Artur Hermann Landsberger
Lachendes Asien!
Fahrt nach dem Osten
Saga
Ehemals kam einem, wenn man in Berlin nach einem guten Frühstück auf die kalte Straße trat, der Gedanke: »wie schön muß es jetzt in Nizza sein!« — und am Abend desselben Tages schlief man dann statt zu Hause im Süd-Expreß, der einen ohne Paß und Zollschwierigkeiten nach dem Süden brachte.
Heute beginnt man im März zu kalkulieren, ob man es ermöglichen wird, im August nach dem Schwarzwald zu fahren, gibt bereits im Juni »unüberwindlicher Schwierigkeiten wegen« die Reise auf und — ärgert sich zu Hause weiter.
Ein guter Freund, der durchaus kein Materialist ist und dem ich erzählte, daß ich als Gast des Lloyd Triestino nach China und Japan fahre, erwiderte, statt von Chinas Göttern und Japans Kunst zu schwärmen: »Sie Glücklicher! auf ein Jahr dem Wohnungsamt und Finanzamt entrückt zu sein!«
Diese unfreie Einstellung ist eine bitterernste Angelegenheit. Sie nimmt den Schwung, ohne den der Mensch des Lebens und der Arbeit nicht froh werden und daher nicht vorwärtskommen kann.
Als die Einladung des Lloyd Triestino kam, rüstete ich gerade nach Massa bei Carrara, um dem Mißvergnügen dieses Winters ein künstliches Ende zu bereiten. Die Umstellung fiel nicht schwer. Wenigstens die innerliche. Man hatte von Japan geträumt. Jahrzehntelang. Als der Krieg kam — nicht erst, als man ihn verlor — begrub man die Hoffnung, daß dieser Traum je Wirklichkeit würde. Rom erschien wieder als Grenze des Erreichbaren. Und nun sollte das Unzulängliche doch Ereignis werden! Halleluja!
Hinsichtlich der äußeren Einstellung gab es zweierlei zu bedenken: Ausrüstung und Begleitung. — Mein Freund, ein alter Afrikaner, in glücklicheren Zeiten Bezirksamtmann in Duala, schleifte mich zu einem Spezialisten, der, glücklich, endlich wieder einen Tropenreisenden einzukleiden, von Kopf bis zu den Zehen meine Maße nahm. Qualvolle Anproben folgten und eine Woche später stand ich vor einem Berg von weißen Anzügen. — »Was ist das?« fragte ich angesichts zweier operettenhaft wirkender Kleidungsstücke und erfuhr, daß es ein weißer Frack und ein weißer Smoking waren. Meine Absicht, einen schwarzen Frack mitzunehmen, begegnete mitleidigem Lächeln, und der Spezialist meinte: »Dann können Sie auch gleich den Fisch mit dem Messer essen!« —
Die zweite Einstellung: die Begleitung. Auf meine Anfrage bei der Generaldirektion des Lloyd in Triest, ob ich für eine »angesichts der langen Reise zweckdienlich erscheinende Begleitung« auf Fahrtermäßigung rechnen könne, bekam ich die etwas undeutliche Antwort: »Falls die Ihnen zweckdienlich erscheinende Begleitung Ihre Gattin ist, die Hälfte; andernfalls —!!!«
Da mir selbst für eine Reise nach China und Japan die Ehe als zu hoher Preis erschien, so entschied ich mich für »andernfalls«.
»Andernfalls« singt heute zum einundsechzigsten Male die Hauptpartie in einer Fallschen Operette. Die Premiere hatte ich über mich ergehen lassen. Ihr Gesang, Tanz und Spiel hatten durchaus auf dem Niveau gestanden, das sich für eine erste Berliner Soubrette gehört. Dementsprechend war auch der Applaus und der Berg von Blumen gewesen, der nach dem zweiten Akt »Andernfalls« für Stunden glauben ließ, eine Künstlerin von Gottes Gnaden zu sein. Jedenfalls sagte sie, als wir später bei Austern und einer Flasche sehr altem Château Olivier dry saßen, mit noch erhitzten Wangen und einem Blick, den ich noch deutlich vor mir sehe:
»Wenn du mich jetzt nicht zur Oper bringst, betrüge ich dich mit einem Konfektionär.«
Mit dieser Drohung glaubte sie, alles bei mir erreichen zu können. Ich erwiderte trocken:
»Gut! Es paßt in mein Programm.«
»Was?« fragte sie erregt. »Der Konfektionär oder die Oper?«
»Beides.«
»Artur!« schrie sie und sprang auf.
Ich reichte ihr die Einladung des Lloyd Triestino.
»Ja — hast du denn den Leuten nicht geschrieben, daß ich ...«
»Welches Interesse hätten sie, zu erfahren, daß ich mit einer Operettendiva ...«
»Ich pfeif’ auf die Operette!« unterbrach sie. Aber ich fuhr unbeirrt fort:
»... die jetzt zur Oper will ...«
»Ich pfeif’ auf die Oper!« brüllte Andernfalls, und, gerührt von soviel Liebe, lenkte ich ein und sagte:
»Du würdest also wirklich, nur um mit mir ...«
Abermals unterbrach sie mich und rief:
»Für Indien opfre ich alles!«
Ernüchtert zog ich die Hand, mit der ich sie eben zu mir ziehen wollte, zurück und sagte:
»Was weißt du denn von Indien?«
Verächtlich sah sie mich an und zählte auf:
»Indische Schals! Indische Seide! Perlen! Smaragde! Rubine! Halbedelsteine! Weiße Elefanten! Maharadschahs! Bonsels ...«
»Was ist denn das?« fragte ich.
»Ich weiß nicht. Aber jedenfalls auch etwas, was mit Indien zusammenhängt. Und da ich mir schon längst in den Kopf gesetzt habe, alles das endlich einmal mit eignen Augen zu sehen, so fahre ich mit! — Ueberhaupt« — und jetzt trat sie nahe an mich heran und legte ihre Hände auf meine Schulter: »wo wir uns doch so lieb haben!«
Sie umschlang mich, und ein paar Minuten später baten wir ihren Direktor telephonisch, doch an unserer intimen Siegesfeier teilzunehmen. Nach der dritten Flasche Olivier eröffnete ich ihm, daß ich in wichtigen Staatsgeschäften nach Japan müsse, ohne »Andernfalls« aber außerstande sei, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Daß das Interesse des Vaterlandes also von ihr die Selbstentäußerung verlange, auf ihre allabendlichen Triumphe zu verzichten und mich zu begleiten — und von ihm, als strammen Republikaner, das Opfer, sie freizugeben und für einen Ersatz zu sorgen.
Ein schwacher Widerstand wurde gebrochen, und so wurde die Premierenfeier zugleich das Abschiedsessen, zu dem wir immer neue Freunde aus ihren Stammlokalen herbeiriefen.
Als ich Andernfalls gegen Morgen nach Hause fuhr, lag sie im Halbschlaf und träumte von Indien:
»Berge so hoch wie in der Schweiz,« phantasierte sie. »Von unten bis oben besetzt mit Edelsteinen. Maharadschahs mit Augen, die schimmern wie Smaragde, reiten auf weißen Elefanten zum Gipfel, auf dem die Nautschgirls, nur in weiße Seidenschals gehüllt, tanzen.«
»Und wo bleibt Bonsels?« fragte ich.
»Der träumt,« hauchte Andernfalls und schlief ein. — Aber am nächsten Tage!
Am nächsten Tage begann Andernfalls »sich für die Reise vorzubereiten«. — So nannte sie’s. Und ich war arglos genug und dachte, sie würde die kurze Zeit nutzen, sich in der englischen Sprache zu vervollkommnen.
»Zu wem gehst du?« fragte ich.
Andernfalls zog einen Zettel aus der Tasche, auf dem die Namen von fünf Modesalons, vier Wäschemagazinen, drei Strumpf- und Handschuhläden, zwei Maßschustern, einer Korsettiere und drei Parfümerien standen.
»Dein Scheckbuch, bitte!« sagte sie.
»Aber Kind,« erwiderte ich, »alles das kaufst du in Asien doch für die Hälfte.«
»Soll ich bis dahin nackend gehen?«
»Gehst du hier nackend?« fragte ich.
»Du bist stillos!« schalt sie. »Berlin ist nicht Italien. Italien nicht Afrika. Afrika nicht Asien. Und auf dem Schiff läuft man auch nicht wie auf dem Kurfürstendamm herum.«
Wo hatte Andernfalls sich in so kurzer Zeit orientiert? Sie, die nicht wußte, ob Moskau nördlich oder südlich von Berlin lag und noch vor ein paar Monaten zu einem Operettengastspiel nach Amsterdam auf dem nächsten Wege über Paris fahren wollte, kannte plötzlich den Seeweg nach Indien!
Der Wahrheit die Ehre! Bei einem Vergleich meiner Reisevorbereitungen mit denen von Andernfalls, der nach Verlauf von vierzehn Tagen erfolgte, schnitt ich, war ich ehrlich gegen mich selbst, miserabel ab.
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