Teubner pfiff leise durch die Zähne. »Da summiert sich was. Wir werden den Mann überprüfen. Kommt Ihnen sonst noch jemand in den Sinn?«
»Auf Anhieb nicht. Aber ich kann mir die Fälle der letzten Monate ansehen. Vielleicht kann ich Ihnen dann mehr dazu sagen.«
Während Teubner sich nun lässig mit dem Ellbogen am Tresen abstützte, beobachtete er, wie Staatsanwältin von Haunhorst sich verabschiedete und Jochen Hübner das Feld überließ. »Damit würden Sie uns sehr helfen, Frau Brandt. Ein Ausdruck mit den Namen der Beschuldigten dürfte reichen. Ihnen liegen die jeweiligen Akten doch bestimmt auch in digitaler Form vor?«
»Natürlich«, nickte die Sekretärin und machte sich sogleich an die Arbeit. Sie wirkte nun professionell und nicht mehr so mitgenommen.
Teubner bedankte sich und wandte sich an Ermittlungsleiter Hübner. »Soll ich mich in der Nachbarschaft umhören?«
Hübner schüttelte den Kopf. »Nein. Das erledigen schon die Kollegen Reinders und Schmidtke mit zwei weiteren Beamten von Ihrer Dienststelle. Ein Spezialist der Kriminaltechnik öffnet gerade den Tresor in Sobeks Büro. Um den Inhalt können Sie sich kümmern.«
Im selben Moment kam der Techniker bereits ins Foyer. In seinen Händen hielt er einen Aktenordner, eine kleine Pappschachtel und eine Geldtasche. »Zur Beweissicherung?«
Hübner schüttelte den Kopf. »Nein. Wir werden erst einen Blick darauf werfen.« Er nickte Teubner zu.
Der streifte sich erneut Handschuhe über und zog sich mit den Unterlagen in den Konferenzraum zurück. Er setzte sich auf einen der schweren Lederstühle und öffnete zunächst die Pappschachtel. Sofort pfiff er leise durch die Zähne.
Hübner, der hinter ihn getreten war, staunte. »Sieh einer an. Eine Glock 17, neun Millimeter, würde ich sagen. Der Besitz einer Waffe könnte darauf hindeuten, dass Herr Sobek sich nicht unbedingt sicher gefühlt hat. Ich werde mal checken, ob er eine Waffenbesitzerlaubnis hat. Vielleicht ist die Sekretärin informiert.« Er verließ mit der Pistole den Konferenzraum und schloss die Tür hinter sich.
Teubner öffnete die Geldtasche. Er fand zwei mit Banderolen gebündelte Packen von 50-Euroscheinen. Bargeld in Höhe von 10.000 Euro. Ob der Anwalt das Geld als Notgroschen deponiert hatte? Woher kam es? Hatte Thomas Sobek vielleicht illegale Geschäfte getätigt? Teubner stand auf und folgte Hübner zum Tresen der Sekretärin. So hörte er ihre Erläuterung zur Waffe.
»Nein. Herr Sobek hatte keine Angst vor einem Überfall oder dergleichen. Er war Sportschütze. Die Glock nahm er nur zu seinem Training aus dem Safe und legte sie danach sofort wieder zurück.«
»Er hatte also einen Waffenbesitzschein?«, fragte Hübner.
»Selbstverständlich«, erklärte Sabine Brandt und nickte so kräftig, dass ihre rotbraunen Locken tanzten. »Er war Mitglied im Sportschützenverein Heeren-Werve e.V. und ging jeden Dienstagabend zum Training.«
Teubner trat neben Hübner und legte die Geldtasche mit den 50-Euro-Bündeln auf den Tresen. »Das sind 10.000 Euro. Hatte Ihr Chef immer so viel Geld im Safe? Was wissen Sie davon? Können Sie die Herkunft des Geldes belegen?«
Sabine Brandt wirkte nicht die Spur überrascht oder nervös. Sie lächelte lediglich nachsichtig und erklärte: »Es gibt immer noch Mandanten, die ihre Rechnungen bei uns bar bezahlen möchten. Die 10.000 Euro stammen von einem Gebrauchtwagenhändler, der immer mal wieder unsere Dienste in Anspruch nehmen muss. Gerade beim Handel mit gebrauchten Autos gibt es oft Kunden, die sich übervorteilt fühlen und ihr Recht vor Gericht durchsetzen möchten.«
»Da müssen Sie aber einen saftigen Satz berechnen, wenn solche Summen dabei zustande kommen«, mischte sich Hübner ein.
Erneut lächelte Sabine Brandt und zeigte sich dabei überhaupt nicht verlegen. »Besagter Mandant hatte durch die ewigen Diskussionen um das Dieselfahrverbot und zudem der Forderung einiger Politiker, sämtliche Autos mit Verbrenner-Motoren zu verbieten, einen derartigen Verkaufseinbruch, dass wir ihm die fälligen Rechnungen gestundet haben. Seit dem zweiten Quartal dieses Jahres lief sein Betrieb wieder besser, so konnte er die ausstehenden Rechnungen gestern bezahlen.«
»Der Name des Händlers?«, fragte Hübner.
Sabine Brandt legte die Stirn in Falten. »Einen Moment.« Sie tippte auf der Tastatur. »Herr Martin Borsutzky. Er hatte gestern Abend um 17 Uhr einen Termin bei Herrn Sobek. Als der Mandant gegangen ist, hatte die Bank bereits geschlossen, deshalb lag das Geld noch im Safe. Der genaue Endbetrag ist mit 9927,35 Euro beziffert. Vom Rest sollte Herr Sobek mit seiner Freundin hübsch essen gehen.«
Hübner nickte. »Drucken Sie uns die Aufstellung bitte aus.« Er wandte sich an Teubner. »Und Sie überprüfen das!«
Sabine Brandt betätigte die Druckfunktion, kurz darauf ratterte der Drucker in ihrem Rücken. Fast gleichzeitig erklang die Türklingel. Mit einem Blick auf den kleinen Bildschirm erklärte sie: »Mein Mann ist da. Darf ich ihn hereinlassen?«
»Nein«, erklärte Hübner bestimmt. »Wir haben hier einen Tatort, auf dem schon genug Spuren zertrampelt wurden. Ihr Gatte soll sich ein paar Minuten gedulden, Sie dürfen gleich gehen. Wir brauchen lediglich noch eine DNA-Probe von Ihnen. Wie weit sind Sie mit der Liste möglicher Verdächtiger?«
Die Sekretärin seufzte. »Das fiel mir ehrlich gesagt schwer. Ich kam mir vor wie ein Scharfrichter. Deshalb habe ich Ihnen eine Liste mit allen Fällen gemacht, die Herr Sobek im letzten halben Jahr vor Gericht verloren hat. Es sind nur vier Namen. Die meisten hat er gewonnen. Die zugehörigen Akten habe ich Ihnen auf einem Stick abgespeichert.« Sie schob zwei Ausdrucke und einen USB-Stick auf den Tresen.
Teubner bedankte sich für die Mithilfe der Sekretärin, danach verwies er sie an einen Kriminaltechniker, der ihre DNA zum Abgleich sichern sollte. »Ach, zwei Fragen hätte ich doch noch«, wandte er sich erneut an sie, als der Kollege bereits den Abstrich aus ihrem Mund genommen hatte. »Wann haben Sie gestern Abend die Kanzlei verlassen und waren zu dem Zeitpunkt bereits alle Jalousien heruntergelassen?«
Sabine Brandt griff nach ihrem Strohhut und der Sonnenbrille. »Ich habe so gegen 17.30 Uhr Feierabend gemacht. Herr Borsutzky war bereits gegangen. Herr Sobek wollte noch einige Akten abarbeiten. Da er wusste, dass ich das Wochenende am Möhnesee verbringen würde, ließ er mich früher gehen. Die Jalousien waren da noch oben.«
»Aber sie werden gewöhnlich verschlossen, wenn niemand mehr im Büro ist?«, setzte Teubner nach.
»Ja. In das Gebäude wurde vor Jahren einmal eingebrochen.«
»In diese Kanzlei? Hat man die Täter gefasst?«
»Es betraf nur die Notarbüros im Erdgeschoss. Da ging es, glaube ich, um ein gestohlenes Testament. Mehr weiß ich nicht.«
»Solche Dokumente werden eigentlich beim Nachlassgericht hinterlegt«, sinnierte Teubner. »Und seitdem gibt es auch die Überwachungskamera am Eingang?«
Sabine Brandt nickte. »Genau.«
»Werden die Aufnahmen gespeichert oder nur in Echtzeit übermittelt? Eventuelle Bänder könnten uns weiterhelfen.«
Die Sekretärin hob ratlos die Schultern. »Tut mir leid. Dazu kann ich leider nichts sagen. Ich musste mich nie darum kümmern.«
Teubner bedankte sich und entließ die Frau. »Ich sehe mir jetzt zunächst den Aktenordner aus dem Safe an«, erklärte er Hübner und zog sich wieder in den Konferenzraum zurück. Bevor er sich an den etwa fünf Meter langen Tisch mit einer Baumkanten-Platte setzte, ging er zur Fensterseite und betätigte den Schalter für die elektrische Jalousie. Langsam wurde das Zimmer mit Sonnenlicht durchflutet. Sein Blick fiel auf die Massener Straße, wo zahlreiche Passanten in Richtung Innenstadt pilgerten. In dem Raum fielen Teubner mehrere Gemälde von Segelbooten an den Wänden auf. Als er sie aus der Nähe betrachtete , erkannte er die Signatur TS. Ob Sobek sie selbst gemalt hatte? Teubner schaltete das elektrische Licht aus, zog sich den Aktenordner zu einem Stuhl, der nahe am Fenster stand, und setzte sich. Ihm fiel sogleich auf, dass der Ordner nicht beschriftet war. Zudem wirkte er alt, als hätte er schon eine lange Zeit im Safe gelegen. Neugierig schlug er den Aktendeckel auf. Nach einigem Blättern erkannte er, dass die hier gesammelten Informationen nichts mit der Kanzlei oder Sobeks Beruf als Anwalt zu tun hatten.
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