»Is ja gut«, murrte Winkler, während er neben Teubner herging. »Ich hab im Knast gesessen. Urkundenfälschung. Da war ich ’n Job los und die Wohnung konnt ich mir schon gar nich mehr leisten, ne. Jetzt wohn ich inner Plattensiedlung in Hörde. Echt ätzend da.«
»Was wollten Sie von Ihrer Schwester?«
Winkler hob die Schultern, den Blick hielt er auf den Bürgersteig gerichtet. »Seit ’m Knast krich ich Hartz IV. Damit kannze keine großen Sprünge machen, ne. Ich wollte Birte nach ’nem bissken Kohle fragen. Sie hat ja genuch und ihr Macker sowieso. Sie müssen sich die Hütte von denen mal ankucken. Alles vom Feinsten.«
»Wo befanden Sie sich, als wir das Haus betraten?«
»Können Se mir ma eben die Kippen ausse Tasche ziehen? Ich brauch gezz eine«, bat Winkler.
Teubner blieb stehen und schloss ihm stattdessen die Handschellen auf. »Keine Dummheiten«, mahnte er.
Winkler steckte sich sogleich eine Zigarette an, sog den Rauch tief in die Lungen ein und ließ ihn durch die Nase entweichen. »Ich war innem Wirtschaftsraum von denen. Der is gleich hinterm Eingang und hattn Ausgang innen Garten. Als Se geklingelt haben, dacht ich ers, es wär der Sobek. Dem wollt ich nich inne Quere kommen, ne. Ich hab ’ne Weile anne Tür gelauscht und als ich kapiert hab, dass Ihr Verein wohl länger brauchen tut, wollt ich lieber die Biege machen.«
»Ihr Verhältnis zum Lebensgefährten Ihrer Schwester ist also nicht sonderlich gut?«
Winkler nahm einen weiteren Zug. »Nee, überhaupt nich. Der hat mich vor Gericht inne Scheiße geritten, obwohl er mich doch raushaun sollte, kapierste das? Dafür braucht ich ihn dann nich bezahlen. Und verlangt hat er, dass ich ’n Kontakt zur Birte abbreche. Ich hab Hausverbot bei denen.«
»Und deshalb treffen Sie Ihre Schwester nun heimlich?«
»So isses«, sagte Winkler und trat die Zigarette kurz vor der Einfahrt des Hauses von Thomas Sobek auf dem Bürgersteig aus.
»Wo waren Sie gestern Abend gegen 22 Uhr?«
Winkler seufzte. »In meine Wohnung vor der Flimmerkiste. Allein. Trotzdem die Wahrheit. Ehrlich.«
Teubner schob den Mann durch die Haustür, die weit aufgesperrt war. Dann trat er zur Seite, um einem uniformierten Kollegen Platz zu machen, der eine Kiste mit Ordnern aus dem Haus schaffte. Aus dem oberen Stockwerk hörte er die Stimme von Staatsanwältin von Haunhorst, die inzwischen eingetroffen sein musste, um sich einen eigenen Überblick zu verschaffen. Er übergab Matthias Winkler in die Obhut eines Streifenpolizisten, der ihn mit zur Dienststelle nehmen würde, damit seine Aussage dort aufgenommen werden konnte. Im selben Moment kam die Staatsanwältin die Treppe herunter. Die blonden Haare hatte sie hochgesteckt, allerdings trug sie heute, am Feiertag, keinen Anzug und Pumps, sondern Jeans, T-Shirt und Blazer. Sie nickte Teubner zu, ließ sich von ihm die Sachlage erklären und nickte.
»Herr Winkler hat also kein Alibi«, resümierte sie. »Einen Grund, Herrn Sobek eins auszuwischen, hätte er offensichtlich. Wir sollten vielleicht klären, ob er so weit gehen würde, dafür ein Kind zu entführen. Dringlicher ist jedoch, Herrn Sobek zu finden. Die Kollegen haben in seinem Büro hier im Haus Eintrittskarten fürs Disneyland Paris gefunden, die auf das kommende Wochenende ausgestellt sind. Es wäre also möglich, dass er mit seinem Sohn bereits dorthin unterwegs ist.«
»Ohne die Karten? Das kann ich mir nicht vorstellen. Und mit welchem Verkehrsmittel? Sein Auto steht ja hier in Unna«, erklärte Teubner. »Frau Winkler hat außerdem einen besorgten Eindruck gemacht, als ich sie befragt habe. Ich glaube nicht, dass Herr Sobek sich ohne ihr Wissen auf die Reise machen würde. Und er müsste doch Kleidung und Waschzeug mitgenommen haben. Ist Frau Winkler aufgefallen, dass etwas fehlt?«
Die Staatsanwältin schüttelte den Kopf. »Nein. Sie behauptet, Reisetaschen und Koffer seien komplett. Außerdem hätte Torben hier im Haus nur für den Notfall eine Hose zum Wechseln. Die sei noch vorhanden. Wenn er zum Übernachten herkomme, bringe er immer Sachen mit.«
»Haben Sie eigentlich zwei oder drei Karten für das Disneyland gefunden?«
»Drei Eintrittskarten und eine Buchung für zwei Übernachtungen im Familienzimmer eines der angegliederten Hotels.«
»Da dürfte doch klar sein, dass Birte Winkler mitfahren sollte«, befand Teubner.
Lina von Haunhorst strich eine Haarsträhne aus der Stirn, die sich aus der Hochsteckfrisur gelöst hatte. »Sie behauptet, sie wisse nichts von den Karten. Möglicherweise habe ihr Lebensgefährte eine Überraschung geplant.«
»Aber wo ist er dann jetzt mit dem Jungen?«, rätselte Teubner. »Wir sollten in jedem Fall seine Kanzlei durchsuchen. Vielleicht finden sich dort Anhaltspunkte, wo er sich aufhalten könnte.«
Die Staatsanwältin nickte. »Die richterliche Anordnung gilt für Sobeks Privat- und Geschäftsräume. Seine Sekretärin hat einen Schlüssel und weiß bereits Bescheid. Sie befindet sich mit ihrer Familie zu einem Kurztrip am Möhnesee, wird sich aber gleich auf den Weg machen. Wir treffen sie in einer Stunde direkt vor der Kanzlei.«
4. Kapitel
Es war stockdunkel, als er die Augen aufschlug. Was ihn geweckt hatte, wusste er nicht. Thomas Sobek richtete den Oberkörper auf, dann schwang er die Beine von der Chaiselongue und stand mühsam auf. Hinter seiner Stirn hämmerte leichter Kopfschmerz. Er tastete sich durch den Raum zur Wand, fühlte endlich den Lichtschalter und betätigte ihn. Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an das grelle Licht. Ein Blick auf seine Armbanduhr ließ ihn zusammenzucken. Es war fast elf Uhr! Sofort eilte Sobek zu seinem Schreibtisch und griff nach seinem Smartphone. Es schaltete es ein und wartete geduldig, bis das System hochgefahren war, dann blickte er aufs Display. Birte hatte versucht, ihn zu erreichen. Zum letzten Mal vor etwa fünf Minuten und da bereits zum 10. Mal. Torben zweimal und seine Ex Alessia gleich 15 Mal. Ein schlechtes Gewissen breitete sich in ihm aus. Wenigstens Birte hätte er Bescheid geben müssen, dass er in der Kanzlei übernachtet hatte. Aber nachdem er sich in der Nacht endlich von den Akten losgerissen hatte, war es weit nach Mitternacht gewesen. Er hatte sich am Abend eine Pizza geholt, dazu eine Flasche Rotwein, die er während der intensiven Arbeit komplett geleert hatte. So konnte er natürlich nicht mehr Auto fahren. Er war so schrecklich müde gewesen, hatte nur kurz auf der Chaiselongue die Augen zumachen wollen.
Sobek seufzte und betätigte die Fernbedienung für die elektrischen Jalousien. Die großen Fenster, die hinten zum alten Westfriedhof zeigten, ließen wegen der hohen Bäume nur gedämpftes Tageslicht ein. Dann trat er an den Sicherungskasten und schaltete den Strom für Klingel- als auch für die Telefonanlage wieder ein. Schon traurig, dass er sich nur so vor Leuten wie dem Mandanten Büchner abschirmen konnte, die immer wieder an seiner Tür schellten oder ihn mit Anrufen belästigten. Sofort meldete sich der Anrufbeantworter. Er löschte das Lampenlicht und setzte sich an den Schreibtisch. Die eingegangenen Nachrichten würde er später abhören.
Sein Blick fiel auf den Fall Büchner, den er gestern zuletzt bearbeitet hatte. Der Mann nervte ihn. Sobek sah ihn vor sich, den Glatzkopf mit dem verkniffenen Gesichtsausdruck. Wie er stets seine schwarzgeränderte Brille mit dem Zeigefinger bis zur Nasenwurzel hochschob und immer an seiner bescheuerten Cap herumzupfte. Wie er lässig die Beine übereinanderschlug und mit den abgewetzten Sneakers lautlos auf den Boden tippte. Büchner wollte unbedingt in Berufung gehen. Dabei konnte der Kerl froh sein, dass er mit einer Bewährungsstrafe davongekommen war. Stattdessen beschimpfte er ihn, ließ keine Ruhe. Dieser Choleriker!
Thomas Sobek klappte den Ordner zu und griff nach seinem Smartphone. Er wählte aus den Kontakten Birtes Nummer, konnte sie jedoch nicht erreichen, so sprach er ihr auf die Mailbox und entschuldigte sich, dass er sich am Abend nicht mehr gemeldet hatte. »Ich komme so schnell wie möglich nach Hause. Es tut mir leid, Birte. Aber ich mache es wieder gut«, schloss er. »Am Wochenende wartet eine Überraschung auf dich.«
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