Bevern bestätigte: „Auch den Seiltänzer hat sie an den Hof geholt. Perponcher sagt ihren Ohren mehr als ...“
Ollich schlug mit flacher Hand auf den Tisch. „Du hast den Schnabel zu halten, wenn wir Preussen über die Herrschaft räsonnieren. Ihr Beverns seid überhaupt noch reichsständisch!“
„Und den Hohenzollern ebenbürtig“, nickte der blonde Graf trocken.
Ollichs Lachen wieherte. „Frag’ mal den alten Herrn, ob er sich den Beverns oder Ollichs ebenbürtiger fühlt!“
Götz rollte die runden Augen unter dem dünnen Haar seiner kränkelnden alten Rasse „Preissenfrechheit!“
Ollich schlug im Ärger den Glasdeckel zu, weil Zweifeln aus allen Mienen spöttelte. „Will euch sagen, wer wir sind! Urgrossvater geadelt. Nun ich’s zu was gebracht hab’, sollt ihr wissen, dass er ein Windmüller war ...“
Beim hellen Lachen der vier Hörer fuhr er zornig auf, aber Götz klopfte auf seine Schulter. „Wir freuen uns nicht über den Müller, sondern über dich. Zu was hascht’s denn gebracht?“
Ollich staunte. „Zum Leibpagen Seiner Majestät! Ich giesse ihm Wein ins Glas, und Vater trinkt sogar mit ihm, weil wir in drei Generationen drei preussische Generale hatten!“
Als die anderen schwiegen, wuchs sein Übermut. „Das gilt dem Kaiser mehr als ein Grafentitel! Die Sansculotten versprachen jedem Tüchtigen freie Bahn! Sie sagten’s! Unsere Könige taten’s!“
Wedell hob das Glas. „Frieden unter dem Kaisergesinde!“ Auch Heistenberg durfte anstossen. Berlichingen klagte beim Anzünden einer Zigarre, dass sie bei Bönicke und Eichner jetzt schon einen Silbersechser koste. In Heistenbergs anderes Ohr fragte Bevern nach der schönen Berenice von Zieritz und meinte Marietta di Dio vom neuen Wintergarten sei doch wohl noch hübscher. Hans nickte ohne hinzuhören und sah beim eiligen Essen oft nach der Uhr. Um halb zwei warf er das Achtgroschenstück auf den Tisch und den Mantel um die Schultern. Auch Ollich stand auf, als wolle er mitgehen.
„Danke, bin verabredet!“
Draussen sah Hans vor dem Einbiegen in die Friedrichstrasse argwöhnisch zurück. Als der Kamerad nicht nachkam, ging er ruhiger südwärts und drehte vor der Taubenstrasse den Kopf nach links, um in das Schaufenster des Wiesnerschen Handschuhladens zu blicken.
Dora war leider noch nicht allein. Im Plaudern mit einem Kunden stützte sie die runden Arme auf den Schaukasten und warf eben beim Lachen den schwarzhaarigen Kopf zurück. Für einen Augenblick war das Weiss ihres hohen Halses zu sehen. Dann senkte sie den Scheitel wieder, und die blauen Augen schienen durch die Scheibe ihn zu gewahren. Zu einem unmerklichen Nicken spitzte sie den vollippigen, kleinen Mund.
In froher Ungeduld schlenderte er zur Leipziger Strasse und wieder zurück. Zwei Herren standen vor Dora. Er trat an die Scheibe. Sie warnte mit verstohlenem Kopfschütteln. Er ging über den Damm und wartete, bis endlich einer der Fremden aus dem Laden trat. Nach Ewigkeiten erst hallte auch hinter dem zweiten das Schellen der Türklingel über die sonntagsstille Strasse.
Da die Luft rein schien, querte er den Damm und sprang über die Stufe in den Laden. Die Türglocke klingelte hoffentlich für zwei Stunden nicht wieder! Dora warf nach dem Gruss die Lippen auf. „Nur einmal vorbeigegangen. Nach dem Hofball ist man sich wohl zu gut?“
Die Daumen im Koppel, lachte Hans in die blauen Augen unter breiten schwarzen Brauen. „Man wollte sich nicht ärgern.“ Sein linker Daumen wies über die Schulter den eben gegangenen Fremden nach.
„Man darf Platz nehmen!“ Auch sie sass hinter dem Glaskasten nieder, und bald näherten sich ihre Köpfe. Augen und Lippen lachten in ungeduldigem Wünschen auf gleicher Höhe. Er haschte ihre Hand und streichelte auch den Unterarm. Sie barg die Finger hinter dem Rücken. „Nur beim Verpassen von neuen!“
Er hielt schon die andere Hand. „Da könnt’ ich lange warten. Zwei Dutzend für die Equipierung sind fertig, und mehr brauche ich für Jahre nicht!“
An der Hand zog er ihren schlanken Oberkörper weiter über den Schaukasten. Ihre Lippen trafen sich und blieben aufeinander. Ihre Augen waren noch geschlossen, als die Türklingel schellte. Im Schrecken sprang Dora vom Sitz auf. Hans drehte den Kopf.
„Sapperlot“, schmunzelte ein geschniegelter Dreissiger im offenen Gehpelz. Moschusgeruch wehte mit ihm in den Laden. Sein bunter Schlips trug eine glitzernde Diamantnadel. Die Stimme hatte gutmütig gespöttelt, aber aus dem weinroten Gesicht mit starker Hakennase und hängendem braunem Schnurrbart sprach Verdruss. Doras Augen schienen zu drohen, als sie mit kaltem Ernst fragte: „Herr Baron wünschen?“
„Krawatten“, sagte er und verbeugte sich, als verstehe er die Mahnung zu schweigen. Bald hatte er zwei Schlipse gewählt. Dora nannte den Preis. Er warf einen Taler auf die Glasplatte und lüftete den hohen Seidenhut. Im Gehen sprach er nicht. Doch war Hans, als zwinkere er mit den Augen nach Dora.
Ärgerlich starrte er ihm nach, aber Eifersucht wie Verlegenheit über das Ertapptsein schwanden vor Doras lächelndem Gleichmut. Er wies auf das Geldstück. „Einen ganzen Taler für zwei Schlipse?“
Sie schloss schon Schachteln und rief beim Öffnen eines Wandschranks über die Schulter: „Drei Dutzend davon seit einer Woche verkauft! Auch Vater waren sie zu teuer, aber der Reisende liess die Ware hier, und die Kunden kaufen wirklich. Die Leute tragen Geld in allen Taschen. Vor dem Krieg gab keiner mehr als fünf Gute für einen Schlips, der zwei Jahre halten sollte. Heute fordern sie Seide und fragen nicht nach dem Preis!“
Zum Einräumen stieg sie auf die Leiter. Von ihrer schmalen Taille über den breiten Hüftenpolstern der Jahresmode fiel ein braunes Tuchkleid auf weisse Strümpfe in schwarzen Stiefeletten. Der schmale Fuss mit hohem Spann war zierlich, und biegsam die schlanke Figur mit zarter Brustwölbung. Doch auch im Bewundern staunte Hans noch über den Kauf des Fremden. „Der Kerl muss ein Sündengeld haben!“
Dorchen atmete nach dem Sprung von der Leiter tief und schnell. „Kennst du Friedrich Freiherrn von der Rottenburg, genannt von Schrimp nicht?“
Beim Klang des Namens horchte der wieder Sitzende auf. Dora stützte den rechten Ellbogen auf den Schaukasten und erzählte von dem Baron, der als Leutnant gescheitert war. Ihre Finger spielten mit der blonden Haartolle über Heistenbergs linkem Ohr. Ein Flirren glühte bald in seinen hellen Blauaugen, deren Aussenwinkel leicht nach oben standen, als habe eine Ahnfrau des hübschen Jungen sich in einen Asiaten verguckt. Wünschend zuckte sein frauenhaft kleiner Mund, der ein blutrotes Viereck auf hoher Kante schien. Auch ihr Blut rann wärmer. Sie neigte ihm den Kopf zu und schauerte unter dem Druck seiner Lippen.
Viel zu früh gab er sie frei. Ihr Herz klopfte noch, als er schon wieder nach Schrimp fragte. Der Baron war ein Tausendsassa und Allerweltsagent, der die Reklametrommel als Meister schlug. Von allen leeren Hauswänden und aus allen Zeitungen Berlins schrie seine Anzeige: „F. von Schrimp macht alles.“ Er kaufte und verkaufte Häuser, Pferde, Weine, Zigarren, seltene Briefmarken, Gemälde. Er versicherte Menschen und Tiere oder suchte und fand als Detektiv Verbrecher. Sie lachte. „Vater bewundert den Pfiffikus, weil er wirklich ein Sündengeld verdient!“
Hans rümpfte die Nase. „Der schäbige Kerl zieht also einen guten alten Namen in den Schmutz. Seine Vettern oder Brüder schlagen doch die Augen nieder, wenn sie seine Reklame sehen!“
Dorchen riss an der Haartolle. „Er macht Heu, während die Sonne scheint! Sie lacht ihm, weil Berlin noch keinen Baron als Agenten hatte. Vater kennt ihn vom Stammtisch im Schweren Wagner und gibt ihm Aufträge. Also muss er den Mund halten und darf nichts verraten. Sonst könnt’ ich ihm einen Strich durch seine Rechnung machen. Aber jetzt will ich vom Hofball hören!“
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