Otto von Gottberg - Die weiße Villa

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Deutschland kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges. Admiral Barenheim wird von seinem Burschen unsanft aus dem Schlaf gerüttelt. «Herr Admiral, mit Herrn Kapitänleutnant von Heidebreeg ist was los!» Schnell stellt sich heraus, dass der Bursche nicht betrunken ist, wie der Admiral zunächst mutmaßt, sondern dass mit Heidebreeg in der Tat etwas los ist. Genauer: Er ist tot, hat sich eine Kugel in den Kopf geschossen – und das auch noch in der weißen Villa Admiral Barenheims. Der Admiral begreift nicht: Wie kann sich Kapitänleutnant von Heidebreeg als guter Soldat das Leben nehmen, wo doch gerade die große Mobilmachung bevorsteht? Hätte er nicht einfach noch etwas warten und sich auf dem Feld der Ehre opfern können, wenn er wirklich lebensmüde war? Doch bald ergeben sich Indizien, die die ganze Sache in einem anderen Licht erscheinen lassen. Eine kleine Kassette mit wichtigen Geheimdokumenten ist verschwunden, Heidebreeg kann sich, wie es sich herausstellt, gar nicht selbst erschossen haben, und dann ist da die Sache mit dem bei ihm gefundenen Taschentuch, das Ada Harder, der Schwägerin des Admirals, gehört, deren Ehe in Trümmern liegt und die im Verdacht steht, mit Heidebreeg Liebeshändel gehabt zu haben. Doch steckt sie vielleicht sogar noch tiefer in der Sache mit drin – eine Affäre, die sich bald als klarer Fall von Spionage herausstellt? Kommissar Vorot beginnt zu ermitteln. Auch Kapitänleutnant Rießthal will unbedingt die Wahrheit wissen, auch wenn sie schmerzhaft werden dürfte: Fühlte er sich doch stark zu Ada hingezogen, träumte schon von einer Ehe mit ihr, und muss nun erkennen, dass er nur ein Tor war, der sich von einer Neigung hinreißen ließ, und Ada «eine Kokette wie allen Frauen» ist und, schlimmer noch, darüber hinaus die mutmaßliche Verbündete einen Spions. Aber ist sie das auch wirklich? Und was ist mit Adas ehemaligem Diener, dem verdächtigen Holländer Carl Hentjen? Ein spannender Militär-Krimi, wie man sie nur selten findet!-

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Otto von Gottberg

Die weiße Villa

Roman

Saga

Die weiße Villa

© 1919 Otto von Gottberg

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711529980

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

1

Herr Admiral, Herr Admiral!“

Da der Schläfer unbeweglich blieb, beugte Matrose Kirn sich über das Bett und rief noch lauter:

„Herr Admiral!“

Barenheim blinzelte mit den Augen und runzelte die Stirn in Aerger, denn sein Bursche hob gar schon die Hand zum Wachrütteln.

„Herr Admiral, mit Herrn Kapitänleutnant von Heidebreeg ist was los.“

Barenheims Blick glitt von der auf dem Nachttisch stehenden Uhr wieder zum erregten Gesicht des Matrosen. Hatte die Aussicht auf Krieg den Mann um den Verstand gebracht oder ermutigt, über den Durst zu trinken? Warum weckte er vor der befohlenen Zeit? Und was sollte mit dem Ersten Admiralstabsoffizier des Geschwaders „los“ sein? Freilich konnte der Tag kaum früh genug beginnen. Seit dem gestrigen Einlaufen von der Nordlandfahrt war „drohende Kriegsgefahr“ erklärt und bald der Befehl zur Mobilmachung zu erwarten. Mehr ironisch als ärgerlich fragte er:

„Was denn, mein Sohn?“

„Er hat sich erschossen!“

Da richtete Admiral Barenheim sich auf und griff mit unsicherer Hand nach den Kleidern. Während des hastigen Anziehens beobachtete er den Matrosen argwöhnisch. Doch Kirn stand gerade und schritt sicher. Der Bursche war wirklich nicht betrunken, nur erregt. Aber warum sollte Heidebreeg sich am Vorabend einer Mobilmachung erschiessen? Der Kapitänleutnant war als Soldat geschätzt, als Mensch beliebt und sprach gestern, während der letzten Mahlzeit an Bord, noch in froher Ungeduld von seinem Hoffen auf Krieg und die erwartete Beförderung zum Stabsoffizier. Nachmittags hatte Barenheim mit ihm und dem Zweiten Admiralstabsoffizier Riessthal über Mobilmachungsvorschriften gesessen, bis das Flaggschiff zum Kohlen in den Heinrichshafen fuhr. Da nahm er den Stab in seine weisse Villa am Kanalufer mit, um den Behörden an Land und namentlich dem Telegraphenamt nahe zu sein. Um zwei Uhr morgens ging Riessthal an Bord. Heidebreeg bat um Erlaubnis, sich bis fünf Uhr unten im Arbeitszimmer auf dem Ledersofa ausstrecken zu dürfen. Jetzt schloss der Admiral die Knöpfe des blauen Bordjacketts und fragte: „In meinem Zimmer?“

Der Matrose stand straff:

„Jawoll, Herr Admiral. Wie ich eben um Fünfe zum Wecken in die Stube komme, liegt er mit ’ne Kugel im Kopf aufs Sofa und daneben der Revolver!“

Kopfschüttelnd hastete Barenheim mit dem Burschen über die Treppe ins Erdgeschoss. Durch die noch offene Tür zum Arbeitszimmer sah er an der Wand gegenüber Heidebreeg auf dem Ledersofa mit dem Gesicht zur Rückenlehne liegen. Schnell trat er hinter das linke Seitenpolster und beugte sich über des Kapitänleutnants Kopf. Die Stirn trug eine runde kleine Wunde, um die nur wenig Blut geronnen war. Ein Revolver lag neben der linken Hand und schien der auf leicht angezogenen Knien ruhenden rechten entfallen. Im Zimmer hing mit des Vorabends schwüler Hitze muffiger Tabaksgeruch. Die Fenster waren über Nacht geschlossen geblieben.

Barenheim legte die Finger auf Heidebreegs Stirn. Sie war kalt, und die Berührung brachte ein Erschauern. Gewiss begann bald eine Zeit grossen Sterbens, doch erschütterte der Verlust eines treu ergebenen und befreundeten jungen Offiziers in elfter Stunde vor der grossen Fahrt. Damit regten sich Zorn und Aerger. Warum hatte der Tote nicht gewartet, bis der Kampf ihm Gelegenheit zu einem soldatischen Ende bot? Auch kleinliche Gedanken huschten durch das Hirn. Konnte Heidebreeg zum Sterben keinen anderen Ort als das Haus der Frau eines stets wohlwollenden Vorgesetzten wählen? Dann dachte er nur noch als Befehlshaber, hiess den Matrosen die Fenster öffnen und wies ihn aus dem Zimmer. Im Korridor schloss er die Tür ab, steckte den Schlüssel in die Tasche und befahl: „Sie laufen schleunigst zum Schiff und holen Kapitänleutnant Riessthal. Er soll den Oberstabsarzt und den Kriegsgerichtsrat rufen lassen!“

„Zu befehlen, Herr Admiral.“ Der Mann machte kehrt und wollte die Haustür aufklinken. Doch war von innen abgeschlossen. Der Admiral sah ihn den Schlüssel drehen, kam nach und ging als erster über die drei Stufen in den Garten. Ein Matrose auf Posten präsentierte das Seitengewehr.

„Haben Sie während der Nacht einen Schuss gehört?“

„Nein, Herr Admiral!“ Dachte der Geschwaderchef, der Feind könne über Nacht bei Emden gelandet sein?

„Nichts, gar nichts Ungewöhnliches, mein Sohn?“

Der Verblüffte schüttelte den Kopf: „Nein, Herr Admiral, nur viel Donnern. Es hat gewittert.“

„Weiss ich.“ Auch ihn hatte das Wettern geweckt. Noch hing in der Luft feuchte Schwüle, die einen neuen heissen Tag ahnen liess. Er ging um das Haus und befragte den zweiten Posten. Auch der Obermatrose hatte keinen Schuss gehört und keinen Menschen im Garten gesehen. Wenn Heidebreeg sich wirklich erschossen hatte, musste er den Revolver während eines Donnerschlages abgedrückt haben. Doch Barenheim mochte an Selbstmord nicht mehr glauben. Um dem Klatsch den Weg in die Stadt zu sperren, schärfte er beiden Posten ein, niemand aus dem Haus zu lassen, und mahnte sie, auch auf die nur von innen zu öffnende Tür des Eiskellers im Gebüsch neben der rechten Seitenmauer des Hauses zu achten.

Dann ging er wieder nach oben und war für den Tag angekleidet, als Kirn das Kommen Riessthals meldete. Schon von der Treppe sah der Admiral den Kapitänleutnant mit dem Oberstabsarzt Doktor Kundrich und Kriegsgerichtsrat Lund in der Halle flüstern. Ihre ernsten Mienen erzählten, dass der Bursche von dem traurigen Geschehen gesprochen hatte. Verstört standen auch des Hauses Dienstboten in der offenen Tür vor den Stufen zu Küche und Eiskeller. Barenheim befahl ihnen, die Damen zu wecken und bat die drei Herren ins Arbeitszimmer. Seine Hand wies zum Sofa. Doktor Kundrich beugte sich über Heidebreeg und griff nach den Schultern, als wolle er die Leiche auf den Rücken betten.

„Verzeihung, Herr Stabsarzt,“ wehrte der Kriegsgerichtsrat, „ehe Sie ihn berühren, sind Tatbestand und Befund aufzunehmen!“

Kundrich legte die Finger auf die Stirn des Toten und zuckte die Achseln:

„Zu helfen wäre auch nicht. Er muss über zwei Stunden tot sein, denn das Blut ist geronnen.“

Riessthal trat auf Fussspitzen an das Sofa und schüttelte in schmerzlichem Staunen den Kopf. Der Tote war ihm ein lieber Freund und Kamerad langer Jahre gewesen, aber hatte neuerdings oft seine Eifersucht geweckt. Den Groll darüber bat er ihm ab und verschlang die Hände zu kurzem Gebet. Das Gesicht wieder ins Zimmer kehrend, sah er auch den Geschwaderchef auf die Leiche starren. Barenheims sonst glatte weisse Stirn über dem wetterbraunen Gesicht trug Furchen von Unmut. Jetzt straffte er zu voller Höhe die schmale Gestalt, die in der knappen blauen Uniform mit breiten goldenen Aermeltressen noch jugendlich schlank und biegsam aussah. Seine schmale Hand strich über des Scheitels gepflegtes Dunkelblond, das ein erstes Grau über den Ohren nur zu verjüngen schien, und die Stimme schnitt mir scharfer Helle in das Schweigen: „Meine Herren, ich glaube nicht an Selbstmord. Heidebreeg war zu guter Soldat, um sich vor der Mobilmachung zu erschiessen.“

Riessthal nickte überzeugt. Im dienstlichen Verkehr zweier Jahre hatte er gelernt, sich des verehrten Vorgesetzten Anschauungen blindlings zueigen zu machen. Doch der Kriegsgerichtsrat wiegte den Kopf, als wolle er sagen, Heidebreeg könne nur durch einen Schuss von eigener Hand gestorben sein. Er öffnete schon die Lippen, als der Bursche ins Zimmer trat:

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