1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 »Eines als Cyborg. Viele sagen, das ist überhaupt kein richtiges Leben.« Phil seufzte schwer. »Natürlich sagen das einige Menschen. Aber sie haben nie als einer gelebt. Aus Erfahrung kann ich dir sagen, dass die Männer, die ich umgewandelt habe, keinerlei so triste Gedanken über ihr Dasein hegen. Ganz im Gegenteil, sie versichern mir, dass sie ebenso fühlen und denken wie zuvor. Nur, dass sie eben körperlich den Menschen weit überlegen sind, und diese sie deshalb zwar benutzen, aber auch fürchten.«
»Dann können Sie mich also in jemanden verwandeln, vor dem die Leute mehr Angst haben, als vor Derk?«
»Viel mehr als vor Derk«, bestätigte Phil; er sah River zum ersten Mal lächeln. »Finde ich toll!«, gab der Junge unumwunden zu.
»Aber es wird ein sehr schwerer Weg für dich werden. Du wirst dich oft so fühlen, als würdest du erneut in Flammen stehen. Es wird wehtun, River. Sehr weh sogar! Und es gibt nicht viel, was ich tun kann, um es dir leichter zu machen, denn die Schmerzmittel müssen wir mit Vorsicht einsetzen.«
Als Rivers Lächeln erstarb, rechnete Phil mit einer Absage. Es war immerhin furchtbar, zu wissen, dass Jahre voller Schmerz, und danach eine Zukunft, in der man benutzt wird, vor einem liegen.
River blickte Phil direkt in die Augen und sagte: »Ich will mich erst entscheiden, wenn ich gesehen habe, was Sie bis jetzt aus mir gemacht haben. Ich möchte alles sehen … absolut alles. Dann sage ich Ihnen, was ich möchte.«
*
Als Phil die Decke anhob, brach Rivers Welt zusammen. Er hatte geahnt, dass es schlimm werden würde, aber auf den Anblick blanker Knochen, zerfetzter Muskeln und darin verschraubter Metallteile war er nicht vorbereitet gewesen. Sein rechtes Bein war bis zur Leiste durch eine Prothese ersetzt worden. Darin befanden sich Lämpchen, die unaufhörlich vor sich hin blinkten. Es waren rote, gelbe und grüne, und River dachte voll bitterer Selbstironie, dass er nun eine lebende Ampel war. Der rechte Arm teilte das Schicksal des Beines, denn ab dem Ellenbogen war er abgetrennt und durch einen mechanischen Unterarm und eine künstliche Hand ersetzt worden. River konnte blanke Sehnen erkennen, die mit Kabeln verbunden worden waren.
»Wie ich dir bereits sagte, sind wir noch nicht fertig. Es braucht Zeit, bis ich checken kann, ob das Interface so stabil ist, dass ich Haut über den Schnittstellen anbringen kann. Willst du mehr sehen?« Phils Stimme klang so nervös, dass River der Mut gänzlich schwand. Aber konnte es überhaupt wirklich noch schlimmer werden? Ja, das konnte es. Als Phil ihm einen Spiegel vorhielt, sog River scharf die Luft ein.
»Ich bin ein Monster. Ein Freak. Ein … Albtraum!«
Sein linkes Auge war nicht mehr vorhanden. Stattdessen war da ein Gebilde mit Linse, das Augenlid ersetzt durch einen Shutter, der sich öffnen und schließen ließ. Das Gebilde lagerte in der Augenhöhle, die mit Spinnweben aus feinsten Metalldrähten gefüllt war, die dafür sorgten, dass die Linse in alle Richtungen zu rotieren vermochte.
»Der Sehkraftverstärker ist noch nicht einsatzfähig. Dazu muss das Narbengewebe erst so stabil werden, dass ich die Energiezellen implantieren kann. Alles andere ist bereits angelegt und vernetzt.«
»Vernetzt«, flüsterte River kraftlos.
»Ja, ähm … es war auch ein Eingriff unter deiner Schädeldecke notwendig, da du ein Mindestmaß an Programmierung auf einem Computerchip erhalten hast. Steuerungsrelevante Daten und das vorgeschriebene Selbsterhaltungsprogramm. Das Prozedere ist unabdingbar, da die Vorschriften der Army für mich verpflichtend sind.«
Eine Programmierung, die also nicht nur dazu diente, seine Systeme kontrolliert laufen zu lassen, sondern auch, sein eigenes Denken und Handeln in lebensbedrohlichen Situationen zu beeinflussen und seine eigenen Entscheidungen außer Kraft zu setzen … River musste sich enorm zusammenreißen, um sein Entsetzen darüber im Griff zu behalten. Gerne hätte er geschrien und panisch um sich geschlagen, doch ihm war bewusst, dass ihm das kein Stück weiterhelfen würde, zudem fehlte ihm für so einen Ausbruch auch gänzlich die Kraft. Mit dumpfer Stimme fragte er: »Was noch alles?«
Phil hatte nun wieder eine professionelle Miene aufgesetzt und seine Stimme klang nüchtern. »Ich musste auch deinen Torso öffnen. Aber außer einer künstlichen Niere sind deine Organe unverändert. Es bleibt die Frage, ob ich das Herz ersetzen muss, oder ob deines mit dem Stromkreislauf kompatibel bleibt. Kann sein, dass es hier zu einer Notfall-Operation kommt, aber wenn das der Fall ist, bin ich vorbereitet.«
»Wie beruhigend«, erwiderte River und biss sich auf die Lippe. Sie war verkrustet, aber immerhin schien sie nicht gänzlich verbrannt zu sein. Im Gegensatz zu seinen Wimpern und Augenbrauen, von denen kein Härchen mehr übrig war. Ihr Fehlen ließ sein Gesicht zu einer vollkommen ungewohnten Maske werden. River versuchte, tapfer zu bleiben. Er drehte den Kopf langsam in beide Richtungen und erkannte, dass seine Ohren ebenfalls ersetzt worden waren.
»Es ist Silikon. Ich habe mir Mühe gegeben, sie so natürlich wie möglich zu gestalten. Ich denke, es ist mir gelungen. Wenn man sie nicht anfasst, ist eigentlich kein großer Unterschied zu bemerken.«
»Ich sehe ihn«, korrigierte River und fügte mit krächzender Stimme an: »Ich weiß nämlich wie sie vorher aussahen.«
»Tja, du hattest bestimmt sehr niedliche Öhrchen, bevor du dich entschieden hast, sie zu knusprigem Speck werden zu lassen.« Plötzlich klang Phil wütend, doch sofort rieb er sich die Augen und sagte dann versöhnlich: »Tut mir leid, River, aber ich leide ebenso unter all dem wie du. Wenn ich mir vorstelle, dass Benjamin jetzt an deiner Stelle wäre, weiß ich, wie falsch das alles ist. Aber es bleibt dabei, dass du nur die Wahl zwischen einer Verwandlung und dem Tod hast. Ich hoffe, du triffst die richtige Entscheidung. Die, die für dich die richtige ist, meine ich.«
River tat so, als hätte er weder den Angriff, noch das Mitgefühl in Phils Stimme wahrgenommen. Stattdessen fragte er sachlich: »Was können diese Silikondinger, was meine echten Ohren nicht konnten? Oder haben Sie sie nur angebracht, damit ich nicht wie ein Arsch ohne Ohren aussehe?«
Phil lächelte. »Sie sind beide mit einem Hörkraftverstärker ausgestattet. Aber du musst sie extra aktivieren, denn ich dachte mir, dass es bestimmt extrem nervend ist, jedes kleine Geräusch wahrzunehmen, obwohl man das nicht will. Ich habe mir dazu meine Großmutter zum Vorbild genommen, die grundsätzlich ihr Hörgerät nur angeschaltet hat, wenn es sich ihrer Meinung nach lohnte. Und glaube mir, das war äußerst selten der Fall.« Er lächelte, und River fühlte zum ersten Mal, seit er in den Spiegel gesehen hatte, ein wenig Menschlichkeit. Phil ließ den Spiegel sinken und legte ihn auf den Nachtschrank neben dem Bett.
»Nun hast du alles gesehen. Ich denke, ich weiß ungefähr, wie du dich jetzt fühlst. Aber das Monster, das du in dir selbst zu erkennen glaubst, existiert nicht. Das da drin bist nach wie vor du, selbst wenn dein Körper sich verändert hat. Und du solltest bedenken, dass er nicht so wund und nackt bleibt. Sobald alles funktioniert, werde ich dafür sorgen, dass du mit Haut versorgt wirst und die elektronischen Elemente sich so gut in deine Bewegungen einfügen, dass sie eine Bereicherung und kein Joch sein werden.«
River nickte. Was blieb ihm auch anderes übrig? »Ich habe Schmerzen, aber nicht so schlimme, wie ich wohl haben müsste. Wie kommt das?«
»Morphium. Es gibt einen Vorrat in deiner linken Achselhöhle, der dich nach einem strengen Zeitplan versorgt. Ich habe ihn nach den ersten Operationen implementiert, denn ich wollte nicht Gefahr laufen, dass du vor Schmerz wahnsinnig wirst. Mir ist allerdings bewusst, dass es trotzdem immer noch sehr quälend für dich sein muss.«
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