel stehen. Sie gehört dem
Diplomatischen Korps noch länger an als er selbst.
Ich lernte sie in Washington kennen.
Als Frau des Kulturattachés Hans Erich Haack
machte sie ihr schönes Haus hoch über dem
Potomac zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt.
Ihr Lachen war so berühmt wie ihre Küche.
»Die Frau des Botschafters«, sagt Herr von Puttkamer, »ist mindestens so wichtig wie er selber. Du mußt so etwa ein Diner pro Woche geben, du hast jede Menge Cocktails, manchmal hochgestellte Gäste. In Stockholm kamen natürlich Silvia und der König zu uns.«
»Ich habe Siliva 1972 als Olympiadehostess kennengelernt – reizend. Wie macht sie sich auf dem Thron?«
»Reizend, reizend,« sagt er, lacht, und zieht dabei die eine Augenbraue so hoch, daß ich denke: Eigentlich könnte er gut ein Einglas tragen. Ich sage es ihm.
Er fixiert mich amüsiert mit seinen blauen Augen: »Ich trug Monokel, mein Lieber. Das gehörte sich einfach für einen Offizier des Kavallerieregiments 5. Und ich habe das Ding erst in Stalingrad abgesetzt, nach der Kapitulation.«
»Du hast dich in all dem Chaos vermutlich an so ein äußerliches Statussymbol geklammert, als eine Art Halt. Kavallerie, dann bist du im Polenfeldzug 1939 tatsächlich noch Attacke geritten?«
»Ja, es waren die letzten Kavallerieschlachten der Geschichte, wir hatten einen tapferen Gegner. Dann stiegen wir um in die Panzer.«
Der 1919 geborene Oberleutnant Jesco von Puttkamer, Sohn eines preußischen Generals, auch mit Bismarck verwandt, dessen Frau Johanna von Puttkamer hieß, gehörte zum Stab der deutschen Armee, die 1943 bei Stalingrad vernichtet wurde.
Er sagt knapp: »Die 6. Armee hatte 280 000 Mann. 90 000 wurden gefangengenommen. 5000 kamen nach Hause.«
»Ein Menschenopfer wie Hiroschima und Dresden zusammen.«
»Wir erlebten es wie eine Vorwegnahme des Untergangs von Deutschland.«
Jesco von Puttkamer hat das Bekenntnisbuch geschrieben: »Die Geschichte des Nationalkomitees Freies Deutschland«. Er gehörte zu den Offizieren, die zusammen mit kommunistischen deutschen Emigranten wie Pieck und Ulbricht unter sowjetischem Patronat die Beseitigung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems und einen raschen Friedensschluß anstrebten.
»Warum waren die Russen gerade an großen preußischen Adelsnamen interessiert?«
»Sie waren unglaublich gut über alles informiert, was in Deutschland, in der Wehrmacht, rund um den ›Führer‹ herum vor sich ging. Sie erwarteten einen Putsch gegen Hitler, und sie nahmen an, daß der von Offizieren getragen würde, die aus dem konservativen Widerstand kamen.«
»Viele Opfer des Aufstands vom 20. Juli 1944 trugen die Namen ruhmreicher preußischer Adelsfamilien. Die Seydlitz, Einsiedel, Puttkamer im Nationalkomitee Freies Deutschland sollten also von außen eine Art Brücke bilden, hinüber zu den Kameraden, die den Sturz Hitlers von innen her planten: Stauffenberg, Beck, Yorck, Schulenburg, Schlabrendorff. Du hast in der Kriegsgefangenschaft Russisch gelernt?«
»Ja, aber vor allem habe ich deutsche Bücher gelesen, die ich nicht kannte: Thomas und Heinrich Mann, Tucholsky. Wir hatten doch keine Ahnung. Auf dem humanistischen Gymnasium lernten wir, Homer und Vergil im Original zu lesen, aber neueste, deutsche Literatur, zumal ›linke‹, trat doch überhaupt nicht in Erscheinung.«
»Ein anderes deiner Bücher heißt im Untertitel ›Irrtum und Schuld‹. Es ist ein weiter Weg, den du zurücklegen mußtest. Der Junker aus Hinterpommern erlebt bei Stalingrad die große Götzendämmerung, findet zum Widerstand gegen Hitler, kehrt heim, wird Redakteur beim französischen Kurier und der amerikanischen Neuen Zeitung in Berlin, Chefredakteur des SPD-Organs Vorwärts und schließlich deutscher Botschafter in Israel, Belgrad, Lissabon und Stockholm.«
Er hat die seltene und so angenehme Gabe, zugleich ernst und heiter sein zu können, und so sagt er, indem er das Glas hebt: »Offenbar aber war mein Weg nicht zu weit für unsere Begegnung an diesem festlich gedeckten Tisch, zusammen mit unseren Frauen. Es lebe der Ruhestand!«
Unser Gespräch beansprucht mich thematisch so sehr, daß ich die Köstlichkeiten, die auf den Tisch kommen, manchmal gar nicht genug würdige. Jesco und seine Marianne haben da freilich Routine. Was ein Botschafter auf seinem Posten ausrichten kann, ereignet sich weniger in den Amtsstuben der Außenministerien, eher schon bei einem guten Essen.
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