„Zur Konkurrenz? Wer ist das?“
„Die Deutschnationalen! Sie setzen an die Stelle des Wortes Kapital das Wort Juden und halten im übrigen genau dieselben Reden. Auf die Massen wirkt eins so stark wie das andre. — Wer am besten bezahlt, hat sie.“
„Du weißt nicht, was du sprichst!“ rief Erich. „Du bist betrunken!“
Fürst, dem sich die beiden Frauen rechts und links an den Arm gehängt hatten, lachte und sagte:
„Möglich! denn, wenn ich nicht be — trunken wäre — dann — dann — wäre ich — nüchtern.“
„Schäm dich!“ schalt Erich.
„Du — du — weißt — nicht — was — du — sprichst — ohne Disziplin — verstehst du — ohne Geld — und ohne — Sekt — da ist das Le — ben — eine — Hühnerbrust.“
„Hühnerleiter!“ verbesserte kichernd eins der beiden Weiber, und die andre sagte:
„Willy, du bist himmlisch!“
„Man — muß nur einen — klaren Kopf — haben,“ erwiderte Fürst, fühlte, wenn auch nur im Unterbewußtsein, daß er sich vor Erich blamiert hatte, suchte die Situation zu retten, schwenkte den stumpfen Zylinder und rief laut:
„Es lebe die Internationale!“
Im selben Augenblick hatte er von einem Herrn eine kräftige Ohrfeige — irgendein anderer schlug ihn mit einem Stock über den Kopf — ein Dritter wieder nahm für ihn Partei und rief:
„Meine Herren! Sie befinden sich auf dem Filmball und nicht in der Berliner Stadtverordnetenversammlung!“
„Maul halten!“ rief ein Hüne. „Schlagt den Juden tot!“
„Unerhört!“ knirschte eine Kokotte: „Sie wollen ein feiner Herr sein!“
„Wir sind alle Juden,“ brüllte der dicke Herr mit den großen Perlen. „Verstanden?“ und wies in den Saal, aus dem jetzt alle auf den Flur strömten — und ihm recht gaben.
„Wer hat hier Jude geschimpft?“ schrien die Weiber, und der dicke Herr, im Schutz der Amazonen, schob seinen Bauch dichter an den Hünen heran und brüllte:
„Frecher Lümmel!“
Da schrie irgendwer:
„Schieber!“
Im selben Augenblick löste sich das Knäuel von Menschen; sie ließen ihre Frauen und das volle Sektglas im Stich, stürmten zur Garderobe und stürzten hinaus.
Im Hintergrunde erschien ein Sipo.
Der Saal war leer.
Einsam thronte der Amerikaner mit seiner Miß und ließ sich den Tisch näher an die Kapelle rücken.
„Eine sonderbare Mensch diese Germans,“ sagte er zu dem Ober. „Uenn ich in Amerika uill wo allein sein mit meine Frau, ich schreien laut: ‚Feuer!‘ und alles stürzen hinaus. In Germany ich schreien ‚Schiber!‘ und ich bin for my.“ —
Draußen auf dem Damm lag Wilhelm Fürst, dem der Hüne noch eine tüchtige Tracht Prügel versetzt hatte, durch die er ganz nüchtern geworden war. Die beiden Weiber hatten ihn verlassen, Erich Grothe mühte sich um ihn.
„So trägt man für seine politische Ueberzeugung seine Knochen zu Markt,“ stöhnte Fürst.
„Was hast du aber auch getan?“ erwiderte Erich.
„Taktik!“ log Fürst. „Du wirst später einmal alles verstehen, was dir jetzt vielleicht sonderbar erscheint.“
Erich richtete den arg zugerichteten Genossen auf — und glaubte ihm.
„Ich bin sehr schwach,“ log Fürst weiter, reichte Erich die Hand und sagte:
„Versprich mir, daß du mein Werk fortsetzt, wenn ich sein Opfer werde.“
Erich war erschüttert und gelobte es.
In einem der vielen vor dem Festsaal wartenden Autos, die am schnellsten in Gang kamen, saß Familie Grothe; Vater, Tochter und Schwiegersohn.
„Man ist seines Lebens nicht mehr sicher!“ sagte der Alte.
„Wenn du schon jammerst, was soll da ich sagen,“ erwiderte Iwan Schiff.
„Wieso?“ fragte der und Schiff erwiderte:
„Sehr einfach! Entweder siegen die Kommunisten, dann bin ich verloren, oder es siegen die Antisemiten, dann bin ich auch verloren. Ich bin also auf alle Fälle verloren und würde mir eine Kugel durch den Kopf jagen, wenn ...“
„Wenn?“ fragte Edith ängstlich und hielt seine Hand.
„Wenn die Devisen nicht so fest wären,“ erwiderte Schiff und holte Atem.
„Die angebrochene Nacht“, meinte Iwan Schiff, als er mit seiner Frau und seinem Schwiegervater im Auto nach Hause fuhr, „sollte man eigentlich auf anständige Weise zu Ende führen.“
„Und schlafen gehen,“ beendete Edith den Satz.
„Nee! durchbummeln!“ erwiderte Iwan, und der alte Grothe sagte:
„Ich bin kein Spielverderber.“
„Ich sonst auch nicht,“ sagte Edith. „Aber wenn man, wie heute abend, mitten im besten Flirt unterbrochen wird, dann verliert man die Stimmung.“
„Eine verheiratete Frau flirtet nicht,“ sagte der Alte, worauf Edith und Iwan so laut anfingen zu lachen, daß der alte Grothe sie ganz verdutzt ansah.
„Und du willst ein moderner Mensch sein, Papa!“ rief Edith, als sie sich ein wenig beruhigt hatte.
„Zeig du, daß du’s bist!“ sagte Iwan, „und laß Papa und mich noch eine Stunde lang allein irgendwo hingehen.“
„Von mir aus wohin und solange ihr wollt,“ erwiderte Edith. „Obschon ich nicht begreife, wieso ich euch im Wege bin. Ich bin weder eifersüchtig noch reg’ ich mich auf, wenn ihr euch anderswohin verirrt. — Uebrigens wo steckt Erich?“
„Der Junge hat heute von mir tausend Mark bekommen,“ sagte der Alte.
„Das erklärt alles,“ meinte Iwan und befahl Leo, dem Chauffeur, statt nach Haus, in ein Ballokal im Westen zu fahren.
Leo, der Chauffeur, war wohlhabend und stieß sich nicht daran, daß er das rapide Wachstum seiner Ersparnisse weniger seiner Tätigkeit als seiner Diskretion verdankte.
Nur seiner Frau erzählte er:
„Um drei Uhr fuhr ich als erste die junge Frau Edith nach Haus. Durch den Tiergarten, obschon das ein großer Umweg war. — Aber da sie nicht allein war, so nahm ich an, daß sie es nicht besonders eilig hatte, nach Haus zu kommen. Sie sagte denn auch, als ich nach vielem Kreuz und Quer schließlich vor der Villa hielt, ziemlich enttäuscht: ‚Schon?‘ obgleich ein entrüstetes ‚Endlich‘ weit mehr am Platze gewesen wäre. Hier“ — und er legte dreißig Mark auf den Tisch —, „das gab mir der Herr, der sie bis nach Haus begleitete.“
„Und ihr Mann und der alte Herr Grothe?“ fragte die Frau.
Leo, der Chauffeur, holte aus der rechten Tasche einen Fünfzigmarkschein heraus, legte ihn auf den Tisch, betrachtete ihn und sagte:
„Das ist Herr Iwan Schiff — es zeugt von einem zwar nicht ganz reinen Gewissen, läßt aber immer noch die Möglichkeit zu, daß er sich nichts Besonderes vorzuwerfen hat. Während dies hier“ — und er zog aus der anderen Tasche einen Hundertmarkschein hervor, den er neben den Fünfziger legte — „von dem alten Herrn Grothe herrührt und keinen Zweifel darüber läßt, daß damit ein schwerer Verstoß verdeckt werden soll.“
„Ich muß offen sagen,“ erwiderte seine Frau, „daß mir die schweren Verstöße sympathischer sind als die harmlosen.“
„Das ist nicht edel gedacht,“ sagte Leo.
„Wenn es nur bei uns sauber bleibt,“ erwiderte sie. „Was andre tun, geht uns nichts an.“
„Das geht uns wohl an,“ widersprach er. „Wenn jeder so dächte, wie sollte es da besser werden? Wir müssen doch mal heraus aus dem Dreck.“
„Willst ausgerechnet du den Anfang machen?“
„Wenn das jeder sagen wollte, würde es nie anders.“
„Geh doch hinauf zur Gnädigen und sag’ ihr, wie’s ihr Mann treibt — wenn du glaubst, damit dein Vaterland zu retten. Und wenn du dann deine Stelle los bist, dann lauf zum Staatsanwalt und erzähl’ ihm von den Schiebergeschäften, die er macht.“
„Wenn ich’s mir leisten könnte, ich tät’s schon,“ erwiderte Leo. „Was er in Wiesbaden mit den Franzosen verhandelt — ich weiß so allerlei aus seinen Gesprächen während der Autofahrten — das ist nichts anderes als Landesverrat.“
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