Artur Hermann Landsberger - Millionäre

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Der Leser verfolgt die neureiche Familie Lesser bei ihren hochmotivierten Bemühungen, ihr Judentum abzuschütteln und den Habitus reicher Bildungsbürger zu erlangen.Während Leopold Lesser gesellschaftliche Anerkennung in allen möglichen Klubs sucht und sich unter die Großinvestoren mischt, versuchen auch seine Frau Emilie und seine Tochter Jette mithilfe des Barons von Prittwitz, Teil der entsprechenden Kreise zu werden. Einzig Leopolds Sohn Walter versucht beharrlich, seiner Familie die Zwecklosigkeit einer Konversion aufzuzeigen … Landsberger karikiert in diesem Roman gekonnt und unterhaltsam die Verlogenheit und den Snobismus einer Familie, die exemplarisch steht für ein ganzes Milieu!Artur Landsberger (geboren am 26. 03. 1876 in Berlin; gestorben am 04. 10. 1933 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller, Publizist und Kritiker. Der aus einer zum Protestantismus übergetretenen jüdischen Kaufmannsfamilie stammende Autor studierte Jura. Nach der Promotion 1906 in Greifswald gründete er 1907 die Zeitschrift »Morgen«, an der Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss als Ressortleiter mitarbeiteten und für die u. a. Rainer Maria Rilke, Frank Wedekind, Gerhard Hauptmann und Thomas Mann schrieben. 1909 gab er die Schriftleitung ab und lebte fortan als Unterhaltungsschriftsteller und Kolumnist. Als scharfzüngiger Gesellschaftskritiker Landsberger von den Nationalsozialisten verfolgt, nahm sich Landsberger 1933 das Leben.-

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Artur Hermann Landsberger

Millionäre

Illustriert von R. L. Leonard

Saga

Millionäre

© 1913 Artur Hermann Landsberger

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711488430

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

Im Mai 1913

Lieber Leser!

Du hast meine Bücher beschimpft – und das hat mich nicht bekümmert; du hast sie gepriesen und mir versichert, dass sie Gutes wirken könnten – und das hat mich nicht erfreut. Du hast meine Bücher gelesen und dich über sie erregt – für und wider – und das hat mir genügt.

Du hast mir zu jeder meiner Figuren Modelle genannt; zu mancher gleich ein halbes Dutzend – und das hat mich erheitert; du hast vieles, was vorging, Plagiat nach dem Leben gescholten – und das hat mich, da alle Begebenheiten frei von mir erfunden waren, beinahe an mich glauben gemacht.

Du wirst meine Neugier begreifen, auch die Modelle dieses Buches kennen zu lernen. Kannst du mir darüber glaubhafte Angaben machen und mir sagen, wo sich die von mir erfundenen Begebenheiten im Leben zugetragen haben, so will ich – gewiss ein Preis, für den es sich der Mühe lohnt – hiermit die Reihe meiner Berliner Bücher beschliessen.

Berlin W9.

Dr. Artur Landsberger

Erstes kapitel

Emilie Lesser entwirft ihr Wochenprogramm

Frau Emilie Lesser sass an einem Sonntag nachmittag mit ihrer Tochter Jette vor der zehnten Beilage des Berliner Tageblatts und strich mit einem roten Bleistift diejenigen Theater, Konzerte und Vergnügungen an, deren Besuch in dieser Woche in Frage kam.

Es ging etwas bunt durcheinander. Jette schlug vor, wovon sie sich Vergnügen versprach. Aber Emilie traf ihre Wahl nach Zweckmässigkeit. Dabei liefen Irrtümer aller Art mit unter.

Der Prophet wurde abgelehnt, weil der Name des Komponisten kein Vertrauen einflösste. Ja, Emilie konnte gar nicht fassen, was ein Mann namens Meyerbeer im Königlichen Opernhause zu suchen hatte – und entschied sich für die Quitzows, von denen ihr Bekannte schon in Neutomischel erzählt hatten.

„Donnerstag sind wir bei Sterns.“

„Bex!“ sagte Jette.

„Was heisst bex?“ fragte Emilie. „Die Leute sind zwar auch mir unausstehlich und haben keinen guten Namen; dafür aber eine grosse Zukunft. Also verhält man sich mit ihnen.“

Jette suchte zu widersprechen:

„Mit der grossen Zukunft braucht sich doch ihr Name nicht zu bessern,“ sagte sie.

Da legte Emilie die zehnte Beilage des Berliner Tageblatts beiseite und sagte in feierlichem Tone:

„Mein liebes Kind! Du bist im nächsten Jahre erwachsen. Merke dir als ersten Grundsatz allen gesellschaftlichen Lebens: Lediglich der Erfolg entscheidet. Bei einem Vermögen von einer Million aufwärts hört der Ruf auf, eine Rolle zu spielen. Nur Leuten in mittlerer Vermögenslage spürt man nach. Um Rothschilds Geschäfte kümmert sich niemand.“

Und als Jette ein ganz verdutztes Gesicht machte, lachte Emilie und klopfte ihr auf die Schultern:

„Du musst noch viel lernen, mein Aeffchen, ehe du auf die Gesellschaft losgelassen wirst. Aber nun weiter! Was ist Freitag, zeig’ mal!“ und sie beugte sich über das Blatt:

„Freitag abend ist Papa doch gern zu Hause,“ sagte Jette.

„Das muss doch mal ein Ende haben,“ erwiderte Emilie nervös, – „mit diesen Freitagabenden! – In Neutomischel – nu ja, da hab’ ich mir das gefallen lassen. Aber hier, in Berlin, macht man sich mit solchen Dingen lächerlich; schon vor den Leuten. Hier fällt Schabbis eben auf Sonntag. Und da er auf Sonntag fällt, können wir nicht Freitag anfangen, ihn zu feiern.“

„Ich habe mich die ganze Woche über immer auf den Freitagabend gefreut,“ sagte Jette.

„Ich werde für lohnendere Zerstreuungen sorgen, verlass’ dich drauf!“ erwiderte Emilie.

„Und Walter geht es genau so. Es ist doch kein Zufall, dass seine Briefe regelmässig am Sonnabendmorgen kommen. Solange er in München ist, hat er an jedem Freitagabend an uns geschrieben.“

„Mir wäre lieber, er suchte drüben in Kreise zu kommen, die ihm später einmal nützen können – statt die Gewohnheiten von früher beizubehalten, die ihm in seiner Karriere nur hinderlich sind.“

„Die Stimmung in seinen Briefen zeigt doch aber, wie sehr er daran hängt.“

„Leider!“ sagte Emilie; „wenn das nicht anders wird, dann muss er im nächsten Semester zurück.“

„Aber Mama!“ rief Jette, „wo er es drüben mit der Fakultät so gut getroffen hat.“

„I was!“ widersprach Emilie, „was heisst Fakultät! Darauf kommt es nicht an. Um Karriere zu machen, sind Verbindungen und Protektion wertvoller als wissenschaftliche Leistungen. Und die kann er hier leichter anknüpfen als in dem stupiden Biernest!“

„Na, Minister wird Walter ja nicht gleich werden wollen!“ sagte Jette.

„Warum nicht!“ erwiderte Emilie, „nichts ist unmöglich. Wenn es mir gelingt, unsere Vergangenheit auszulöschen, dann ist mir auch vor der Zukunft nicht bange.“

„Ist denn an unserer Vergangenheit etwas auszulöschen?“ fragte Jette.

„Wenn doch die anderen auch so schnell vergessen würden!“

„Was ist denn zu vergessen?“ fragte Jette ängstlich.

„Alles!“ rief Emilie. „Was war und was ist! Auch was morgen sein wird – das alles muss vergessen werden!“ Emilie erregte sich. „Dass wir je Lesser hiessen – meine Eltern gar Cohn – dass wir aus Neutomischel stammen, dass wir aus kleinen Verhältnissen kommen, einen Manufakturladen hatten, in dem ich, deine Mutter, mit diesen beiden Händen persönlich die Kunden bedient habe – ja!“ – schrie Emilie – „glaubst du denn, dass diese Schande von heut auf morgen auszulöschen geht!“

„Ich kann daran nichts Unanständiges finden!“ sagte Jette in aller Ruhe.

„Eine Schande ist es!“ erwiderte Emilie – „Und wenn wir von jetzt ab auch nur einen Abend in der Woche ausgehn, dann am Freitag.“

„Aber wohin?“ fragte Jette und beugte sich mit Emilie wieder über das Blatt.

„Das will ich dir sagen!“ rief Emilie triumphierend und unterstrich dreimal dick in der zehnten Beilage des Berliner Tageblatts:

Freitag, den 25. Januar, abends 8 Uhr, Königlicher Dom: Konzert der Königl. Hof- und Domkapelle, Sanctus und Benedictus. (Marcellus-Messe) – Leo: Psalm 50 (8stg) – Bach: 2 Motetten für 8stg – Verdi: Ave Maria.

Dann stand sie auf und stürzte, das Wochenprogramm in der Hand, die Treppen hinunter in die Parterreräume, in denen Leopold, ihr Gatte, seine Bureauräume hatte.

Zweites kapitel

Leopold Lesser zieht Bilanz

Während Emilie mit ihrer Tochter das Wochenprogramm entwarf, sass Leopold, ihr Gatte, mit seinem Freunde Adolf Jacoby in seinem Arbeitszimmer und zog Bilanz.

„So’n dicken Kopf haben wir in Neutomischel nie gehabt,“ sagte Leopold zu Iacoby.

„Andere Welt!“ erwiderte er.

„Sag’ lieber: andere Menschen!“

„Das mein’ ich natürlich; und das ist schliesslich dasselbe. Es passt sich eben jeder dem Milieu und den Verhältnissen an.“

„Ne!“ widersprach Lesser. „Wer sozusagen was Persönliches hat – er braucht darum nicht gleich ’en Genie zu sein –, der bleibt derselbe, – gleichgültig wo er ist. Denk’ nur einmal an meinen Schwiegervater – na, das ist doch gewiss kein bedeutender Mensch. Aber meinst du, der wär’ auch nur um soviel anders geworden – oder hätt’ auch nur eine seiner Gewohnheiten abgelegt, wenn er nach Berlin übergesiedelt wäre?“

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