Rudolf Tutz lässt sich zur Verleihung des Kulturehrenzeichens der Stadt Innsbruck chauffieren, Foto: privat
Rudolf Tutz am Strand mit der Einladung zur Verleihung des Jakob-Stainer-Preises, Foto: privat
Dabei blieb er von Schicksalsschlägen nicht verschont: 1993 starb seine Frau Veronika nach langem Leiden. 1998 heiratete Rudolf Tutz die international erfolgreiche Traversflötistin Linde Brunmayr, eine ehemalige Schülerin von Barthold Kuijken. Immer wieder machte er seiner zweiten Frau außergewöhnliche Instrumente zum Geschenk. Eine Flöte, die er 1996 für sie baute, die „Flûte de la barre“ (so benannt in Erinnerung an den französischen Komponisten Michel de la Barre, aber auch deswegen, weil die Flöte mit einem Bassbalken nach dem Vorbild von Streichinstrumenten ausgestattet ist), erwies sich als Erfolgsmodell. Linde Brunmayr-Tutz spielt heute noch bevorzugt ein Instrument dieses Typs.
Es ist ein großer Glücksfall, dass die Geschichte der Innsbrucker Instrumentenbauerdynastie Tutz mit Rudolf (III) nicht zu Ende erzählt ist. Sein Sohn Rudolf (IV) führt die Werkstatt weiter und hat sich in Musikerkreisen bereits einen guten Ruf erarbeitet. Auch er widmet sich in erster Linie dem Bau historischer Holzblasinstrumente. Mit Rudolf (III) Tutz schlug die Geschichte der Familiendynastie eine neue Richtung ein. Dieser Weg geht nun also weiter, in eine hoffentlich weiterhin prosperierende Zukunft. In diese Zukunft war der Blick von Rudolf Tutz stets gerichtet – er war noch kurz vor seinem Tod voller Pläne und Visionen. Sein kostbares Vermächtnis sind die Instrumente, die von Musikerinnen und Musikern auf der ganzen Welt gespielt werden.
_________________________________
1 Im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum wird als besondere Rarität ein „Tritonikon“, ein vor allem in der Militärmusik genutztes tiefstimmiges Doppelrohrblattinstrument, der Firma Červený aufbewahrt. Auch Graslitzer Instrumente, u. a. Fagotte und Hörner, finden sich in der Instrumentensammlung des Ferdinandeums.
2 Zu Groß siehe u. a. Monika Fink, Art. „Groß (Gross), Johann“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, Zugriff: 26.3.2020 ( https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_G/Gross_Johann.xml).
3 Anna Leibelt erhält 1857 die Befugnis, „das von ihrem Ehemanne Franz Leibelt innegehabte Befugnis zur Verfertigung aller Gattungen von Blech-Instrumenten während der Dauer des Witwenstandes und durch den Werkführer Anton Bresel fortzuführen“, siehe Bote für Tirol und Vorarlberg, 15.1.1857, S. 1.
4 1877 wird über den Innsbrucker Instrumentenmacher Anton Breinl wegen „gerichtlich erhobenen Blödsinns“ das „Kuratel“ verhängt und kurz darauf ein Konkursverfahren eröffnet; siehe Bote für Tirol und Vorarlberg, 16.4.1877, S. 8, und Meraner Zeitung, 25.7.1877, S. 4.
5 Am 5. Juli 1886 stirbt in Wilten „Anton Brambach, Instrumentenmacher, Witwer, alt 66 J., Adamgasse 2, an Speisröhren-Entartung“, siehe Bote für Tirol und Vorarlberg, 6.7.1886, S. 1238.
6 Unter ihrem Kapellmeister Sepp Tanzer wurden die Wiltener nicht nur zu einer Elite-Kapelle, sondern nach 1938 auch zum Gaumusikzug umgeformt. Ihre Aufgabe war nun, offizielle NS-Feierlichkeiten zu umrahmen. Dafür genossen die Mitglieder der Kapelle einerseits Privilegien, gerieten dadurch aber auch in die Nähe der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und ihrer lokalen Repräsentanten. Rudolf (II) Tutz musste sich nach dem Krieg einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen, weil er seit 16. März 1939 als Anwärter auf die Mitgliedschaft bei der NSDAP geführt wurde, mithin also wie viele andere einen Antrag auf Aufnahme in die Partei gestellt hatte. Der Akt zum Entnazifizierungs-Verfahren von Jahresanfang 1946 ist im Stadtarchiv Innsbruck erhalten. Er enthält u. a. eine ausführliche Stellungnahme und Verteidigungsschrift von Mitgliedern der Wiltener Musikkapelle für Rudolf Tutz, die eine wertvolle, bislang wohl unbeachtete Quelle zum Schicksal dieses Klangkörpers in der NS-Zeit darstellt. Natürlich handelt es sich um eine subjektive und wohl auch da und dort beschönigende Schilderung, aber viele Details sind durchaus glaubhaft:
„Herr Rudolf Tutz war im März 1938 Mitglied der Wiltener Musikkapelle. In den sogenannten Umbruchtagen wollte ein SA Führer Waidacher [Vinzenz Waidacher aus Mieders (1900–1941), Vorkämpfer des Nationalsozialismus in Tirol, SA-Standartenführer, Vertrauter von Gauleiter Franz Hofer, Täter beim Novemberprogrom 1938 in Innsbruck. Vgl. Nikolaus Hagen, „SA-Brigadeführer Vinzenz Waidacher“, in: Thomas Albrich (Hrsg.): Die Täter des Judenprogroms 1938 in Innsbruck, Innsbruck 2016, S. 31–36] aus dieser eine SA Musik und einige Tage später ein SS Führer Fleiss [Erwin Fleiss (1910–1961), SS-Sturmbannführer, Täter beim Novemberprogrom 1938 in Innsbruck, flüchtete über die sogenannte „Rattenlinie“ nach Paraguay. Vgl. https://www.novemberpogrom1938.at/taeterkreis/nachkriegsjustiz/(Zugriff 03/2020)] eine SS Musik machen. Trotz allen Androhungen von Auflösung des Vereines, Verlust des Berufes, ja selbst Abführung der ganzen Kapelle durch einen SA Sturm, lehnten die Mitglieder dieser Kapelle eine solche Umbildung ab. Sie hatten daher ihre Auflösung zu gewärtigen. Der damalige Gauleiter Hofer hörte von dem einmütigen Verhalten der Musikkameraden und stellte ihnen ein Angebot, wonach sie als Verein weiterbestehen könnten und die Kosten der Vereinserhaltung der Standschützenverband zu tragen hätte, die Kapelle mit vollkommen neuen Instrumenten ausgerüstet würde – wenn sie die musikalischen Ausrückungen für den Gau übernehmen würde. Im Ablehnungsfalle wäre aber unnachsichtlich mit der Auflösung der Wiltener Musikkapelle und der Beschlagnahme des gesamten Eigentums dieser Musik zu rechnen. Diesem Angebot stimmten die Mitglieder zu, nachdem vertraglich festgelegt wurde, dass die Wiltener Musikkapelle als solche bestehen bleibe und nur die Ausrückungen für den Gau gegen Bezahlung zu übernehmen hat. Nicht eigennützige Gründe waren für diese Handlung massgebend, denn der einzelne Musiker hatte daraus keinen Vorteil zu erwarten, sondern lediglich um den damals in ganz glänzender Form bestehenden Musikkörper der durch die vielen Wienerfahrten und dieser nach Cannes und Nizza sich in ganz prächtiger Form befunden hat, zu erhalten und eine Auflösung zu verhüten, wurde dieses Anbot angenommen. Erst später stellte sich heraus, dass durch die Übernahme der Ausrückungen für den Gau auch eine Anwartschaft zur NSDAP erwachsen ist, ohne dass die Mitglieder um ihr Einverständnis befragt wurden und auch ohne dass vorerst Beiträge zu leisten gewesen wären. Wir stellen daher fest:
a.) Dass Genannter für seine Anwartschaft bei der NSDAP nicht verantwortlich gemacht werden kann.
b.) diese Anwartschaft niemals missbrauchte und durch sein Verhalten stets bewiesen hat, dass er ein guter Österreicher geblieben ist.
c.) Dass Genannter, nachdem das Probelokal der Wiltener Musikkapelle in den Tagen des Zusammenbruchs der deutschen Armeen von durchziehenden Zwangsarbeitern vollständig geplündert und zerstört wurde und dadurch die Wiltener Musikkapelle ihres gesamten Inventares an Instrumenten, Noten, Nationaltrachten und Probelokaleinrichtung verlustig wurde, durch finanzielle und sonstige Opfer sein Bestes tat, die Kapelle wieder spielfähig zu machen und damit einen, seinem äussersten Können entsprechenden Beitrag zum Wiederaufbau seines Vaterlandes freiwillig und unaufgefordert leistete.
Читать дальше