Artur Hermann Landsberger
Um den Sohn
Mit einem Vorwort von Julius Hart
Saga
Berlin W.W. hat man es getauft. Man schaut dabei im Geiste überüppige oder überschlanke Weiber vor sich, mit halbentblössten Brüsten, protzenhaft-überreich beladen mit Diamanten und Brillanten, und Männer, die ihnen gleich sind und wie ein einziger Geldsack aussehen. Ein Berlin von Millionären, die gestern noch im Dorf hausieren gingen und heute ihre Häuser in den teuersten Strassen und ihre Villen mit einem echten Rembrandt schmücken können. Eine Gesellschaft und eine Grobkultur von Emporkömmlingen, — Kriegslieferanten sagt man augenblicklich, — skrupellosen Mammonskindern, die über Nacht ihre Vermögen sich anzuhäufen wussten. Im rasenden Reigen und Tanz um das goldene Kalb verschlungene Leiber huschen wie eine Vision am Auge vorüber.
Ein Berlin bei Nacht glüht auf in grellen Lichtern, frechen Farben. Bilder einer Walpurgisnacht und des Hexensabbaths, von Sektgelagen und üppigen Schlemmereien, spät nach Mitternacht, Bällen und Tänzen in den überladen geschmückten Sälen der flirrendsten und schillerndsten Prostitution.
Man denkt dabei aber auch an etwas, was beim ersten Anschein die gerade Gegensatzwelt dazu zu sein scheint. An kleine und intime Kreise von überverfeinerten Geschmackslüstlingen, Gourmets einer hypertrophen rein ästhetischen Kultur und Bildung, von Kindern eines fin de siècle, die sich selber wie Greise fühlen und empfinden, belastet und übersättigt von allen Weisheitsschätzen des Orients und Okzidents, müde, welt- und lebensflüchtig, von alt-buddhistischen und chinesischen Traumexistenzen verlockt in die Wälder von Uruvilva zurückziehen möchten und alles Dasein nur als Zuschauer von einer Theaterloge aus geniessen wollen. Die sich wohl wie Götter fühlen, welche, selber uninteressiert und teilnahmslos, irdisches Wandeln und Treiben nur als ein Schauspiel vorüberziehen lassen und des Lebens Tragödien und Komödien auch nur als blosse Komödien und Tragödien, als wollüstig schöne Nervensensationen schmecken und auskosten. Das Leben ein Traum, alle Welt und Wirklichkeit nur Schein. Ein Reich des l’art pour l’art, einer Kunst um der Kunst willen, sucht die Seele, das nur nicht vom Leben und der Natur befleckt sein soll, eine Insel Bimini und ein Schlaraffia, die nur in der heiligen Illusion leben und existieren. Alles ist aber Illusion, die reine Illusion unser höchstes Gut, der sublimste Wert, ein letzter Zweck, ein vollkommenstes Ziel des Daseins. Hier nur in der Phantasie ist das reine Land der Kunst, das Land ihrer absoluten Freiheit. Hier kann man auch wie ein Peter Hille leben, ohne einen Pfennig in der Tasche und doch als Millionär und Milliardär sich fühlen und wissen und lukullische Feste feiern, alle Genüsse des Berlin bei Nacht aus den flimmernden Sektschalen geniessen, die uns Mutter Einbildungskraft gütig lächelnd darbietet.
Gegensatzwelten sind es beim ersten Anblick. Die alten beliebten Antipole steigen in unserem Denken auf. Ein feineres tieferes Sehen aber wird gerade nur das eine als eine psychologische und eine kulturelle Erfahrung und Tatsache feststellen und es auch innerlich leicht erklärt und begründet finden, dass sie symbiotisch-organisch in allen Wurzeln miteinander verflochten und verwoben sind, sich gegenseitig notwendig bedingen und ergänzen, und die eine aus der anderen erwächst und heraufsteigt. Mit einem ironisch-satirischen Lächeln wird man in der Kultur des l’art pour l’art die Elemente einer blossen Parvenubildung und grobsinnlich-äusserlichen Parvenugeschmacks nachweisen. Gerade der Geist eines noch rohen plumpen derb materialistischen Emporkömmlingswesens, unreifen und unfertigen Könnens, einer Halbkunst ist es, welcher als Frucht die Kunst um ihrer selbst willen, die sich selber nur Zweck sein will, aus sich heraustreibt. „Lache, Bajazzo.“
Wenn man in voller Inbrunst und Hingabe an die Seele des Anderen, sich hineinversenkt in das still Verborgenste, Heimlichste und Allerheiligste der Produktion eines Artur Landsberger, und zu den „Müttern“ seines künstlerischen Schaffens, Sehens und Denkens, herabzusteigen sucht, dann wird man dort vielleicht am lautesten das ironische und spöttisch-humoristische, wie auch tragische Lachen Bajazzos hören, der diese inneren Zusammenhänge der beiden Berliner W. W.-Welten ergriffen und durchschaut hat, und es als die feinste und tiefste Quintessenz seiner Erzählungskunst geniessen. Eine Lebenskunst will sie sein, die Kunst um des Lebens willen suchen und betreiben, und protestiert als solche gegen das reine Aesthetentum, den ästhetischen Uebermenschen und seine Kritik, und wehrt sie von sich ab. Ganz offen und für alle sichtbar, auch für die oberflächlichste Betrachtung, treten die Bilder einer Berliner Parvenukultur in dem Sechsromanwerk Artur Landsbergers hervor. Tiefer versteckt sich der Lebenskenner und Lebensbekenner, und bleibt auch wohl ausserhalb, jenseits seines eigenen Werks stehen, der gerade mit diesem nur ästhetischen Menschen nichts zu tun haben will, und gegen diesen seine satirische Peitsche schwingt, wie gegen die Gesellschaft seiner Berliner Millionäre. Dieser geistige Protz und der Geldprotz sind schliesslich nur Zwillingsbrüder, Auswüchse derselben Kultur.
Der Wahnsinn, der augenblicklich als Krieg über die Erde tobt, hat wohl viele der Besten, Edelsten unter uns mit einem Abscheu erfüllt, dass sie nur nicht mehr das Wort Kultur mit einem guten Gewissen auszusprechen vermögen. Er kann uns allen wohl Binden von den Augen reissen. Die Kultur selber ist die Hexe, Megäre, — der apokalyptische Reiter, — der Mord, — der Todes- und Opferpriester, welcher heute wie ehedem seine Gehetzten und Sklaven geisselt und treibt, und die Mütter zu Heldenmüttern und Hebbelschen Judiths werden lässt, dass sie mit triumphierender Miene um Gottes willen, um der höchsten erhabensten Ideen willen, wie sie denken und wähnen, ihre eigenen Kinder in die glühenden Oefen ihres Baals werfen. Das Frank Wedekindsche Kunstwerk ist heute wohl das stärkste innerliche Werk der Anklage gegen diese ganze Kultur, ihre Lulu-Erdseele und ihr Oaha. Eine aufgehobene Hand, die sie völlig in Trümmer schlagen will. Aufbäumen der Anarchie, die alle Götter der Macht, Gewalt und Herrschaft zertrümmern möchte, die Geister des Vernunftdenkens vom Absoluten und ureinem göttlichen Wesen in allen Dingen, welche stets nur die Erde mit allen Blutströmen übergossen haben und die Menschen widereinander hetzten, dass sie als die schlimmsten der Bestien nur noch miteinander zu verkehren vermochten. Der Roman Artur Landsbergers steht nach meinem Empfinden geistig und stofflich der Wedekindschen Kunst nahe. Man begreift vollkommen, dass Wedekind ein herzlicher Freund, Verehrer und Leser der Landsbergerschen Romane war und sie mit seiner Kritik gesegnet hat. Eben dieses Wedekindsche Kunstwerk ist auch das widerästhetizistische Kunstwerk durch und durch in reinster Form und Ausprägung. Der höchste Gegensatz zu aller Kunst des l’art pour l’art. Hier tritt auch das Gemeinsame von Wedekind und Landsberger durchaus deutlich und auffällig in Erscheinung. Das Drama des Einen, der Roman des Andern sind innerlichst naive Produkte eines ausgeprägten künstlerischen Dilettantismus, einer ästhetischen Kulturlosigkeit, — und stehen so als Widerpartei gegen die raffinierte, überverfeinerte, technisch durchgeklügelte Spezialistenkunst für Kenner nur, für Kunstgelehrte, der Künstler für Künstler, für die engen und kleinen Gemeinden, die von Kunst nur leben wollen und dabei auch übersättigte Gourmets geworden. Aber dieser Dilettantismus ist gerade ein Panier, das die Landsberger, die Wedekind aufpflanzen. Er ist der feinste Duft und Geschmack, der elementare Vorzug ihrer Kunst, — eine Naivität und Primitivität, eine paradiesische Unschuld, — die Rückkehr zum Dilettantismus, Rückkehr zur Quelle der echtesten Kunst ...
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