Rudolf Tutz an der Drehbank, Foto: privat
Schon Ende der 1960er Jahre hatte Tutz einen Erfolg auf dem Gebiet des modernen Instrumentenbaus verbuchen können: Für Josef Hell, der als Trompeter bei den Wiener Philharmonikern spielte, baute er als Ergebnis intensiver Forschungsarbeit eine Wiener Konzerttrompete (1968), die in der Folge nicht nur von Hell, sondern auch von anderen Orchestermusikern gespielt wurde.
Eine Persönlichkeit, die Rudolf Tutz vielfältige Kontakte zur Fachwelt vermittelte, war der Musikwissenschaftler Walter Salmen (1926–2013), der von 1972 bis 1992 als Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Innsbruck wirkte; über die jahrzehntelangen Beziehungen zwischen dem Musikologen und dem Instrumentenbauer berichtet Gabriele Busch-Salmen in ihrem Beitrag ausführlich.
In den 1970er Jahren erlebte die Pflege Alter Musik auf historischen Instrumenten einen Boom. Sie trat aus ihrem Nischendasein und etablierte sich zunehmend als wichtiger Faktor im internationalen Konzertleben, freilich damals noch als bewusster Kontrapunkt zum etablierten und konventionellen klassisch-romantischen Konzertbetrieb. Es herrschte ein ausgeprägter Pioniergeist, man eroberte sich mit Entdeckerfreude und Experimentierlust sukzessive neues musikalisches Terrain. Rudolf Tutz war eine der Zentralfiguren dieser Bewegung, er war eine wichtige Anlaufstelle für die führenden Exponenten der Bewegung. Ob Dirigenten und Ensembleleiter wie Nikolaus Harnoncourt, Frans Brüggen und John Eliot Gardiner oder Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Welt, sie alle pilgerten „zum Tutz“. In den 1960er und 1970er Jahren stand noch die möglichst exakte Kopie von Originalinstrumenten im Zentrum des Interesses, doch gab es dabei große Hürden zu bewältigen: Die Instrumente waren oft schwer zugänglich, es gab kaum Pläne und man wollte nicht wahrhaben, dass 1:1-Kopien der Originale oft nur unbefriedigend oder sogar gar nicht funktionierten. Im Zusammenwirken mit bedeutenden Musikerinnen und Musikern, etwa dem Traversflötisten Barthold Kuijken, arbeitete Rudolf Tutz an Verbesserungen (dazu mehr im Beitrag von Barthold Kuijken in diesem Buch). Ihn interessierten die Geheimnisse der großen Instrumentenbauer der Vergangenheit, er war stets offen für völlig unkonventionelle Lösungen anstehender Probleme. Vor allem war ihm bewusst, dass jeder Spieler seine Eigenheiten hatte und dass es galt, ein Instrument „maßzuschneidern“, so wie es schon die großen Vorgänger getan hatten. Das zeichnete seine Arbeitsweise bis zuletzt aus, sowohl bei Neubauten als auch bei Reparaturen: Der unmittelbare und intensive Kontakt zu seinen Kundinnen und Kunden war für ihn zentral, er konnte intuitiv erfassen, wo das Problem lag, und schnell Lösungen anbieten.
Dass die Werkstatt des Rudolf Tutz, die 1977 von der Maria-Theresien-Straße in die Innstraße übersiedelte, zum internationalen Brennpunkt der Alte Musik-Szene werden konnte, liegt natürlich auch an der strategisch außerordentlich günstigen Lage und den glücklichen Fügungen: Der schon genannte Otto Ulf machte mit den Ambraser Schlosskonzerten (ab 1964), der Internationalen Sommerakademie (ab 1972) und den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik (ab 1976) Innsbruck zur musikalischen Drehscheibe der Szene. Aufgrund der Sommerakademie bevölkerten mehrere Wochen lang junge Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Welt Innsbruck, die Konzertreihen boten ein Podium für die bald wie Pilze aus dem Boden schießenden Alte Musik-Ensembles. Rudolf Tutz profitierte nicht nur von diesen Entwicklungen enorm, sondern gestaltete sie aktiv mit. So geht die Konvention, Musik der Klassik (und Frühromantik) auf dem Stimmton von 430 Hz zu spielen, auf Rudolf Tutz und Barthold Kuijken zurück – der belgische Flötist schildert die Hintergründe in seinem Beitrag.
Die Werkstatt in der Innstraße „back stage“, Rudolf Tutz mit Elefanten-Stoßzahn, Foto: privat
Der moderne Instrumentenbau war Rudolf Tutz zeitlebens ein Anliegen. Auch hier widmete er sich speziellen Problemen und versuchte sein umfassendes Wissen einzubringen. Immer wieder wurde er zu Hilfe gerufen, weil seine hohe Fachkompetenz und sein lösungsorientierter, unkonventioneller Ansatz geschätzt wurden. In den 1980er Jahren beispielweise widmete er sich intensiv dem „Wiener Klang“, der nach Meinung führender Musiker damals im Aussterben begriffen war. Rudolf Tutz hielt auf einem Symposion der Wiener Hochschule für Musik und darstellende Kunst ein viel beachtetes Referat und engagierte sich für die Wiederbelebung des Wiener Klangstils. Für den Solo-Oboisten der Wiener Philharmoniker, Walter Lehmayer, baute Tutz ein Instrument – über dieses Instrument und seine Premiere berichtet Prof. Lehmayer in seinem Kurzbeitrag in diesem Buch. Ab 1998 war Rudolf Tutz als Designer für die Firma Uebel in Markneukirchen tätig. Hier versuchte er, Erkenntnisse aus dem historischen Instrumentenbau in das Design moderner Klarinetten einfließen zu lassen.
Rudolf Tutz, der Vielseitige, entzog sich der Spezialisierung. Seine Domäne blieben die historischen Klarinetten und Flöten. Sein Interesse galt aber genauso kuriosen Instrumenten, von der Säulenblockflöte bis hin zur Brezentrompete. Seine vielfältigen Forschungen führten ihn in die großen Musikinstrumentenmuseen der Welt, wo er die Originale studieren konnte; in der Biblioteca Filarmonica und der Biblioteca Capitolare in Bologna zum Beispiel begutachtete er die dortigen originalen Renaissance-Flöten und ließ auch hier seine Erkenntnisse in Nachbauten einfließen. Die Alte Musik-Bewegung entwickelte sich weiter. Viel vom Pioniergeist der 1970er und 1980er Jahre ging verloren, aber Rudolf Tutz blieb immer am Puls der Zeit und neugierig, ein kritischer Beobachter und Mahner. Er verkörperte den so essentiellen Pioniergeist und trug ihn weiter; mit seiner unermüdlichen Neugier vermittelte er Begeisterung. Noch als Pensionist – 2003 übernahm Sohn Rudolf (IV) Tutz die Geschäftsführung der seit 1992 bestehenden Tutz GesmbH – und bis zu seinem Tod 2017 war Rudolf Tutz unermüdlich am Arbeiten und bemühte sich, den Wünschen der Kunden aus dem In- und Ausland nach Möglichkeit zu entsprechen. Er fungierte auch als international gefragter Berater, Aussteller, Vortragender und Forscher. Nicht zu vergessen ist das jahrzehntelange Wirken von Rudolf Tutz für die Tiroler Wirtschaftskammer: Er war bis zur Zusammenlegung bzw. Neugründung der Innung der Kunsthandwerke 2010 viele Jahre Tiroler Landesinnungsmeister der Musikinstrumentenerzeuger und Bundesinnungsmeisterstellvertreter.
Das Musikhaus Tutz in der Innsbrucker Schullernstraße, Foto: TLM
Diese vielfältigen Tätigkeiten wurden mehrfach gewürdigt: 2004 wurde Rudolf Tutz der Jakob-Stainer-Preis des Landes Tirol für besondere Verdienste um die Alte Musik zuerkannt. 2008 verlieh ihm der österreichische Bundespräsident den Berufstitel „Professor“. 2011 erhielt er das Ehrenzeichen für Kunst und Kultur der Stadt Innsbruck. Das Österreichische Blasmusikmuseum Oberwölz widmete Rudolf Tutz zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 2010 eine Sonderausstellung (in Kooperation mit den Tiroler Landesmuseen; Konzept: Franz Gratl und Bernhard Habla). Diese Schau wurde im Herbst 2010 in adaptierter Form auch vom Stadtmuseum Innsbruck übernommen. 9 Mit großem Engagement gestaltete Rudolf Tutz eine Reihe von Vermittlungsprogrammen, die im Rahmen dieser Innsbrucker Ausstellung stattfanden und sich vor allem an Kinder und Jugendliche richteten. Seinen besonderen Draht zu Kindern stellte Rudolf Tutz auch regelmäßig beim „Hoffest“ im Rahmen der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik auf Schloss Ambras unter Beweis, wo er alljährlich zu Gast war und mit den Kindern Instrumente bastelte. Zum 70er und 75er von Rudolf Tutz fanden Festkonzerte statt; der Jubilar wurde zu Rundfunksendungen eingeladen. Eine Ehrung der besonderen Art ist die ihm gewidmete Sendung der Reihe „Österreich-Bild“, die Martin Sailer unnachahmlich originell gestaltete. Rudolf Tutz tritt uns hier entgegen, wie er war: pointiert, humorvoll, kauzig, selbstbewusst und visionär.
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