Die jungen Damen nahmen seine Hand in scheuem Zagen. Er strich der blonden Marie über den Scheitel. „Die Majestäten gesehen?“
Die blauen Augen lachten glücklich. „Ach, Onkel Roon, der Kaiser hat mir zugenickt!“
Da kräuselte doch ein weiches Lächeln die trotzigen Lippen. In den grauen Augen schimmerte Herzensgüte, und die strenge Miene erhellte sich. Nach hartem, kaltem Winter schien die Sonne des ersten warmen Frühlingstags zu lachen, als er nickte: „Ja, Kind, mein König sieht und beglückt uns alle!“
Er konnte lieben, aber schenkte das Herz nur dem König. Sein Bass dröhnte ins Ohr der alten Marschallin, als Hans wieder den verwirrenden Blick der dunkelhaarigen Frau von Zieritz fühlte. Dicht vor ihn trat sie und sah an ihm hinauf und hinab. Der schlanke, schmalhüftige Page im scharlachroten Rock mit Silbertressen schien zum Anknabbern hübsch. Lange Rockschösse fielen über seidene Kniehöschen und schön geschwungene Waden in prallen, weissen Strümpfen. Ein kleiner Degen mit Portepee stand von der linken Hüfte, auf die er den Dreispitz mit Straussenfedern drückte. Die Hand zitterte unter den Spitzen des Ärmels. Sogar das Jabot vor der Brust bebte zum Klopfen des Herzens. Dunkelrot flammte die glatte Haut des runden Knabengesichts mit hellen blauen Augen und zwei Grübchen, zwischen denen der schmale, vollippige Mund ein blutrotes Viereck auf hoher Kante schien. Berenice lachte. „Tanzen Sie, hübscher Page?“
„Verboten, gnädige Frau!“ Er schämte sich, als sie da mit einem kleinen Zeigefinger in weissem Glacéleder dicht vor seinen Augen drohte. „Also ein andermal, aber ... nicht vergessen!“
Marie trat näher. Die blauen Augen blinkten, als wolle sie schnell sprechen, aber ein langer, blonder Leutnant mit eisernem Kreuz und Kriegsmedaille auf roter Garde-Ulanka bat die Damen um Tänze. Seine Epauletten hingen gegen eine hohle Brust. Er hielt sich lässig, aber auch weltmännisch. Frau Berenice wies auf den Pagen, und ihre schwarzen Augen glühten. „Ist er nicht entzückend?“
Heistenberg wünschte sich unter die Erde, als sie mit streichelnder Hand gar um sein Kinn griff. Die weichen Finger drückten fest, während sie ihren Atem durch die kleinen Zähne zu schlürfen schien und lachte. „Angioletto!“ In den fremden Lauten war süsses Streicheln.
Marie krauste die Stirn. Der lange Ulan schien zwischen Lachen und Gähnen zu schwanken, ehe er mit einem Achselzucken Hans in die Augen sah. „Frau von Zieritz Ausländerin.“ Dann drehte er sich zu ihr und warnte: „Gnä’ Frau, Page bald Offizier!“
„Aber doch ein Angioletto“, lachte sie mit unbekümmertem Kopfnicken gegen Heistenberg und hob ihre Schleppe, um mit Marie den Eltern nachzugehen. Der lange Ulan blieb stehen. „Hagnitz!“ Da war Hans unterrichtet. Der Freiherr aus reichsständischem Hause hatte früher Rennen geritten, aber plötzlich zwischen Morgen und Abend seinen Stall aufgelöst. Wahrscheinlich langweilte er sich auf dem grünen Rasen wie hier im Weissen Saal. Gähnend sah er Frau von Zieritz nach. „Aus Italien! Alles wärmer als bei uns ... Musik, Theater, Revolution und Temperament!“ Seine Linke glättete den hellblonden, ausgezwirnten Schnurrbart, der wagerecht bis zu zwei schmalen, dünnen Haarstreifen vor den Ohren hing. Die Rechte schob er tief in die Beinkleidtasche und schlenderte mit hohler Brust und rundem Rücken lässig davon. Der Kopf hing über den Kragen. Die Knie waren krumm. Die Fussspitzen traten geradeaus. — —
Ollich liess sich von der Unterhaltung erzählen. Der Saal war bald leer. Das Warten ermüdete. Schon brannten die Fusssohlen in den engen Schnallenschuhen, als endlich drei Schläge auf das Parkett zum Aufpassen mahnten. Die Hofpagen im Spalier standen straff. Eine Doppelreihe ihrer Kameraden mit den silbernen Querschnüren von Leibpagen auf dem Scharlachrot trat durch die Westtür in den Saal. Zu vier Gliedern schritten in flinkem Gleichschritt Damen und Herren im mittelalterlichen Pomp der Hofchargen hinterdrein. Vier schillernde Schlangen mit funkelnden Schuppen von Gold, Silber, leuchtender Seide und buntem Sammet schienen schnell über das blanke Parkett zu gleiten.
Als letzter tänzelte allein Graf Perponcher mit dem Stab des Oberhofmarschalls. In theatralisch feierlicher Würde hielt er sich steif wie den Stock. Der noch schöne Mann von hoher Gestalt schien in den seidenen Unterkleidern von fast weiblicher Zierlichkeit. Die Fussspitzen in Schnallenschuhen traten weit auswärts, und der Kopf lag im Nacken. Hoffärtiger Stolz blähte die Nasenflügel. Vom pechschwarzen Schnurrbart ragten scharfe Spitzen auf. Der fast kahle Kopf trug schon Greisenschnee, und eine goldene Lockennadel hielt die über die blanke Haut gezogenen dünnen Haarsträhnen über dem linken Ohr zusammen. Künstlich wie die Farbe des Schnurrbarts schien die der schlaffen Wangen. Für Stunden hatte er gewiss beim Schniegeln, Putzen und Schminken gesessen. Schon das Anlegen des brillantglitzernden Mosaiks von Frühstücksorden auf der Brust nahm wohl viel Zeit. Hans dachte, dass Perponcher in den Kasinos der Seiltänzer oder Saltimbanque hiess, aber sein Lächeln starb in einem Schauern der Ehrfurcht vor der schlichten Hoheit Kaiser Wilhelms, der jetzt mit der Kronprinzessin am Arm über die Schwelle trat und mit den geschäftig kurzen Schritten älterer Offiziere im Dienst zur Estrade ging. Auch seine Miene, sagte er, fühle sich im Dienst.
Durch Schillern und Gleissen höfischen Prunks trug die ritterschöne Gestalt den einfachen blauen Rock seines Fussvolks mit schmalen bleichen Silberlitzen am Kragen. Kein Pomp, kein Stolz sprach aus der Haltung, aber doch die Würde des Herrschers und Gebieters. Der Adel warmer Herzensgüte des Gesichts paarte sich dem Zauber einer Demut, die fast Anmut schien. Ein Patriarch und wahrer König sah huldvoll, aber auch in ernstem Prüfen über die tiefgeneigten Scheitel im weiten Saal. Ehrfurcht heischten, aber Achtung zollten auch die guten Augen von einem selten klaren, lichten Himmelsblau. Sie sollten den Azursternen Friedrichs ähneln, obwohl der schnelle Funke des Genies wohl nie aus ihnen blitzte. Sie strahlten auch nicht voll und rund wie des Ahnen Sonnen, sondern bargen sich hinter den schweren Hängelidern eines Nachdenksamen, der vor dem Wagen gewiss lange wägte. Weit voneinander aber standen sie und konnten nichts aus engem Winkel sehen. Raum heischte zwischen ihnen eine schon oben nicht schmale und unten gar starke, eingebogene Nase. Der silberweisse Schnurrbart gab die dünnen Lippen nur in der Mitte frei. Vom rechten Mundwinkel ragte die Spitze aufwärts, als spiele die Hand dort gern. Noch farbenfrische Wangen trugen zu seiten des glattrasierten starken Kinns eines Beharrlichen den glitzernd weissen Backenbart, der sorgsam gebürstet, aber wohl lange nicht verschnitten war. Dem Barbier, Schneider und Kammerdiener schien der Kaiser weniger Zeit als sein Oberhofmarschall zu opfern. Das spärliche Seitenhaar war über den schmalen, aber langen Ohrmuscheln zu den schlichten „Sechsen“ des Soldaten in Reih und Glied gebürstet. Blank und kahl wie der ehrwürdige Scheitel schimmerte die steile Wölbung der Stirn mit zwei tiefen Querfalten. Sonst trug das Antlitz wenig Runzeln. Nur die schrägen Linien von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln zogen tiefe Risse. Noch rosig schimmerte die Haut unter dem Schmelz gesunder Lebensfrische, den blaue Äderchen auf Nasenbein und Wangen vertieften. Mit erstaunlicher Beweglichkeit neigte der rüstige alte Herr den schlanken, hohen Oberleib nach rechts und links. Sein Lächeln wollte erfreuen und begnadete mit der wahrhaft königlichen Würde. Vor den Stufen zum Thronsessel auf der Estrade gab er mit tiefem Verbeugen den Arm seiner Schwiegertochter frei.
Eine Bürgerin im Sonntagsputz schien die Stufen hinanzusteigen. Zwei Leibpagen trugen an Bügeln die mannslange Schleppe ihres reichen Kleides von einem dünnen, fliederfarbenen Sammet. Der eine stolperte, und auch die Kronprinzessin strauchelte wohl, denn ihre Finger griffen hastig in das Tuch vor den Knien. Ärger zuckte in den vollen Polstern entblösster Schultern. Unmut rötete das starkknochige, breite Gesicht. Ein Hängen der frühwelken Wangen und der Mundwinkel mehrte die Hoffart ihrer Miene. Mit fliegenden kurzen Fingern an übervollen Armen sicherte sie ein Diadem blinkender Diamanten vor dem Haarknoten, der als Kugel über ihrem Scheitel lag.
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