Philippe Moser
Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie?
Untersuchungen zu Freiburg, Murten, Biel, Aosta, Luxemburg und Aarau
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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ISBN 978-3-8233-8363-5 (Print)
ISBN 978-3-8233-0195-0 (ePub)
Die hier vorgestellten Untersuchungen befassen sich mit der geschriebenen Sprache im öffentlichen Raum von fünf Städten, die als auf unterschiedliche Art und Weise mehrsprachig gelten, sowie von einer als einsprachig geltenden Stadt. Die Arbeit soll gleichzeitig eine kritische Auseinandersetzung mit den angewendeten Methoden aus dem Forschungsbereich der sogenannten Linguistic Landscape darstellen.
In der Einleitung führen wir die der Untersuchung zu Grunde liegenden Fragen ein. Zunächst wird allerdings der Forschungsgegenstand umrissen: die geschriebene Sprache in den Städten Fribourg/Freiburg, Murten/Morat, Biel/Bienne, Aosta/Aoste, Lëtzebuerg/Luxembourg/Luxemburg1 und Aarau.
Auf diese beiden Aspekte – geschriebene Sprache und mehrsprachige Städte – gehen wir anschliessend ausführlicher ein. In einem Überblick über die sprachgeschichtlichen Entwicklungen und die aktuelle Situation der Sprachpolitik und Sprachdemografie wird die Mehrsprachigkeit in der Schweiz im Allgemeinen betrachtet, bevor wir uns Kanton und Stadt Freiburg sowie Murten und Biel widmen, um schliesslich das Aostatal und die Stadt Aosta sowie Grossherzogtum und Stadt Luxemburg zu beleuchten, gefolgt von knappen Informationen zur einsprachigen Vergleichsstadt Aarau.
Im dritten Kapitel der Einführung umreissen wir zuerst die Entwicklungen der Forschung zur geschriebenen Sprache im öffentlichen Raum, die als Linguistic-Landscape-Forschung bekannt wurde. Es folgt eine Betrachtung der Probleme dieses Forschungsbereichs, in der wir verschiedene Ansätze zeigen und unseren eigenen entsprechend einordnen. Schliesslich stellen wir die Methode der Untersuchungen unseres Projekts vor, in Bezug auf Erhebung, Verarbeitung und Auswertung der Daten.
Die Resultate der Untersuchungen werden im zweiten Teil vorgestellt und getrennt nach den sechs betrachteten Städten gezeigt. Die Präsentation ist für die sechs Städte in einer identischen Struktur aufgebaut, für die Vergleichsstadt Aarau allerdings weniger umfassend: Die eingangs zusammengefassten Resultate werden jeweils im Anschluss vertieft. Dabei schliessen sich die Untersuchungen der Anteile ein- und mehrsprachiger Einheiten sowie der Situation der jeweils am wenigsten vertretenen berücksichtigten Sprache direkt an, während Untersuchungen zur Präsenz der jeweils berücksichtigten Sprachen und zu den Unterschieden zwischen einem vereinfachend als ‹Altstadt› bezeichneten Territorium und dem gesamten Stadtgebiet in Anhang I im Sinne eines Nachschlageteils vollständig wiedergegeben werden. Es folgt eine Betrachtung von Fragen der Grafik2 und der Übersetzung, bevor die Resultate abschliessend in den Kontext der aktuellen Sprachsituation gestellt werden3. Für Biel, Aosta und Luxemburg werden zuvor zusätzliche Ergebnisse zu spezifischen Besonderheiten der jeweiligen Orte eingefügt.
Als Schluss werden einige grundlegende Resultate zu den untersuchten Städten verglichen und zur Beantwortung der einführenden Fragen herangezogen.
A.1 Einleitung
A.1.1 Geschriebene Sprache im öffentlichen Raum
Gegenstand der vorgestellten Untersuchungen ist also zunächst die geschriebene Sprache im öffentlichen Raum, in erster Linie in Form zumindest teilweise standardisierter Sprachen, meist mit offiziellem Status in den jeweiligen Kontexten (konkret Deutsch, Französisch, Italienisch und Luxemburgisch). Wir beziehen uns auf die beiden Bedeutungen von ‹Schrift› zum einen als System zur grafischen und lesbaren Wiedergabe von Elementen einer bestimmten Sprache (hier durch Buchstaben) und zum anderen als konkrete Anwendung dieses Systems, die sich als grafisches Element auf einem materiellen Träger betrachten lässt. Entsprechend untersuchen wir die An- oder Abwesenheit der bestimmten Sprachen ebenso wie – in einem kleineren Teil der Untersuchungen – die vermittelten Inhalte und die Phänomene der konkreten, grafischen Anwendung der Schrift im zweiten Sinn. Berücksichtigt werden im Grundsatz sämtliche Elemente lesbarer Schrift im öffentlichen Raum, den wir in A.3.3.1 ausführlich definieren.
A.1.2 Die Städte Freiburg, Murten, Biel, Aosta, Luxemburg und Aarau
Die Untersuchungen beziehen sich auf den öffentlichen Raum (vgl. A.3.3.1) der Städte Freiburg, Murten, Biel, Aosta, Luxemburg und Aarau. Es handelt sich dabei um fünf auf unterschiedliche Art und Weise mehrsprachige Städte, die untereinander und mit der einsprachigen Stadt Aarau1 verglichen werden sollen.
Es wurden dazu bewusst fünf mehrsprachige Städte ausgewählt, deren sprachliche und allgemeine Situationen sich zuweilen äusserst deutlich unterscheiden, in einigen Punkten bis zur Gegensätzlichkeit. Die im Folgenden kurz umrissenen Punkte werden für den Vergleich der Resultate aus den fünf mehrsprachigen Städten in C.1 herangezogen.
In Bezug auf die Orte der Untersuchung liegt der Schwerpunkt mit Freiburg, Murten und Biel sowie Aarau auf der Schweiz. Dazu wurden zusätzlich zwei Städte ausgewählt, die ausserhalb der Schweiz und somit in Regionen liegen, die von anderen sprachpolitischen Situationen geprägt sind: Aosta in der Autonomen Region Aostatal in Italien und Luxemburg im gleichnamigen Grossherzogtum.
Auch zwischen den drei Schweizer Städten liegen Unterschiede und Gegensätze vor: Biel liegt im Kanton Bern, während Murten und Freiburg im Kanton Freiburg liegen; Biel anerkennt die Zweisprachigkeit auf Gemeindeebene, Freiburg und Murten nicht; Letztere liegen zwar im gleichen Kanton, nicht aber im gleichen Bezirk, wobei der Bezirk nur im Fall von Murten offiziell zweisprachig ist; In allen drei Städten stehen Deutsch und Französisch in Kontakt, in Biel und Murten überwiegt die deutschsprachige Bevölkerung (in Murten weitaus deutlicher als in Biel), in Freiburg die französischsprachige.
Luxemburg unterscheidet sich von den übrigen zweisprachigen Städten durch seine Dreisprachigkeit (wir beziehen uns auf die offiziellen Sprachen).
Für die Schweizer Städte kann von Mehrheits- und Minderheitensprachen gesprochen werden, während im Fall von Aosta die eine der beiden offiziellen Sprachen kaum über eine Sprachgemeinschaft verfügt und ihre heutige Präsenz in erster Linie politisch und symbolisch begründet ist. Im Fall von Luxemburg kommen den drei Sprachen unterschiedliche Funktionen zu, wodurch wir auch hier nicht von eigentlichen Sprachgemeinschaften sprechen können.
Darüber hinaus sind die gewichtigen Unterschiede in der Bevölkerungszahl (von weniger als 10 000 in Murten bis zu mehr als 100 000 in Luxemburg) und Fläche (von unter 10 km 2für Freiburg bis zu mehr als 50 km 2für Luxemburg) hervorzuheben.
Neben den erwähnten Unterschieden besteht – zusätzlich zur in unterschiedlicher Form und Ausprägung vorhandenen Mehrsprachigkeit – die Gemeinsamkeit der Präsenz der französischen Sprache. Auch diese zeigt sich allerdings in verschiedenen Kontexten: als Mehrheitssprache (Freiburg), als Minderheitensprache (Murten und Biel), als politisch gestützte Sprache mit vornehmlich symbolischer Funktion (Aosta) oder als wichtigste Amtssprache aber nicht wichtigste Hauptsprache der Bevölkerung (Luxemburg).
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