Artur Hermann Landsberger
Elisabeth
Der roman einer deutschen frau
Saga
Never on the winning side
Always on the right —
Vanquished, this shall be our pride
In the world’s despite.
Let the oily Pharisees
Purse their lips and rant,
Calm we face the destinies —
Better „can’t“ than Cant.
Bravely drain, then fling away.
Break the cup of sorrow!
Courage! He who lost the day
May have won the morrow.
G. S. Viereck
(am Tage des Waffenstillstands)
Sie haben, George Sylvester Viereck, als Einer der ganz Wenigen noch in einer Zeit, in der die Wogen des Deutschenhasses in Ihrem Lande haushoch gingen, den Mut gehabt, die Lüge zu bekämpfen.
Aber oft gehört mehr Mut dazu, die Wahrheit zu bekennen, als die Lüge zu bekämpfen. Ich weiß, wenn Einer den Mut dazu hat, sind Sie’s!
Werden Sie Mittel und Wege finden, daß die Amerikaner den Schrei eines ihnen stammverwandten Volkes hören?
Solange noch in der Welt die Macht entscheidet, werden „wehrlos gemacht“ und „ehrlos gemacht“ zwei nahe beieinander wohnende Begriffe sein. Widerspruchslos hat das deutsche Volk den Versailler Frieden und alles, was dar über hinausging, hinnehmen müssen. Es hat sich — gegen sein Gewissen — als den am Kriege allein Schuldigen bekannt — im Vertrauen auf eine Zukunft, in der das Weltgewissen das deutsche Volk auch von diesem Fluch befreien wird.
Von jeher geduldig, schleppt es sein Schicksal und erträgt, wehrlos gemacht und daher ohne Möglichkeit der Abwehr, alles, was ein unversöhnlicher Nachbar ihm auferlegt. Aber, daß die deutsche Frau und Mutter, weiß wie Eure Frauen und Mütter, noch heut, nach Jahren des sogenannten Friedens, der Brunst schwarzer Franzosen ausgeliefert ist, steht abseits aller Politik — ist eine Frage der Gesittung — und daher eine Frage, die auch Euch angeht, Amerikaner!
Der Roman der deutschen Frau, den ich schrieb, ist nicht zu widerlegen, denn er wurde aus dem Leid geboren, das die Deutschen heute noch unter den Schwarzen am Rhein erdulden.
Wenn sich die deutsche Frau in ihrer Not durch dies Buch an ihre amerikanische Schwester wendet und sich dabei Ihrer Führung, George Sylvester Viereck, anvertraut, so geht sie damit den Weg, den Herz und Verstand sie weisen.
Artur Landsberger
„Die Juden — sind — an allem Unglück — schuld,“ sagte Paul Schäfer, das Gebetbuch in der Hand, zu seinem Nachbarn.
Und die Gemeinde sang:
Du hast den Geist gegeben,
Der Trost im Herzen schafft,
Zu höherm Tugendleben
Dem Sünder gibt die Kraft.
„Ausrotten — muß man — sie,“ fuhr Schäfer fort. „Mit Stumpf und Stiel. — Ohne Gnade!“
Der Angeredete wandte sich ab, und die Gemeinde sang:
Send uns den Geist der Liebe,
Den Geist voll Licht und Kraft;
Besieg in uns die Triebe
Der bösen Leidenschaft.
„Und wer sich diesem Reinigungsprozeß entzieht,“ sagte Schäfer und dämpfte die Stimme — denn eine Dame vor ihm wandte den Kopf und forderte Ruhe — „verdient nicht, Deutscher zu sein.“
Beug auch die stolzen Seelen,
Laß sie die Wahrheit sehn,
Laß alle, welche fehlen,
Zu dir um Gnade flehn.
Schäfers Nachbar, Wilhelm Fürst, klappte das Gebetbuch zu und sagte:
„Quatsch!“
„Was?“ fragte Schäfer.
„Alles!“ erwiderte der, schob sich durch die Reihe der Betenden und traf im Mittelgang mit Erich Grothe, einem hochaufgeschossenen jungen Menschen, zusammen, der auf ein verabredetes Zeichen hin ebenfalls seinen Platz verlassen hatte.
Als sie durch das Portal ins Freie traten, sagte Fürst:
„Theater!“
Der junge Grothe machte ein nachdenkliches Gesicht und erwiderte zögernd:
„Fandst du nicht, daß die Predigt ...“
„Heuchelei!“ fiel der ihm ins Wort. „Als ob die Welt stillstände! Seit zweitausend Jahren immer dasselbe.“
„Und doch deckt sich, was er von der Nächstenliebe sagt und daß alle Menschen vor Gott gleich sind, mit unserem Programm.“
„Vor Gott!“ wiederholte Fürst verächtlich. „Wenn ich das höre, steigt mir der Zorn auf.“
„Die Menschen glauben es doch.“
„Leider!“ erwiderte Fürst und verkündete mit Pathos: „Aber wir sind dazu berufen, ihnen einzuhämmern, daß man sie belügt.“
Der um ein paar Jahre jüngere Grothe nickte mit dem Kopf, und Wilhelm Fürst fuhr fort:
„Wir Kommunisten lösen die auf das Jenseits ausgestellten Wechsel auf Erden ein! Wir erfüllen, sobald wir die Macht in Händen haben.“
„Hätten wir sie nur erst!“ sagte der junge Grothe. Fürst sah ihn scharf an und erwiderte:
„Das hängt davon ab, daß jeder einzelne von uns seine Pflicht tut.“
Da griff der junge Grothe in die Tasche und zog ein Kuvert hervor, das Fürst — da grade Leute aus der Kirche kamen — schnell an sich nahm.
„Drei?“ fragte Fürst, und Grothe erwiderte:
„Viereinhalb.“
„Um so besser! Denn um so schneller werden wir zum Ziele kommen. — Wo hast du’s her?“
„Mit dreitausend sollte ich meinen Schneider bezahlen und fünfzehnhundert habe ich aus dem Schreibtisch meines alten Herrn genommen.“
„Damit hast du nur deine Pflicht getan.“
„Ich will ja gewiß alles tun, was die Sache erfordert,“ erwiderte der junge Grothe. „Nur dies Komödiespielen ertrage ich nicht länger.“
„Wir wollen die Welt zum Guten erlösen, Erich!“ erwiderte Wilhelm Fürst feierlich. „Da ist jedes Mittel erlaubt, das uns dem hohen Ziel näherbringt.“
Der junge Grothe drückte dem Freunde die Hand und sagte:
„Verlaß dich auf mich.“
Dann trennten sie sich.
Die Kirche war aus. Der weite Platz füllte sich mit Menschen. Fuhrwerke und Autos setzten sich nach dem Brandenbuger Tor zu in Bewegung.
Ein elegantes Fuhrwerk, in dem. Frau Jenny Grothe mit ihren drei Töchtern saß, fuhr vorüber.
„Erich!!“ riefen die jungen Mädchen, und Frau Jenny wandte den Kopf, gab dem Diener ein Zeichen und ließ halten. Der junge Grothe trat an den Wagen; sie sprachen miteinander.
Von der Kirche Heimkehrende blieben stehen.
„Diese Mutter mit ihren drei Töchtern sind eine Sehenswürdigkeit!“ sagte Frau Schäfer, die am Arme ihres Sohnes Paul hing, und wies auf den Wagen.
„Wer sie nicht kennt, muß sie für Prinzessinnen halten,“ erwiderte der und grüßte zu dem Wagen hinüber. „Dabei müßtest du den Vater sehen, der Typ eines Kriegsgewinnlers.“
„Wer ist der junge Mann, der mit ihnen spricht?“
„Der Sohn. — Die Aelteste, Elisabeth, die neben der Mutter sitzt ...“
„Sie sieht am vornehmsten aus,“ fiel ihm die Mutter ins Wort, „und ähnelt der Mutter am meisten. — Findest du nicht auch?“
„Gewiß!“
„Wenn ich nicht irre,“ fuhr die Alte fort, „so erzähltest du mir, daß sie auch die Ernsteste und Klügste sei.“
Paul Schäfer schwieg.
„Und welche ist deine Favoritin?“ fragte die Mutter.
„Die Jüngste.“
„Wie heißt sie?“
„Lotte.“
Die Alte schwieg. Nach einer Weile sagte sie halblaut vor sich hin:
„Schade!“
„Was ist schade?“ fragte Schäfer, und die Alte erwiderte:
„Daß sie nicht Elisabeth heißt.“
„Die ist nicht mehr frei,“ erwiderte Schäfer, „— und dann — sie ist Pazifistin.“
„Das ließe sich doch ändern,“ meinte die Alte, die fühlte, daß er nicht freiwillig auf sie verzichtet hatte.
„Was?“ fragte Schäfer und sah die Mutter an.
„Ihr Pazifismus. — Aber“, fuhr sie fort und ließ den Sohn nicht aus den Augen — „das andere am Ende auch.“
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