Der Kaiser sah vom Thronsessel seiner Gemahlin am Arm des Kronprinzen entgegen. Blond und blauäugig wie Balder kam der männlich schöne Riese. Mit dem Koller der Pasewalker Kürassiere schien die Reckengestalt die Pracht der Barbarossatage und der wallende Blondbart ein Rauschen alter Rittersagen zu tragen. Herrischer und stolzer als sein Vater ging und blickte der Sohn, aber schmunzelte über die tiefgeneigten Köpfe, als belustige ihn ein Mummenschanz. Seine Augen trafen Perponcher. Der Höfling lachte mit, und des Kronprinzen Miene erstarrte. Untertanen mussten bewundern, wo Fürsten lächeln durften. —
Sorgsam half er der zierlichen Mutter die Stufen hinan und straffte oben noch seine Figur. Er wollte Fürst, hoch, gross und weithin sichtbar sein. Mit einem mütterlichen Streicheln löste die Kaiserin ihren Arm und dankte auch ihren Pagen mit gütigem Kopfnicken, als sie die Schleppe von schwerem Silberbrokat schnell neben den Thronsessel trugen. In das stolze und kluge, sehr, sehr kluge und immer noch anmutige Gesicht einer zarten Greisin sah Hans. Augen und Wimpern schimmerten dunkel. Die sonst wohl bleichen, schmalen Wangen trugen heute Rot, und weisser Puder lag auf hochgetürmtem Kopfhaar. Von der schillernden Brillantkrone fielen lange Seitenlocken über den feinen Hals gegen die blendend hellen, schrägen Schultern. Mit Puder, Schminke und altfränkischer Frisur bot die feine, zarte Greisin den staunenden Landpomeranzen mit ihren glatten Scheiteln über frischer Wangen gesundem Apfelrot ein Bild vom Zauber längst vergangener Tage und der angeborenen Anmut wahrhaft grosser Damen.
Der Kaiser stellte im Niederlassen wie ein ordnungliebender Offizier den Helm unter den Sitz. Der Kronprinz schob ihm mit scherzendem Diensteifer den Thronsessel zu, und sein Lächeln lud zum Erwidern ein. Der alte Herr gab vor, er sähe nichts. Sein Gesicht blieb ernst. Er war König und im Dienst.
Prinz Friedrich Karl hatte die Grossherzogin von Baden zum Sitz neben der Kronprinzessin geführt und stapfte wuchtigen Trittes zur Hinterwand. Auch in silberverschnürter roter Attila mit Pelzverbrämung schien er nicht festlich gekleidet. Die losen Kniehosen sackten über den hohen Stiefeln. Über des Leibes starker Fülle schlug das Rocktuch Falten. Aus dem bärbeissig strengen Gesicht unter fast blauroter Haut und blondem Rundbart sahen stahlblaue Augen über Frauen und Männer hinweg. Er war preussischer Prinz und General, vom Ruhm und vom Sieg in drei Kriegen geküsst. Was bot das Leben, da er die Krone nie tragen sollte?
Als Schönheit des Königlichen Hauses stieg seine Gemahlin in mattrosa Atlas die Stufen hinan. Preussens Prinzen und Prinzessinnen, Deutschlands Fürsten und Fürstinnen sassen zu seiten des Kaiserpaares nieder. Die Trompeter der Gardes du Corps bliesen aus silbernen Instrumenten eine helle Fanfare, und die Geiger schmeichelten die Melodie der „Blauen Donau“ aus den Violinen. Zwei Vortänzer der Hausregimenter zu Fuss und zu Pferd traten mit jungen Damen durch das Pagenspalier. Bald wirbelten im Viereck hundert Paare in beängstigender Nähe hinterdrein. Oft drohte ein Anprall, den der Tänzer Geschick doch mied. Mit den Zuschauern hinter dem Spalier lächelte der Kaiser dem Frohsinn der Jugend. Er wies der Kaiserin Paare oder nannte wohl Namen. Sein Nicken oder Winken grüsste auch in das Viereck, bis sein Zeigefinger den Fürsten von Putbus auf die Estrade rief. Der bärtige Vorpommer im roten Landstandsfrack plauderte lange vor den Majestäten. Hinter ihm ging auch der Kaiser die Stufen hinab, und Lehndorff bahnte einen Weg zur Gräfin Schleinitz. Hans sah den alten Herrn dort fast wie einen Jüngling scherzen. In hellem Auflachen warf er den Kopf zurück. Die rechte Hand wirbelte den Schnurrbart, während er im schnellen Sprechen und artigen Lauschen sich leichtfüssig drehte, um den Augen der Gräfin zu folgen. Sie sprach wohl von der weiblichen Jugend und winkte jungen Mädchen. Zwei der Dankelmanns knixten vor dem Kaiser. Aus dem Viereck sahen Tänzerinnen mit neidvollen Wünschen auf die beiden glücklichen Schwestern und mit dem Lächeln Bezauberter auf den greisen Herrn, der noch so ritterlich schmeicheln, so tief in Frauenaugen blicken, so fröhlich über Scherzworte lachen konnte.
Der schönen Gräfin Harrach küsste er die Hand und hielt dann die Finger eines zaghaften Blondinchens in väterlicher Freude an dem Glühen auf jungen Wangen. Kein wärmerer Bewunderer von Frauenanmut lebte an seinem Hof!
Da sah er einen hageren Graubart im Landstandsfrack und furchte die Stirn, zu der Röte von Unmut oder Ärger stieg. Als er den Zeigefinger zum Winken hob, murmelten Schadenfrohe hinter Heistenbergs Rücken: „Aha! Er nimmt Vincke-Olbendorf vor!“
Der Führer der Fronde neigte sich im Nähertreten tief. Doch der Ehrfurcht seiner Miene paarte sich Trotz, als der Kaiser nach freundlichem Verabschieden von den Damen ihm mit geschäftig kurzen Schritten um das Pagenviereck voranging. Dicht hinter Hans blieb er stehen und begann zu schelten. Vincke war nicht um Antwort verlegen: „Majestät, ich nahm mir das Recht, nach meiner Überzeugung zu stimmen!“
Da vergass auch der Kaiser zu flüstern. „Das bestreite ich Ihnen nicht, aber beanspruche meinerseits das Recht, Ihnen des Königs Meinung zu sagen!“ Vincke hörte sie, während an Hans vorbei ein Kammerherr durch das Spalier schlitterte und einem Gardedragoner auf die Schulter tippte. Der Leutnant verabschiedete sich von seiner Tänzerin, um dem Befehl einer Prinzessin zu folgen. Zwei Pagen trugen ihre Schleppe in das Viereck nach. Der Dragoner nahm die Bügel in die linke Hand, die dann auch noch der Fürstin Finger hielt. Ein Vortänzer zischte leise „st“, und eine Gasse in die Wirbelnden lag offen.
Der Kaiser ging von Vincke zu den Herren, die im Halbkreis vor seiner Gemahlin auf der Estrade standen. Unten wechselten Walzer und Galopp, denn andere Rundtänze litt preussischer Hofbrauch nicht. Plötzlich sah Heistenberg die dunkelhaarige Frau Berenice von Zieritz am Arm eines Husaren aus dem Viereck treten. Zum schnellen Atmen flatterte ihr Busen, und die schwarzen Augen trafen die seinen. Sie nickte und feuchtete beim Lächeln mit der Zungenspitze die Lippen wie ein Feinschmecker vor dem Kosten. Der lange und dringliche Blick war wieder wie Streicheln zu fühlen. Als er in Verlegenheit den Kopf drehte, sah er auch die silberblonde Marie, die ihrer Schwägerin wohl zürnte, denn eine Längsfalte krauste die Stirn über schmaler Nase.
Vor Mitternacht brach die Kaiserin auf, und bald schied auch der Kaiser. Den Helm mit Federbusch in der Linken, neigte er sich von der Estrade nach links, rechts und gegen die Mitte des Saales. Draussen warfen Lakaien die schwarze Uniformpelerine mit Pelzfutter um seine Schultern. Dann trat er aus dem Schlossportal auf den stillen Platz. Das Denkmal Friedrich des Grossen glitzerte weiss wie ein Reiter von Zucker oder Marmor unter frostklarem Sternenhimmel. Eine Schneedecke blinkte auf Fahrdamm und Bürgersteig. Die Strassenlaternen schimmerten durch gelben Dunst. Um eine Wagenburg zur Linken lärmten Kutscher. Sonst schwieg seine Hauptstadt. Er stieg ein, und der Wagen rollte an. Sein Blick glitt durch die Scheibe zur Linken. Lichter Kaiserglanz strahlte aus den Fenstern des hohen, grauen Schlosses, das die dreiste Hand eines kühnen Ahnen in Sumpf und Sand der Wildnis am Spreeufer geschleudert hatte.
Der Wagen hielt auf der Rampe des Palais. Lakaien öffneten den Schlag und hoben die Hände. Doch der Kaiser wies ihre Hilfe ab. Noch einmal schaute er die Linden entlang und zog die nach der Hitze im Festsaal wohlige Winterluft tief in die Lungen. Die Grenadiere des Doppelpostens präsentierten das Gewehr. Im Umdrehen hob der alte Herr schon einen Finger zur Helmschiene, als der Flügeladjutant vom Dienst ihn stutzen und mit den geschäftigen Schritten zu dem Grenadier am linken Türflügel hasten sah. Die blaurot starre Hand vor dem Gewehrriemen zitterte, als habe der Mann ein schlechtes Gewissen.
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