Innsbruck, im März 1946.
Gefertigt von jenen Mitgliedern der Wiltener Musikkapelle, welche durch ihr Einrücken zur Wehrmacht, einer Zwangsmitgliedschaft bei der NSDAP entgangen sind.“
Als Zeugen unterfertigten Alois Nagele, Tapezierer, und Hermann Niedrist, Schuhmacher. Ein weiterer Zeuge, Karl Mayrhoffer, offenbar ein Nachbar, bezeugte weiters, er habe von Rudolf Tutz nie eine Äußerung gehört, „welche ein Interesse an der NSDAP zu bekunden imstande gewesen wäre“. Schließlich rechtfertigt sich Rudolf Tutz (II) noch selber: Seine Familie sei immer „christlich“ gesinnt gewesen, er sei immer seiner Arbeit nachgegangen, von der in erster Linie die Tiroler Blasmusik profitiert habe.
7 Zur Engel-Familie siehe Silvia Albrich-Warger, Die Engel-Familie. Musikanten aus Reutte in Tirol erobern die Welt, Innsbruck 1998.
8 Zur Rekonstruktion der „Mozart-Klarinette“ durch Rudolf Tutz siehe Franz Gratl, „Vom schmalen Grat am Abgrund des Vergessens: Rudolf Tutz und die ‚Mozart-Klarinette’“, in: Peter Assmann und Roland Sila (Hg.), Vergessen. Fragmente der Erinnerung. Katalog zur Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, 13.12.2019–8.3.2020, Innsbruck 2019, S. 201–205.
9 Vgl. Franz Gratl, Rudolf Tutz – zum 70. Geburtstag. Ein Pionier des historischen Blasinstrumentenbaus. Begleitheft zur Sonderausstellung 2010 des Österreichischen Blasmusikmuseums Oberwölz in Zusammenarbeit mit den Tiroler Landesmuseen, Oberwölz 2010.
Die wohlbalancierte Flöte 1
HELMUT A. GANSTERER
Wenn Musikinstrumentenhersteller Rudolf Tutz spricht, hören selbst Genies wie Harnoncourt andächtig zu.
„Sie machen es richtig!“ – Rudolf Tutz (re.) mit Nikolaus Harnoncourt (li.) und Wolfgang Meyer (Mitte), Graz 2009, Foto: privat
„Und Sie haben mit Ihrer großen Hilfe wieder einmal erklecklichen Anteil daran, daß es so gut, ja wunderbar geworden ist.“
(Aus einem Brief von Nikolaus Harnoncourt
an Rudolf Tutz, 5. August 2011)
Bei Rudolf Tutz, 59, heißt es Vorsicht. Er kommt wie ein lieber Spinner um die Ecke, Idealverschnitt von Johann Strauss und Albert Einstein. Die lockige Mähne, der Schnauzer, das bissl Mollige, auch die Art zu reden signalisieren: ein Engel, unendlich weichherzig, schützenswert. Auch die künstlerischen Sprechpausen täuschen. Sie sind meist Vorbereitungen für verbale Einkesselungen und überraschende Finten.
Es freut ihn, wenn viele Wissende seine historischen Blasinstrumente für die besten der Welt halten. Aber wenn einer gar zu überschwänglich wird, befreit sich Tutz mit irrlichternden Scherzen, die er mit großen ernsten Augen vorträgt. Beispielsweise: „Ich pendle jedes der Löcher meiner Flöten aus.“ Sein Witz macht vor berühmten Musikern nicht Halt. Einen großen Flötisten, der um die Feinabstimmung seines Instruments bat, schickte er in die Ecke zum Üben. Sie mögen ihn und hören auf ihn, auch die großen Dirigenten. Ein Herr Gardiner findet noch zwei Logenplätze, wenn Herr Tutz zufällig in der völlig ausverkauften Semperoper in Dresden auftaucht. Und mit Nikolaus Harnoncourt verbindet ihn der freundschaftliche Respekt, den Profis füreinander empfinden. Ihr gemeinsames Anliegen: die höchstklassige Wiederfindung historischer Musik.
Tutz und sein Team (vier Mitarbeiter und sein in alle Geheimnisse eingeweihter Sohn) sind nicht nur erstklassige Handwerker. Tutz selbst ist vor allem Innovator. Er entwickelte die Mozart-Bassettklarinette für Prof. Hans Deinzer, Erstaufführung 1973, und Prof. Wolfgang Meyer, der damit 1999 im Großen Musikvereinssaal in Wien eine Konzert- und CD-Produktion unter Harnoncourt machte. Für Barthold Kuijken (Belgien) entwickelte er die historische Schubertflöte, für den Philharmoniker Walter Lehmayer Englischhorn und Wiener Oboe.
Tutz hält das Weltpatent für das variable Tonloch bei Holzblasinstrumenten. Wie einige andere Patente lässt er es auslaufen. Es kostet viel und ist im Prinzip „so unnötig, wie ein Patent, auf den Mount Everest zu gehen, das kann eh keiner perfekt nachmachen“. Der heutige internationale Rang von Tutz ist weit von den Anfängen entfernt. 1963 übernahm er von Vater Rudolf den Betrieb, ganz am Anfang der Tutz-Linie stand Uropa Anton, wie Rudolf ein Fabrikant und Servicemann der Tiroler Blasmusik.
Der Chef selbst „würde nie was anschaffen, was ich selbst nicht kann“, kann also alles, dürfte aber mit seiner Leidenschaft für die Barockmusik und als „Stimmer“ für europäische Spitzenmusiker ziemlich ausgelastet sein. Exportiert wird in 25 Länder, regelmäßig ausgestellt in Paris, London, Berlin, Frankfurt, Rom und Wien.
Die Frage, ob er durch seine weltweite Sonderstellung nicht auch Aufträge ablehnen müsse, beantwortet Rudolf Tutz wie folgt, wobei seine Augen unendlich ernst, beinahe todtraurig blitzen: „Ich weise niemand ab, der Kunde stirbt in der Lieferfrist.“
Linde Brunmayr-Tutz und Rudolf Tutz, Foto: privat
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1 Dieser Text erschien erstmals 1999 in der Ausgabe Nr.10/99 der Zeitschrift TREND.
Die Nachfolge
RUDI TUTZ JUN. IM INTERVIEW MIT INES ZIMMERMANN
I. Z.: Stand es immer fest, dass du den Betrieb übernehmen würdest?
Rudolf Tutz jun., Foto: privat
Rudi Tutz: Nein, überhaupt nicht. Zunächst habe ich angefangen, Architektur zu studieren. Doch nach dem Tod der Mutter brauchte mein Vater Hilfe im Betrieb. Ich brach das Studium ab, machte die Ausbildung über den zweiten Bildungsweg und legte die Meisterprüfung ab. Von Anfang an habe ich mich auf den Bau historischer Instrumente konzentriert und baue heute mit zwei Mitarbeitern in Teilzeit vorwiegend Klarinetten und Traversflöten. Wir haben sehr viele Aufträge für Klarinetten, vom Chalumeau bis zur romantischen Klarinette.
Weder von der Vater- noch der Mutterseite war zuvor die Nachfolge jemals thematisiert worden und ich empfand keinen Druck. Trotzdem glaube ich, dass es meinen Vater freute, als ich dazu kam. Für mich war der Einstieg ins Geschäft im Rückspiegel gesehen die viel interessantere und passendere Arbeit als mein ursprünglicher Wunsch, Architekt zu werden. So habe ich viel mehr Freiheit und weniger Sachzwänge. Instrumentenbau vereinigt so viele Talente, dass man ganz verschiedene Sachen daraus machen kann. Bei der Architektur sind Entwurf und Design höchstens zehn Prozent der Arbeit. Und dann kommen Emotionen, Geld, Auflagen, Neid, Politik und was weiß ich dazu. Noch dazu sitzt man den ganzen Tag vor dem Computer. Nichts für mich.
Von Anfang an habe ich das Geschäft unabhängig von der Arbeit meines Vaters in eine Richtung entwickeln können, die mir lag. Schon zu seinen Lebzeiten richtete ich die Firma auf den Instrumentenbau aus. Als meine Mutter noch lebte, managte sie das Geschäft. Wir hatten acht Angestellte und bedienten den Handel und den Orchesterservice, doch der Strukturwandel in der Branche war schon deutlich zu spüren; mit Handel und Reparaturen war kaum mehr Geld zu verdienen, die Internetkonkurrenz und die Euroumstellung taten ein Übriges. Der Instrumentenbau, der stets das Hobby meines Vaters gewesen war, das er abends und am Wochenende betrieb, wurde so zu unserem Hauptgeschäft.
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