Für die Praxis bedeutete dieses Manifest eine Anleitung, mit der Teams ihre Arbeit selbstorganisiert und eigenverantwortlich flexibler gestalten können, um noch schneller noch bessere Ergebnisse zu erzielen.
Alter Wein in neuen Schläuchen?
Immer wieder höre ich, dass »Agile« doch nur ein »Buzzword« und das Konzept nichts Neues wäre. Stimmt das? Um das zu klären, lassen Sie uns einen Blick auf die Geschichte der Agilität werfen: Wo kommt sie her und was ist die Idee dahinter?
Eine kurze Reise durch die Geschichte der Agilität
1902: Lean
Lean hat seinen Ursprung im legendären Produktionssystem des japanischen Erfinders Toyoda Sakichi. Aus dessen TPS (Toyota-Produktionssystem), das er bereits 1902 konzipierte und das bis heute weiterentwickelt wird, bildete sich die Firma Toyota. Agilität hat ihre Wurzeln in Lean und es gibt großflächige Schnittmengen zwischen den beiden Konzepten. So sind beide aus der Erkenntnis erwachsen, dass umfassende Planungen bei komplexen Aufgabenstellungen an Grenzen stoßen.
Die Lean-Philosophie
Die Kernidee des Lean-Gedankens ist es, Werte ohne Verschwendung zu erschaffen, indem man
•durch dezentrale kundenorientierte Strukturen alle Aktivitäten im Wertschöpfungsprozess auf den Kunden ausrichtet,
•einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess bezogen auf die Qualität der Produkte und die Optimierung von Geschäftsprozessen durchläuft,
•Teams mehr Eigenverantwortung übergibt,
•Führung als Service am Mitarbeiter versteht,
•transparente Informations- und offene Feedback-Prozesse lebt
•und den Einstellungs- und Kulturwandel im Unternehmen vorantreibt.
Alle diese Lean-Prinzipien stecken auch in Agilität. Kein Wunder, dass die beiden Begriffe häufig synonym verwendet werden und es sogar eine agile Methode gibt, die »Lean« im Namen trägt: Lean Startup.
Obwohl Lean Management und Agilität wesentliche Parallelen aufzeigen, gibt es aber wichtige Unterschiede:
1.Lean konzentriert sich auf das Standardisieren von Prozessen – Agilität fügt den Fokus auf schnelle Anpassungsfähigkeit, Innovation, häufiges Einholen von Feedback von Kunden und Vernetzung von Experten in crossfunktionalen Teams hinzu.
2.Während es das Ziel von Lean ist, Prozesse so weit wie möglich zu standardisieren und zu vereinfachen, bis nur noch die für die Wertschöpfung wesentlichen Elemente übrig bleiben, legen agile Methoden höchste Priorität darauf, durch eine sehr flexible Vorgehensweise auf veränderte Anforderungen reagieren zu können, und fokussieren auf innovative individualisierte Produkte. Denn seit Beginn des Messens von Innovationszyklen halbieren sich diese alle zwei Jahre. Deshalb fügt Agilität das Prinzip des »früh und regelmäßig Lieferns« hinzu, um die Innovationsgeschwindigkeit zu erhöhen. Im Grunde ist auch das eine Vermeidung von Verschwendung, denn wenn ich vom Kunden schon früh Feedback bekomme, sinkt das Risiko, Produkte oder Services zu liefern, die am Markt vorbeigehen.
3.Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Konzepten liegt in deren Schwerpunkten: Bei Lean liegt er auf der Massen- bzw. Serienfertigung, bei Agilität auf der Erstellung eines hoch individualisierten Einzelproduktes. Deshalb hat sich die Lean-Philosophie vor allem in der Fertigung durchgesetzt, agile Methoden in der IT- Entwicklung.
1940er: Kanban
Auch Kanban stammt aus Japan und wurde bereits in den 1940er-Jahren von Toyota im Rahmen der Lean-Philosophie entwickelt.
1982: »Corporate Agility«
In der Tat wurden schon vor knapp 40 Jahren erste Artikel zum Thema Agilität, so wie wir sie heute verstehen, veröffentlicht, und schon 1982 gaben zwei Autoren, die Kanadier John L. Brown und Neil McK. Agnew in ihrem Buch »Corporate Agility« eine erste Definition zur Beschreibung des Begriffs, die dem bzw. den heutigen sehr ähnlich ist:
»Corporate agility, the capacity to react quickly to rapidly changing circumstances, requires a focus on clear system output goals and the capability to match human resources to the demands on changing circumstances.« (BROWN & AGNEW)
Also auf Deutsch in etwa: »Die Agilität von Unternehmen, die Fähigkeit, sofort auf sich schnell ändernde Umstände zu reagieren, setzt voraus, dass klare Ziele für die Systemleistung festgelegt werden und die damit beschäftigten Personen an die Anforderungen und an die sich ändernden Umstände angepasst werden können.«
In dieser Definition werden schon viele Aspekte genannt, die auch in späteren Agilitätsdefinitionen wesentlich sind: Agilität als schnelle Reaktion auf Veränderungen, Fokus auf klare Ziele und die Einbeziehung des Menschen als wichtige Ressource, die sich ebenfalls an die veränderten Umstände anpassen können muss.
Auch in der Organisationslehre wird schon seit Jahrzehnten Agilität – im Wesentlichen wie heute auch – als flexible, schlanke, kundenorientierte Organisationsgestaltung bezeichnet.
1992: Der Lehigh-Report
Und schon ab den frühen 1990er-Jahren sind, ausgelöst durch das Erscheinen des Reports der Lehigh University zur mehrjährigen Forschungstätigkeit des Iacocca Institute (Roger N. Nagel: »21st Century Manufacturing Enterprise Strategy«), zig Veröffentlichungen zu diesem Thema erschienen, mit anhaltender Tendenz. In der Folge der Aktivitäten des renommierten Instituts haben sich agile Methoden weltweit verbreitet. So wird als Geburtsstunde des Begriffes Agilität meist das Jahr 1992 genannt. Die Artikel und die Definition aus den 1980er-Jahren zeigen aber, dass Gedanken zur Agilität schon existierten, bevor der Begriff Agilität geprägt und durch die Aktivitäten des Iacocca Institute weltweit verbreitet wurde.
Der Lehigh-Report zur Studie des Iacocca Institute der Lehigh University
Der »21St Century Manufacturing Enterprise Strategy Report« sollte Antworten auf eine Kongressanfrage liefern, wie die Produktion der US-Industrie wieder global wettbewerbsfähig werden könne. Die Schlussfolgerung der Studie, validiert durch Auswertung der Ergebnisse durch Führungskräfte aus fast 200 Unternehmen, Behörden und öffentlichen Organisationen, war, dass Verbesserungen in der Fertigung des Massenproduktionssystems allein nicht genügen würden, die Wettbewerbsfähigkeit von US-Unternehmen wiederherzustellen.
Das Buch »Agil im Wettbewerb« (»Agile Competitors«) basiert auf der meist kurz »Lehigh-Report« genannten Ausarbeitung von den gleichen Autoren Steven L. Goldman, Roger N. Nagel und Kenneth Preiss, die dort Agilität und Selbstorganisation als Erfolgsformel für den Umgang mit einem durch Wandel und Instabilität gekennzeichneten Wettbewerbsumfeld darstellen: Das Zeitalter der Massenproduktion und der daraus resultierenden Wettbewerbsstrategien sei vorbei; heute komme es für die Unternehmen darauf an, als agile Wettbewerber die Chancen fragmentierter Märkte zu nutzen und Kunden sowie Lieferanten als Partner in die Wertschöpfungsprozesse einzubeziehen. Agile Wettbewerber gingen in Teilbereichen auch Allianzen mit Wettbewerbern ein, wenn sich das als vorteilhaft für alle Beteiligten erweise.
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