Jamaica Kincaid
Mein Garten(buch)
Aus dem amerikanischen Englisch von Renate Orth-Guttmann
Kampa
In blinder, gefühlsmäßiger und hilfloser Liebe
für Annie & für Harold,
die manchmal der zornigen Überzeugung sind,
dass nur der Garten zwischen ihnen und einem
vollkommenen Einssein mit ihrer Mutter steht,
und manchmal recht damit haben.
Dass ich als Erwachsene eine Neigung zum Garten fasste, kam so: Kurz nachdem ich zum ersten Mal Mutter geworden war, schenkte mir mein Mann zum sogenannten Muttertag eine Hacke, einen Rechen, einen Spaten, eine Grabgabel und Blumensamen. Es war mein zweiter Muttertag; zum ersten hatte er mir Ohrringe geschenkt, die hatte ich in der Küche auf einen Tisch gelegt, von wo sie auf Nimmerwiedersehen verschwanden; weder ich noch sonst jemand, nicht die Putzfrau, nicht die Frauen, die mir halfen, mein Kind zu hüten, nicht mein Mann, nicht mein Kind – niemand hat sie angeblich je wiedergesehen. Ich kann mich nicht erinnern, ob die Samen und die Werkzeuge eingepackt waren, aber ich kann mich erinnern, dass ich sofort damit nach draußen ging und einen großen Teil des kleinen Gartens umgrub, einen Flecken Erde, der noch nie bestellt worden war, und dass ich alle Samen aus den Tütchen in die Erde brachte. Und dabei blieb es, denn nichts ging auf, der Boden war nicht ordentlich vorbereitet, er lag im Schatten einer mächtigen Eiche und eines mächtigen Ahorns (ja, diese beiden Bäume standen tatsächlich in unmittelbarer Nachbarschaft, und ich wusste nicht, was ich an ihnen hatte; zu ärgerlich, dass sie im Herbst ihre Blätter verloren und den ganzen Garten verschmutzten (dachte ich damals)).
Nebenan wohnte ein Mann namens Chet, der nur richtig atmen konnte, wenn er an eine Sauerstoffflasche angeschlossen war; hin und wieder kam er heraus, rauchte eine Zigarette und kümmerte sich um seine riesigen Tomaten, die dicht am Haus wuchsen. Die Tomaten waren dort der vollen Sonne ausgesetzt, und ihm war einerlei, ob aus dem Baumaterial seines Hauses womöglich Gifte in den Boden gelangt waren, in dem seine Tomaten wuchsen. Seine Tomaten gediehen und schmeckten köstlich; mein Gartenstück, das ich um den Preis von Blasen und schmutzigen Händen umgegraben hatte, sah aus, als hätte ein Tier dort irgendetwas Interessantes vermutet und vergeblich danach gewühlt; kein Mensch hätte beim Anblick dieses Durcheinanders, das ich angerichtet hatte, auf den Fundort eines verloren geglaubten Schatzes getippt.
Ich zog in ein anderes Haus, das gar nicht weit weg war und einen größeren Garten hatte. Chet starb, und ich schäme mich noch heute, dass ich ihn nach meinem Umzug nie mehr besuchte, ich war auch nicht auf seiner Beerdigung, obwohl ich davon wusste, und wenn ich heute seiner Frau Millie begegne, geht sie mir aus dem Weg (und ich mache es gewiss genauso, aber ich denke doch, dass eher sie es ist, die mir aus dem Weg geht). Das Haus, in das ich zog, hatte einer Mrs. McGovern gehört, und auch sie war gerade gestorben, aber ich hatte sie nicht gekannt und vorher auch noch nie von ihr gehört, deshalb brachte ich das Haus vom Gefühl her nicht mit ihr in Verbindung, bis eines Tages in meinem ersten Frühjahr in diesem neuen Haus und auf dem neuen Grundstück Folgendes geschah: Im Herbst hatten wir jemanden teuer dafür bezahlt, dass er den Rasen hinter dem Haus neu anlegte; der Rasen war auch sehr schön geworden, doch im Frühjahr schoben sich an vielen Stellen rötlich-braune Triebe durch die schöne neue grüne Fläche. Ich ärgerte mich so sehr, dass ich gerade kurz davor stand, den Rasenmenschen anzurufen und mich bitter zu beklagen, als meine neue Nachbarin, Beth Winter, mich besuchen kam und mir erzählte, wie schön es für sie sei, mit ihrer Familie – ihrem Mann und drei Kindern – in demselben Haus zu leben, in dem sie aufgewachsen war; als sie meine Klagen über den Rasenmenschen hörte und die rötlichbraunen Triebe sah, sagte sie: »Aber Mrs. McGovern hatte doch ein Päonienbeet!« Und so lernte ich, wie junge Päonientriebe aussahen, und auch, wie ein Ahorn aussieht, aber nicht, dass er auf Lateinisch Acer heißt; die lateinischen Namen lernte ich später, mit Widerstand.
In jenem ersten Frühjahr im Haus der alten Mrs. McGovern (da war sie schon lange tot) entdeckte ich ihr großes altes Taglilienbeet ( Hemerocallis fulva ), das direkt unter dem südwestlichen Küchenfenster wuchs, und Rob (Woolmington) kam mit seinem bescheidenen Rototiller und fräste ein schönes großes Rechteck für meinen Gemüsegarten und lief dann mit diesem bescheidenen Rototiller hinter mir her einmal um das Haus herum und legte auf mein Geheiß wunderlich geformte Beete an, sodass es schließlich aussah, als sei um das Haus ein schützender Wassergraben gezogen, aber es war kein richtiger Graben mit Wasser darin, sondern das Ergebnis einer ersten begeisterten Annäherung an die Gartenkunst.
So fing mein Garten an; es wäre aber auch nicht falsch zu erwähnen, dass ich damals gerade ein Buch las (von dem Historiker William Prescott), und dass es in diesem Buch um die Eroberung Mexikos oder – wie man damals sagte – Neuspaniens ging, und ich darin auf Blumen stieß, die Tagetes hießen und Dahlie und Zinnie; danach war der Garten für mich mehr als der Garten, den ich vorher im Kopf gehabt hatte. Danach war auch der Garten selbst etwas anderes.
Als ich mich endgültig in Mrs. McGoverns Haus eingelebt hatte (oder dem »Gelben Haus«, wie die Kinder es nannten, denn es war gelb angestrichen), hatte ich schon Teile des Rasens hinter dem Haus und Teile des Rasens vor dem Haus zu sehr wunderlichen, gartenunüblichen Formen umgegraben oder umgraben lassen. Diese Beete – denn ich versuchte, so etwas wie Blumenbeete zustande zu bringen – waren von eigentümlicher Gestalt, eigentümlich im Vergleich zu Blumenbeeten, wie sie im Garten üblich sind; mir war klar, dass sie eigentümlich waren und dass sie nicht so aussahen wie die Blumenbeete in von mir bewunderten Gärten, den Gärten meiner Freunde, in Gartenbüchern beschriebenen Gärten, aber das war nun nicht zu ändern; ich wünschte mir einen Garten, der so aussah wie etwas, was ich im Geiste zu sehen meinte, aber was genau das war, wusste ich damals nicht und weiß es bis heute nicht. Und ich glaube auch zu wissen, warum das so war: Der Garten ist für mich so eng mit Worten über den Garten und mit Worten an sich verknüpft, dass jede feste Vorstellung von Garten, jedes feste Bild für mich eine Provokation darstellt.
Erst als ich ein paar Jahre später in dem Haus von Dr. Woodworth lebte (dem braun verschindelten Haus mit den roten Fensterläden), durchschaute ich die Form dieser Beete. Dort hatte ich viel mehr Platz; ich hatte einen Rasen und hinter dem Rasen noch mehrere Morgen Land. Der Rasen hinter diesem Haus war größer als der Rasen hinter dem Haus der alten Mrs. McGovern, und deshalb waren auch meine Beete größer und wunderlicher, den in einem richtigen Garten üblichen Beeten noch unähnlicher, und es wurde immer schwieriger, sie anderen Gärtnern zu erklären, die mehr Erfahrung mit dem Garten und einen herkömmlicheren Schönheitsbegriff von Gärten hatten als ich. »Was ist denn das?«, wurde ich gefragt. »Was denkst du dir dabei?«, wurde ich gefragt. Manchmal antwortete ich dann: »Ich weiß es selbst nicht«, manchmal auch » …« (mit tiefem Schweigen). Als mir dämmerte, dass der Garten, den ich schuf (und immer noch schaffe und in Zukunft schaffen werde) so ähnlich aussah wie eine Landkarte der karibischen Inseln und des Meeres darum herum, erzählte ich es nicht den Gärtnern, die mich gefragt hatten, was das sei oder was ich mir dabei gedacht hatte; ich konnte nur staunen, wie sehr doch der Garten für mich eine Übung des Erinnerns ist, eine Möglichkeit, zu einer Vergangenheit zu finden, die meine eigene ist (die Karibik), und einer Vergangenheit, die indirekt zu mir in Beziehung steht (die Eroberung Mexikos und der umliegenden Gebiete).
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