Als Erklärungsansätze für Qualitätsschwankungen in Kindertageseinrichtungen werden oftmals Zusammenhänge von (relativ stabilen) Persönlichkeitsmerkmalen und der Prozessqualität untersucht. Jedoch ist der Forschungsstand zu diesem Zusammenhang überschaubar und die bisherige Befundlage heterogen (vgl. Eckhardt & Egert, 2017, 2018; Pianta et al., 2005; Tietze et al., 2013; Thomason, 2011). Tietze et al. (2013) konnten unter Einbeziehung von anderen Eigenschaften der Fachkraft einen tendenziellen positiven Zusammenhang zwischen der Persönlichkeitsdimension Verträglichkeit und Extraversion und der in der Krippe beobachteten Prozessqualität nachweisen, nicht aber für andere Persönlichkeitsdimensionen. Eckhardt und Egert (2018) fanden im U3-Bereich positive Zusammenhänge zwischen der Persönlichkeitsdimension Gewissenhaftigkeit und der Prozessqualität. Es zeigen sich also empirisch durchaus mögliche Abhängigkeiten. Die Befunde sprechen jedoch nicht für ein spezifisches Persönlichkeitsmerkmal, welches sich als besonders relevant herausstellt, sondern diese Einflüsse scheinen je nach Stichprobenzusammensetzung und Messmethode der Prozessqualität zu variieren.
Darüber hinaus sind auch zumindest indirekte Zusammenhänge zwischen der Selbstwirksamkeit der Fachkraft und der Prozessqualität anzunehmen. Die zentrale Annahme des Selbstwirksamkeitskonzepts ist es, dass Menschen Erwartungen bezüglich ihrer Kompetenzen, Probleme zu bewältigen, haben. Bei Selbstwirksamkeitserwartungen werden Überzeugungen abgefragt, die Auskunft darüber geben, inwieweit Personen sich selbst und ihre Umwelt als kontrollierbar erleben. Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung von pädagogischen Fachkräften ist unter anderem mit hoher Motivation, effizienteren Problemlösestrategien, höherer Arbeitszufriedenheit und Ausdauer assoziiert (Bäuerlein et al., 2017). Aus einigen Befunden geht hervor, dass besonders Selbstwirksamkeitserwartungen in Bezug auf die eigene Empathiefähigkeit mit prosozialem Verhalten in Zusammenhang stehen (Caprara, Alessandri & Eisenberg, 2012). Für den Schulbereich sowie für das Berufsleben liegen bereits Studien vor, die zeigen, dass höhere Selbstwirksamkeitserwartungen mit einer höheren Unterrichtsqualität bzw. Jobperformanz einhergehen (Klassen & Tze, 2014; Stajkovic & Luthans, 1998). Ob dieser Zusammenhang auch im Bereich der frühkindlichen Bildung zu finden ist, gilt es noch zu untersuchen.
Pädagogische Orientierungsqualität
Darüber hinaus gilt die pädagogische Orientierungsqualität als weiterer Bedingungsfaktor von Prozessqualität (Anders et al., 2016). Unter pädagogischen Orientierungen werden u. a. Einstellungen und pädagogische Überzeugungen, Erziehungs- und Lernziele subsumiert. Es wird angenommen, dass die pädagogischen Orientierungen der Fachkräfte ihr Handeln beeinflussen und somit auch die pädagogischen Prozesse prägen. Eine Reihe von empirischen Belegen bestätigen den Zusammenhang von Orientierungsqualität und Prozessqualität (u. a. Pianta et al., 2005; Eckhardt & Egert, 2017, 2018). So weisen erste Ergebnisse aus Deutschland auf eine bedeutsame Rolle der Erziehungsziele für die Prozessqualität hin (Eckhardt & Egert, 2017, 2018; Tietze et al., 2013). Einen weiteren Aspekt pädagogischer Orientierungen stellen berufsbezogene soziale Kompetenzen, insbesondere die »Sensitivität« einer Person dar. Dazu zählen das Gespür für soziale Situationen und die Fähigkeit, zwischenmenschliche Signale richtig zu deuten sowie freundlich und rücksichtsvoll zu agieren. Zu dem Zusammenhang zwischen Sensitivität und Prozessqualität gibt es bereits national und international einige positive Ergebnisse (Eckhardt & Egert, 2018; Vermeer et al., 2016). Diese beiden Aspekte von pädagogischen Orientierungen werden im vorliegenden Beitrag untersucht, wobei Sensitivität als subjektiv wahrgenommenes feinfühliges Handeln konzeptualisiert ist.
Nachdem insbesondere für Deutschland noch wenige Ergebnisse zur Qualität der pädagogischen Interaktionen und deren Bedingungsfaktoren im Krippenalter vorliegen, fokussiert der Beitrag folgende Zielstellungen:
2.1 Qualität pädagogischer Interaktionen über den Vormittag hinweg
(a) Zunächst soll untersucht werden, auf welchem Qualitätsniveau sich die Unterstützung von Emotion und Verhalten und die aktive sprachlich-kognitive Lernunterstützung in Krippengruppen in Deutschland befinden. Um die explorativen und deskriptiven Ergebnisse besser einordnen zu können, werden diese mit internationalen Resultaten verglichen. (b) Darüber hinaus werden die Zusammenhänge zwischen allgemeinen Bedingungsfaktoren und der Qualität der pädagogischen Interaktionen analysiert. Dabei werden strukturelle Merkmale (Fachkraft-Kind-Schlüssel, situationsspezifische Merkmale), Persönlichkeitsmerkmale der Fachkräfte (Persönlichkeit, Selbstwirksamkeit) sowie pädagogische Orientierungen (Erziehungsziele, Sensitivität) näher betrachtet. (c) Zudem wird die Interaktion signifikanter Bedingungsfaktoren im Zusammenhang mit der Qualität pädagogischer Interaktionen untersucht.
2.2 Qualität pädagogischer Interaktionen in Bilderbuchsituationen
(a) Da Bilderbuchsituationen als besonders sprachförderlich gelten, soll explorativ untersucht werden, wie hoch die Qualität pädagogischer Interaktionen tatsächlich in diesen Situationen ist und ob sich diese vom Durchschnittswert des Vormittages unterscheidet. (b) Weiter wird die Qualität pädagogischer Interaktionen in Abhängigkeit von situativen Bedingungen (u. a. Anzahl der Kinder und Fachkraft-Kind-Aktivitätenschlüssel) analysiert.
Insgesamt nahmen 43 Fachkräfte, die mit Kindern im Krippenalter arbeiten, an den BiSS-E-Studien teil. Die Fachkräfte kamen aus BiSS-Verbünden in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg und Sachsen (Evaluationsprojekte BiSS-E2 und BiSS-E1 2 ). Die Daten beziehen sich auf den ersten Messzeitpunkt der längsschnittlichen Evaluationsstudie. Im Mittel waren die Fachkräfte 37.07 (SD = 11.24) Jahre alt, 92.70 % waren weiblich und hatten durchschnittlich 12.02 (SD = 10.83) Jahre Berufserfahrung als pädagogische Fachkraft. Etwa 12.20 % der Fachkräfte verfügten über einen akademischen Abschluss auf Fachhochschul- oder Universitätsniveau. Die meisten Fachkräfte (87.50 %) arbeiteten überwiegend in geschlossenen Gruppenstrukturen, der Rest in einem offenen oder teiloffenen Konzept.
Zertifizierte Erheberinnen und Erheber hospitierten bei den Fachkräften an einem Vormittag, um strukturierte Live-Beobachtungen durchzuführen. Pro Vormittag wurden für jede Fachkraft vier bis sechs ca. zwanzigminütige Cycles unterschiedlicher Alltagssituationen mithilfe des Classroom Assessment Scoring Systems geratet. Die Fachkräfte wurden aufgefordert, ihren üblichen Tagesablauf einzuhalten. Lediglich um eine Bilderbuchbetrachtung wurde gebeten, sofern diese gut integrierbar war. Darüber hinaus wurden die Fachkräfte gebeten, Fragebögen auszufüllen. Die Angaben zu den pädagogischen Orientierungen erfolgten im Rahmen der Posterhebung. Die Rücklaufquote lag bei 80.00 %.
3.3 Instrumente
Prozessqualität
Das in den BiSS-E-Studien eingesetzte Classroom Assessment Scoring System – CLASS-Toddler (La Paro et al., 2012) dient u. a. dazu, verschiedene Qualitätsaspekte von Fachkraft-Kind-Interaktionen im Krippenalltag zu untersuchen. Die CLASS-Toddler wurde bereits erfolgreich international eingesetzt (u. a. Bandel, Aikens, Vogel, Boller & Murphy, 2014; Bücklein et al., 2017; Perren et al., 2016; Slot, Leseman, Verhagen & Mulder, 2015) und ermöglicht daher eine gute Einordnung von Ergebnissen im (inter)nationalen Vergleich.
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