Otto Kallscheuer - Zur Zukunft des Abendlandes

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Als die Osteuropäer nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen werden wollten, waren ihre westlichen Nachbarn nicht wirklich begeistert. Nachdem nun auch noch die Türken behaupten, sie gehörten mit dazu, suchen sogar Ungläubige nach Europas christlichen Wurzeln. Zudem hat Europas Wirtschaftsunion Gegenwind bekommen: von den asiatischen Tigerstaaten mit ihren imposanten Wachstumsraten. Ein souveränes Machtzentrum können die vereinigten europäischen Staaten bis heute nicht vorweisen. Kein Vergleich mit der transatlantischen Bruder- und Supermacht im Westen. Doch dies, so belegen Otto Kallscheuers Essays zu den kulturellen und religiösen Traditionen des Abendlandes, muss kein Standortnachteil sein. Pluralismus und Multilateralismus sind schließlich Tugenden, die wir im neuen Jahrtausend noch brauchen werden. Nicht nur in Europa.

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Otto Kallscheuer

ZUR ZUKUNFT

DES ABENDLANDES

Essays

Otto Kallscheuer 1950 im Rheinland geboren Politikwissenschaftler und - фото 1

Otto Kallscheuer, 1950 im Rheinland geboren, Politikwissenschaftler und Philosoph, derzeit Professor an der Universität Sassari, lebt in Sardinien und Berlin. Freier Autor u. a. für die FAZ , die NZZ, DIE ZEIT ; Forschung und Lehre u. a. an der Freien Universität Berlin, dem Institute for Advanced Study Princeton, New Jersey; letzte Buchveröffentlichung: »Die Wissenschaft vom lieben Gott«. (2006).

Reihe zu Klampen Essay ,

herausgegeben von Anne Hamilton

© 2009 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe

info@zuklampen.de· www.zuklampen.de

Satz: thielenVERLAGSBÜRO, Hannover

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

Umschlag: Matthias Vogel (paramikron), Hannover,

unter Verwendung eines Fotos

von Lucky Dragon - Fotolia.com

ISBN 978-3-86674-210-9

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.ddb.de› abrufbar.

Inhalt

Cover

Titel Otto Kallscheuer ZUR ZUKUNFT DES ABENDLANDES Essays

Der Autor Otto Kallscheuer , 1950 im Rheinland geboren, Politikwissenschaftler und Philosoph, derzeit Professor an der Universität Sassari, lebt in Sardinien und Berlin. Freier Autor u. a. für die FAZ , die NZZ, DIE ZEIT ; Forschung und Lehre u. a. an der Freien Universität Berlin, dem Institute for Advanced Study Princeton, New Jersey; letzte Buchveröffentlichung: »Die Wissenschaft vom lieben Gott«. (2006).

Impressum Reihe zu Klampen Essay , herausgegeben von Anne Hamilton © 2009 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe info@zuklampen.de · www.zuklampen.de Satz: thielenVERLAGSBÜRO, Hannover 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016 Umschlag: Matthias Vogel (paramikron), Hannover, unter Verwendung eines Fotos von Lucky Dragon - Fotolia.com ISBN 978-3-86674-210-9 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.ddb.de › abrufbar.

I. VORWORT

II. BYZANZ UND SEINE TRÜMMER

Von der Kehrseite des Abendlandes

Ägäische Kreuzfahrt

Partitio Romaniae

Das christliche Rom

Der Grundwiderspruch von Byzanz

Herbst der Patriarchen

Translatio Imperii

Autokephale Wendehälse

Symphonie und Autokratie

Leib und Seele

III. DREI REICHE – WIE VIELE ZIVILISATIONEN?

Rückblicke auf das Ende der Geschichte

Hegel in Washington – und in Paris

Culture Club

Zwei Politikberater

Offene Enden der Geschichte

Kirche und Reich

Kulturzonen und Ethnokratie

Wer ist mein Nächster?

IV. REFORMATION UND REVOLUTION

Novalis’ poetische Ökumene

Verfremdung und Zutrauen

Ein Text – Zwei Kontexte

Pfingsten oder die Ökumene

Politische Tristesse, poetische Revolte

Das untergehende Vaterland

Verratene Revolution – versteinerte Reformation

Es war einmal

V. DER ISLAM IN EUROPA

Kulturelle Minderheit oder Weltreligion?

Eine Religion wie jede andere?

Religion Oder Zivilisation?

Orientalische Fragen

Zweierlei Heimkehr der Kolonien

Ethnischer Islam …

… und virtuelle Ummah

VI. ALTERNATIVE ABENDLAND?

Zum politischen Status der Europäischen Union

Der Balkan und der Kontinent

Die Republik und das Monstrum

Bürgerreligion und Nationalstaat

Das Abendland oder Europa

Föderalismus Und Pluralismus

Kein Volk, Kein Kaiser, Kein Tribun

Literaturhinweise

I. VORWORT

Liegt das Abendland im Westen?

Wie deutlich die Welt

ist Im Fadenkreuz

des Theodoliten.

Das kühle Auge

der Dosenlibelle:

ein winziger Himmel.

Hans Magnus Enzensberger,

Blindenschrift (1960)

1

Vor zwanzig Jahren haben wir auf der Mauer getanzt. Die kleine Firma, bei der ich arbeitete, der Berliner Rotbuch Verlag, hängte am 9. November »aus aktuellem Anlaß« ein Pappschild an die Tür. Wir schlossen unsere Fabriketage an der Potsdamer Straße und gingen rüber zum Brandenburger Tor, um zu feiern. ›Drüben‹ im Osten, in der DDR, waren wir natürlich auch vorher häufig gewesen ( wir konnten ja einreisen). Schon um unsere Autoren aus der Dissidenten- und Literatenszene zu besuchen. Später stellte sich freilich heraus, daß der allergrößte Zampano unter den kritischen Kritikern ein Stasi-Offizier war.

2

Über den ungarischen Riß im Eisernen Vorhang, über den Fall der Berliner Mauer, über die zwar unfreiwillige, aber (mit wenigen Ausnahmen) am Ende doch friedliche Entmachtung des Kommunismus in Osteuropa war die Freude noch allgemein. Während des Kalten Krieges hatten Ost- und Mittel- und Südosteuropäer jahrzehntelang von ihrer ›Rückkehr nach Europa‹ geträumt. Als sie dann nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in die Europäische Union aufgenommen werden wollten, waren die Völker im Westen deutlich weniger begeistert. Und dies hatte nicht nur ökonomische Gründe.

Denn nun führte der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums (und seiner Satelliten oder Varianten auf dem Balkan) zur Wiederbelebung von weitaus älteren nationalen, religiösen, kulturellen Bruchlinien. In Südosteuropa wurden in den neunziger Jahren blutige Volkskriege ausgefochten und ethnische Säuberungen durchgeführt – und das gerade erst mit dem Maastricht-Vertrag (1992/1993) entstandene politische (West)Europa war weder willens noch in der Lage, sie zu verhindern. Auf dieser Seite des Vorhangs hatte niemand damit gerechnet, daß die historischen Gegensätze zwischen lateinischer und orthodoxer Christenheit, zwischen christlichen und muslimischen Bevölkerungen auf dem Balkan, am Ende des XX. Jahrhunderts wieder von Bedeutung sein könnten.

3

Und plötzlich behauptete die Türkei, auch sie gehöre in die Europäische Union. (So jedenfalls erschien es den meisten Westeuropäern. In Wahrheit waren Ankara schon jahrzehntelang Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt worden – aber niemand aus dem westlichen Club hatte dies offenbar ernst gemeint.) Angesichts der EU-Neuzugänge in Zentraleuropa und trotz einer wachsenden Anzahl muslimischer Einwanderer und Neubürger in West- und Nordeuropa (oder eben genau deswegen) löste nun die türkische Frage in Rom oder Paris oder Berlin oder Prag alte und neue Ängste aus. Weitaus weniger übrigens in London: Seit dem Ende des britischen Empire waren schließlich zahlreiche muslimische Commonwealth-Bürger, vor allem aus Britisch Indien oder Ostafrika, nach England gekommen.

4

Zudem hatte sich der damalige Dekan des römischen Kardinalskollegiums Joseph Ratzinger in dieser Debatte über die kulturellen Grenzen Europas zu Wort gemeldet und (ausgerechnet in der französischen Presse!) eindeutig gegen die türkische Mitgliedschaft in der Europäischen Union Stellung bezogen. Für türkische Ohren kam damals Ratzingers Europa-Idee jener Vorstellung vom ›Christenclub‹ ziemlich nahe, die der Führer der gemäßigt islamistischen Gerechtigkeitspartei Tayyip Erdogan allen Türkei-skeptischen Europapolitikern des Westens unterstellte. Und ausgerechnet dieser kulturelle Lateineuropäer Ratzinger wurde dann im Frühjahr 2005 zum römischen Papst und Nachfolger Petri auserkoren.

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