Rudolf Stratz - Der flammende Sumpf

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Spannungsgeladener Thriller aus der Zeit Alexander des DrittenIm Zug nach St. Petersburg trifft Mediziner Axel von Küster auf zwei geheimnisvolle Fürsten, von denen einer eine verkleidete Frau ist. Als Axel die beiden bei der Polizei melden möchte, flüchten sie und stehlen Axels Pass.In St. Petersburg angekommen macht Axel die Bekanntschaft des gefürchteten, zarentreuen Tschurisch, dessen älteste Tochter Ljuba sich von ihm abgewandt hat und seitdem auf der Flucht ist. Axel glaubt, dass sie der verkleidete Fürst aus dem Zug ist und ein Attentat plant, und plötzlich muss er um sein Leben fürchten. Ein Katz- und Maus-Spiel beginnt…-

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Rudolf Stratz

Der flammende Sumpf

Saga

Der flammende Sumpf Cover Bild: Shutterstock Copyright © 1930, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507315

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

I

Die unheimlichen Abenteuer im einstigen zaristischen Russland, die die nachfolgenden Blätter verzeichnen, sind von dem, der sie in der Ruhe späterer Jahre zu Papier brachte, vor mehr als einem Menschenalter selbst erlebt. Er hat mit eigenen Augen im damaligen Zarenreich den Totentanz der Grossfürsten und Senatoren, der Popen und Tschinowniks, der Petersburger Mondänen und Moskauer Panslawisten gesehen. Er hat, vom Schicksal in die russische Unterwelt verschlagen, mit eigenen Ohren das Grollen der Tiefe unter den Füssen der Tänzer, lange vor dem Ausbruch des Vulkans, vernommen.

Er war von Beruf kein Mann der Feder. Sein Stil ist vom Herausgeber des Werks, so, wie es sich hier dem Leser vorstellt, geglättet, seine Darstellung geordnet, seine Namengebung geändert. Aber trotzdem bleiben seine Erinnerungen der getreue Spiegel einer einst furchtbaren und einem furchtbaren Schicksal verfallenen, nun lang in Nacht und Nebel verwehten, den Jüngeren unter den jetzt Lebenden schon völlig unbekannten Welt im Osten.

Und so möge hier folgen, was er niederschrieb.

Der Berliner D-Zug nach Russland dampft an einem kühlen, windigen Abend zu Anfang September achtzehnhundertneunzig langsam aus dem Bahnhof von Eydtkuhnen. Tausende von weissen Farbenflecken — wandernde russische Stoppelgänse — überschnattern rechts und links von ihm das Rattern der Räder. Noch rollen diese Räder auf deutschen Schienen. Aber nun — ich spähe ungeduldig, der Heimat nahe, in die Dämmerung hinaus — nur noch hundert Fadenlängen bis zum Flüsschen Lepone — nur noch fünfzig. Dumpf donnern die Bohlen der Brücke. Schwarzgelbweiss ragt auf ihr mit doppelköpfigem Reichsadler der russische Grenzpfahl. Dunkelgrün in der Dämmerung, mit umgehängtem Gewehr, leuchten neben ihm die Uniformen des Zaren.

Lange, finstere Gendarmen gehen durch den Wagen. Sie tragen noch die sommerlichen weissleinenen Schirmmützen und, vom letzten Türkenkrieg her, das Georgskreuz auf der Brust. Sie murmeln mit tiefen Stimmen: „Ihr Pass — belieben Sie!“ Ich reiche mit dem Pass in der Hohlhand eine Zehnrubelnote. Der Gendarm lässt sie stumm in seinen Ärmelaufschlag gleiten. Ich werde bei der Passrevision als erster aufgerufen werden.

Der Zug hält. Wirballen. Alles hinaus. Draussen in der Zollhalle, zum erstenmal wieder, der von Kindheit an vertraute Geruch Russlands — von Holz und Staub und trangeschmierten Stiefeln und Zigaretten und Schafpelzen. Neben dem Schragen, auf dem das Gepäck durchwühlt wird, sitzen an einem Tisch die Tschinowniks und blättern mit plumpen Fingern in den Pässen. Meiner liegt zu oberst. Mein Name klingt beim Aufruf zuerst:

„Gospodin Küster!“

Ich nähere mich erfreut und will meinen Pass in Empfang nehmen. Der Beamte hält die Hand darüber und schüttelt abwehrend den Kopf.

„Belieben Sie, in das Nebenzimmer zu treten!“

Der kleine, kahle Raum ist nur durch eine qualmende Petroleumlampe erhellt. Hinter ihr sitzt ein kahlköpfiger, schnauzbärtiger Gendarmerieoffizier. Neben ihm ein Schreiber. Noch ein bleicher, apostelbärtiger Kronsbeamter. Im Hintergrund ein Mann in Zivil, der sich nicht rührt und mich blinzelnd und durchdringend mustert. Ich begreife: das ist die Ochrana. Die furchtbare politische Geheimpolizei der dritten Abteilung im Ministerium des Innern. Aber ich habe die Ochrana nicht zu fürchten.

„Mein Pass ist in Ordnung!“ versetzte ich kurz und kühl. Man darf diesen Polizeikreaturen keine Demut zeigen. Sonst werden sie gleich frech.

Der Gendarmerieoffizier antwortet nicht. Er hält meinen Pass in der Hand und sieht abwechselnd das Papier und dann wieder prüfend mich an, so dass der Agent der Ochrana im Hintergrund es hören und vergleichen kann: „Gestalt: Gross. Schlank. Alter: Sechsundzwanzig Jahre. Haar: Dunkelblond. Augen: Blau. Bart: Kurzer dunkelblonder Schnurrbart. Nase: Gewöhnlich. Mund: Gewöhnlich. Besondere Kennzeichen: Keine.“ Ein Räuspern. Lauter: „Sie sind der russische Untertan, Doktor der Medizin Axel von Küster, geboren in Petersburg, lutherischen Glaubens, unvermählt . . .“

„Das steht ja alles in meinem Pass!“ versetze ich ungeduldig. Ich habe die lange Eisenbahnfahrt von Berlin her hinter mir. Ich bin hundemüde. Ich will nur rasch am Büfett soupieren und dann in den russischen Zug und schlafen . . .

„Wir müssen noch mehr wissen! Ihr Vater . . .“

„Mein Vater“, erwidere ich scharf und gemessen, „ist der Professor der Medizin Daniel von Küster in Petersburg, Exzellenz, mit dem Rang eines Wirklichen Staatsrats, Hofarzt seiner Kaiserlichen Hoheit des Grossfürsten Oleg Igorowitsch . . .“

Eine höfliche Handbewegung des glatzköpfigen Gendarmeriehauptmanns unterbricht mich.

„Gut! Gut! Und Ihre Frau Mutter?“

„Wenn Sie auch das interessiert: Katharina mit Vornamen. Tochter des verstorbenen lutherischen Pastors Casparson in Dorpat! Sind wir zu Ende?“

„Einen Augenblick noch, Gospodin Küster! Sie wuchsen in Petersburg auf?“

„Ich besuchte dort das Allexander-Lyzeum, dann die Kaiserliche Universität in Moskau und die neurussische Universität in Odessa und machte vor zwei Jahren mein medizinisches Staatsexamen in Dorpat!“

„Die beiden letzten Jahre“ — ein Blick in den Pass — „hielten Sie sich im Ausland auf?“

„Mein Vater stammt ja selbst aus dem Ausland. Er kam als junger Arzt aus Deutschland nach Petersburg!“

„Doch gehört Seine Exzellenz seit dreissig Jahren dem russischen Untertanenverband an! Wie Sie schon durch Ihre Geburt!“

„Sollte mich das hinder, in den beiden letzten Jahren in Wein, Zürich, Strassburg und Kiel meine medizinischen Kenntnisse zu vervollständigen? Westliche Bildung tut uns wahrhaftig in Russland not!“

„Gedenken Sie sich von jetzt ab wieder dauernd in Russland aufzuhalten?“

„ich werde meinem Vater künftig in seiner Praxis behilflich sein, die, wie Sie vielleicht wissen, die höchsten Sphärend er Petersburger Gesellschaft umfasst!“

„Og — wer kennt Exzellenz Küster nicht?“ mischte sich jetzt hüstelnd der zweite bärtige Tschinownik in das Verhör. „Auch mich hat er einmal, als ich unvorsichtig Newawasser getrunken hatte, im Alexanderhospital vom Typhus gerettet!“

Ich ziehe gereizt die Augenbrauen hoch.

„Warum werde gerade ich, sein Sohn, allein hier dieser Vernehmung unterzogen?“

„Wie denn: allein?“ Der bleiche Kronsbeamte geleitet mich zur Tür und öffnet sie. „Belieben Sie: da draussen stehen in langer Reihe alle Reisenden, die mit Ihnen kamen, und warten. Es sind russische Fürsten darunter, wie dort die beiden jungen Leute am Fenster — der mit der Lammfellmütze und sein Bruder in Gymnasiastenuniform. Man macht keine Ausnahme. Jeder wird, seit gestern, einzeln vorgenommen un geprüft!“

„Was ist denn wieder passiert?“

„. . . damit Sie Seine Exzellenz aufklären können . . . Sein Missfallen wäre uns peinlich — wir haben durch unseren höchsten Vertrauensmann — nun — Sie kennen den Namen des Generals Seliwerstow in Paris — wir haben von dort sichere Nachricht, dass in diesen Tagen einige der gefährlichsten staatsfeindlichen Elemente vom Ausland her versuchen werden, die russische Grenze zu überschreiten. Und die Anschläge dieser Gottlosen“ — die Worte aus dem warren Vollbart drüben sind nur noch ein nervöser und heiserer Hauch — „richten sich umnittelbar gegen die geheiligte Person des Selbstherrschers!“

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