Dann rieb er die Hände und suchte mit lüsternen Augen den Kuchenteller und die über den Topfrand schäumende Schlagsahne. Weiter glitt der Blick auf das Glühen im Ofen und die hübsche Tochter. Er schlürfte an der Tasse, ohne nach dem Henkel zu fassen, und schnalzte mit der Zunge. „So’n Leben hat doch sein Jutes! Det Jeschäft! Nu fahren bald de Droschkenkutscher zweiknöpfig, un die Fabrik schreibt, die Damen wer’n noch fünfknöpfig jehn! Ich sage dir, Miekchen, die Dora da ... zehn Knöppe trägt se noch mal! ... Hundertachtundsiebzig Taler am Sonntag! Nich zu jlauben! Na ja, die Hoffeste! Der olle Willem bringt Jeld un Jeschäfte!“
Mutter warf ihren türkischen Schal um die Schultern. „Unsere Arbeit schafft auch was, Karl!“ Vater zog sich den Kuchenteller näher. Seine munteren kleinen Augen über dicken Backen liebäugelten mit einem knusprigen Schweinsohr. „Die Arbeit allein hätt’ ohne Willem un Bismarck nich jefleckt! Wat wollten se denn hier in Berlin, wie wir achtundvierzig heirateten? Nach Revolution und Republik ham se jeschrien! Un wo wärn wer mit de Freiheit? Keen Königgrätz un Sedan, keen Kaiser un keene fünf Milliarden, aber Steuern un Pleite! Republik is Hunger und Luderei, aber Willem heisst Ordnung im Haus, Brot in die Küche un Jeld in de Tasche!“ Er biss in das Schweinsohr und schnalzte wieder mit der Zunge. „Ham wir vor de Kaiserzeit sone Kuchen jehabt?“
Ärgerlich zog Mutter den bunten Schal höher. „Was ich gebacken hab’, hat dir auch geschmeckt. Aber jetzt muss Kranzler schicken und Schlagsahne dazu, damit die Rechnung höher kommt!“
Mit gemütlichem Schmunzeln legte er ihr einen Spritzkuchen auf den Teller. „Soll Kranzler Handschuh und Krawatten bei Mange oder mir kaufen? Eene Hand wäscht die andere. Weil unsere Alma von ihm Kuchen und Sahne holt, nimmt er unsere Handschuh un alle Jahr mehr Knöpfe dran! Aber backen haste jekonnt, Miekchen. Wat jiebt’s denn zum Abendbrot?“
„Eisbein, Karl!“
Er schnaufte mit gefurchter Stirn, und sein rundes Gesicht im grauen Kaiserbart spiegelte ein Ringen wieder. Doch dann schlug er mit den Fingern auf die Tischkante. „Wird für morjen uffjehoben, Miekchen! Heut’ abend sin wer fein un jehn ...“
Den Zeigefinger an der Stubsnase drehte er sich mit verschmitzten Augenzwinkern zu Dorchen, die schon mit glänzenden Augen aufhorchte. Die Flügel ihrer feinen Nase schnupperten eine Freude, die schon ihre Wangen rötete. Da wollte er ihre Ungeduld noch mehren und lachte. „Haste denn wat anzuziehen?“
Sie zuckte die Schultern. „Das neue von Weihnachten!“
Er schob den Rest seines Kuchens in den Mund und sah im Kauen auf Frau und Kind mit grossen Augen, die Aufmerken heischten. „Wir essen ins Hotel de Rome!“
„Vater“, jauchzte Dorchen und tätschelte seine Hand. Mutter warf im Zorn den Schal ab. Auf die schmalen Wangen ihres spitzen Gesichts traten rote Flecken und schwarze Ringe unter die müden Augen. Karl war von Sinnen. Sie rang nach Atem und schalt: „Wir ins Hotel de Rome, wo nur die allerfeinste Kundschaft isst? Morgen wär’s rum von Manges bis Gerbers, von Kranzler bis Spier und vom Kadettenkorps in die Kasinos ... die Wiesners haben’s so dick, dass sie’s nur noch bei Mühling kleinkriegen!“
Vater legte den eben genommenen Spritzkuchen wieder nieder und staunte ihr in die Augen. „Kooft Mühling keene Handschuh? Wer soll Jeld unter die Leute bringen, wenn ich’s nich tu? Vor meine Kunden jenier ich mir nich. Mein Jeld is keen Blech, un ich hab’ mehr wie de Leutnants mit doppelt jelaschte von Wildleder, die nur ’n Silberjroschen fürs Waschen zahlen!“
Jetzt pflichtete Mutter bei: „Dass du’s ihnen zu billig lässt, sag’ ich schon lange!“
Er biss in den Spritzkuchen, nahm einen Schluck aus der Tasse und fragte gemütlich: „Macht’s Mühling anders? Von mir nimmt er fürs Essen ’nen Taler, aber von Offiziere ’nen halben. Wissen ooch beide, warum wir’s ihnen billjer jeden. Die un der olle Willem haben’s doch jeschafft un Jeld ins Land jebracht. Vorher hatten wir’s nich zu Schweinsohren un Sahne von Kranzler, un alles jing eenknöpfig. Nu haben wir den Kaiser un wat in de Taschen. Aber so’n Leutnant kann von 25 Taler nich mit un hat’s doch verdient. Also kriegt er’s billjer bei mir, bei Mühling un überall!“
Seine Augen zwinkerten wieder Dora zu. „Dir is schon recht, dass wer hinjehn?“
Sie nickte froh, aber stumm, um die Mutter nicht zu ärgern. Vater sah ihr Lachen mit Wohlgefallen. „Jehörst hin, zu Mühling! Wenn wir Ollen erst mal unter de Erde liegen un du ’n Mann hast, wie Vater dir schon einen suchen wird ...“
„Verdirb das Kind nicht,“ mahnte Mutter, „mit Kranzler und Mühling fängt’s an, aber endet ...“
„In Charlottenburg!“ Er schlug die Hand auf den Tisch. Doch mit behaglichem Knurren warf er seinen Rücken an die Sofalehne und knöpfte die Weste unter offenem Schlafrock auf. „Hab’ eben noch nachjerechent! Laden un Inventar bringen 10 bis 15 000 Taler ...“
Dora sah wieder Ärger in den Augen der Mutter, die von des Vaters Absicht das Geschäft zu verkaufen nie hören wollte. Doch er rechnete an den Fingern weiter: „In Schicklers Bank liegen 27 000 Taler, un für die Irundstücke draussen bietet Schrimp jetzt schon 90 000, wo sie mir vorig’ Jahr die Hälfte jekostet haben un du ooch nischt von wissen wolltest, Miekchen! Nu lass mir weitermachen! Ihr zieht euch für Mühling an. Un wenn er dienern kommt, guckst de bloss über die Schulter und nickst wie deine Dora. Die versteht so wat!“
„Verdreh’ dem Kind nicht den Kopf. Genug, dass einer im Haus die Grossmannssucht hat. Eine Berliner Meisterstochter gehört ins Haus, aber nicht ins Hotel de Rome. Bring’ sie doch gleich an den Hof!“
Er war nicht um seine gute Laune zu bringen. „Jott, Miekchen, sin ooch schon Meister int Palais jejangen. Krupp hat mit Willem un Aujuste jejessen un doch noch mit Schürze un Hammer ans Feuer jestanden? Unter Willem kommt hoch, wer wat kann!“
Doras Augen blinkten in aufmerksamer Erregung. „Krupp giesst auch Kanonen. Sonst hätte der Kaiser ihn nicht eingeladen!“
Er haschte ihr Ohrläppchen und Kliff mit den Fingern hinein. „Fängst du ooch an, Schlingel? Vatern red’t ihr doch nicht dot! Der kennt sich aus. Willem hat Krupp nich wejen de Kanonen jeholt, sondern weil er’s mit Fleiss un Sparen zu wat jebracht hat un weil eener wie der andere is: morjens früh raus un abends spät ins Bett, immer verdienen un’ nie verurschen!“
Dora war nicht überzeugt. An den Hof kam doch nur, wer adelig geboren war. Vater schüttelte den Kopf und zählte Namen auf. Der General von Reyher war Hütejunge gewesen, aber als Chef des Generalstabes gestorben. Endlich sprach er von seinem Stammtischfreund, dem Geheimen Hofrat Schneider. Der Vorleser und Vertraute des Kaisers war noch lange kein Meister, sondern nur ein Schauspieler und Federfuchser gewesen. Dem Prinzen von Preussen schickte er immer seinen „Soldatenfreund“ und klopfte endlich an die Tür von Schloss Babelsberg.
„Und der Prinz hörte ihn?“
Der Vater staunte über Doras Zweifeln. „Wozu is er denn da? Det fragt Willem nämlich selbst, wenn sie ihm sagen, ’n Kaiser dürfe nich mehr Telegramme un Briefe uffmachen un Quängeleien anhören. Der Olle will, dass an ihn ’ran kommt, wer ihm wat zu sagen hat. Darum rief er damals auch Schneidern in seine Stube un hat ihn zum Vorleser erst von Friedrich Wilhelm dem Vierten un denn von sich jemacht. Vorlesen lässt er sich aber jarnich. Det is Willem nich sicher jenug. Könnt’ eener wat überspringen, un Oogen hat er selbst im Kopp. Wat in de Stadt un ins Land vorjeht, will er von ’n einfachen Mann wie Freund Schneider wissen. Kriegt’s auch zu hören, denn wir jeben’s dem Jeheimen am Stammtisch!“
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