In Phuket machen sie IVALU fit für den Indischen Ozean: Neue Leinen, ein neues Großsegel und, oh Wunder, der E-Motor wird endlich zum Laufen gebracht. Corinna muss zurück nach Deutschland, um ihr Studium fortzusetzen. Dafür kommt spontan der 20-jährige Thomas an Bord, ein ehemaliger Segelschüler von Martin, der gerade sein Abitur gemacht und nun Lust auf Abenteuer hat. Die soll er erleben.
Ein Zyklon heftet sich auf dem dritten Ozean der Reise an ivalus Fersen. Seine Zugbahn scheint mit dem Kurs der Yacht identisch zu sein.
Denn ein Zyklon heftet sich auf dem dritten Ozean der Reise an IVALUS Fersen. Seine Zugbahn scheint mit dem Kurs der Yacht identisch zu sein. Martin beschließt, ein Ausweichmanöver nach Süden zu fahren. Rund 500 Seemeilen Umweg, doch die Alternative wäre, direkt ins Zentrum des Tropensturms zu geraten – mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ende der Reise. Ausläufer mit 55 Knoten Wind erwischen IVALU dennoch, knapp eine Woche herrscht Ausnahmezustand an Bord, vergleichbar einer Achterbahnfahrt im U-Boot. Martin und Thomas verriegeln Schotten und Luke und verbringen eine Woche am ruhigsten Punkt der Yacht: mittschiffs auf dem Kajütboden. Frohnatur Martin kann selbst dem etwas Gutes abgewinnen: »Es war ehrlich gesagt eine ziemlich gemütliche Woche«, erinnert sich der mittlerweile 32-Jährige. »Vorher war ich sehr angespannt. Aber als es dann losging, war das weg. Da wir weit von allen Schifffahrtsrouten entfernt waren, konnten wir relativ sicher sein, dass kein anderes Schiff aufkreuzt.«
Als Martins 28. Geburtstag an jenem Novembertag auf dem Indischen Ozean ansteht, ist der Zyklon abgezogen, der Passatwind schiebt wieder und langsam wird es kälter. Nachts herrschen nur noch 20 Grad – nach einer gefühlten Ewigkeit ein Anlass, die lange Kleidung wieder herauszusuchen.
In Südafrika ist Martin froh über helfende Hände beim Anlegen. Längst nicht mehr überraschend: Der Motor will wieder nicht. Doch Mutter Lilli und Schwester Barbara sind schon da, um Weihnachten an Bord zu feiern. Ohnehin nutzt die junge Crew gern jeden Anlass zum Feiern: Oktoberfest, Karneval, jede Äquatorüberquerung, der 1000. Tag auf See oder der Jahrestag des Ablegens in Kiel. Ein Schluck für Rasmus gehört immer dazu.
Plötzlich wieder Wassertiefen
»Wir haben zwei Anläufe gebraucht und das Beiboot ist gekentert. Aber es hat sich gelohnt.«
Ein letztes exotisches, nur mit dem Schiff zu erreichendes Reiseziel reizt Martin noch. Er segelt nun wieder mit Barbara, Thomas’ Auszeit ging in Südafrika zu Ende. Die Geschwister wollen die Suppenschildkröten beobachten, die einmal im Jahr auf der Atlantikinsel Ascension ihre Eier am Strand vergraben. »Der Aufwand, um die Genehmigung auf Sankt Helena zu bekommen, ist hoch und die Ankerbucht auf Ascension bescheiden«, resümiert Martin. »Wir haben zwei Anläufe gebraucht und das Beiboot ist gekentert. Aber es hat sich gelohnt.«
Die Kapverdischen Inseln zu erreichen, fühlt sich an, wie nach Hause zu kommen. Die richtige Heimkehr würde Martin gern hinauszögern. »Hätte ich noch etwas mehr Geld gehabt und hätte ich das Schiff nicht wieder abgeben müssen, wäre ich mit Sicherheit wieder in die Karibik gesegelt. Und wäre wahrscheinlich immer noch unterwegs«, lacht der Weltumsegler.
Irgendwann hilft alles Aufschieben nichts mehr. Martin notiert auf den Kapverden: »Am 1. Mai war eine große Party für die Angestellten im Club Nautico. Dass auch ich eingeladen war, zeigt vielleicht, dass es langsam wirklich Zeit wird, weiterzuziehen.« Nachdem ein weiterer Crewwechsel stattgefunden hat, nimmt er Kurs auf die Azoren, die – wenngleich weit draußen im Atlantischen Ozean gelegen – doch die Rückkehr nach Europa markieren.
Hier hat der Skipper die erste Erkältung seit drei Jahren und hält den letzten Vortrag über Meeresverschmutzung. Vor der europäischen Küste kommt noch mal Unruhe auf, mangels Vertrauen in den Motor und weil »nach knapp drei Jahren mit Wassertiefen von mehreren Tausend Metern die Nervositätsgrenze schon anfängt, sobald das Echolot überhaupt eine Tiefe findet«. Die letzten Meter in den Hafen von Zeebrügge lässt Martin sich schleppen, und auch für die Passage des Nordostseekanals findet sich ein freundlicher Skipper, der IVALU zieht.
Am Steg in Kiel wartet das Empfangskomitee aus Familie und Mitseglern der letzten Jahre. Anspannung beim sonst so gelassenen Captain: bloß keine Blamage beim Anlegen!
Ein Plädoyer von Robinson
Über das Wiederankommen schreibt Martin: »»Die erste Zeit zurück in Deutschland war – entgegen aller Befürchtungen – supercool. Jedes Wochenende Grillen mit Freunden, super Sommerwetter und eine Willkommensfete, die sich gewaschen hat. Relativ schnell und unkompliziert habe ich einen Job gefunden: alles perfekt gelaufen. Trotzdem: Wenn man einmal die große Freiheit geschnuppert hat und über mehrere Jahre tun und lassen konnte, was man will (und das auch noch an den schönsten Orten der Welt), ist es manchmal gar nicht so leicht, sich wieder in ein von Konsum und Statussymbolen bestimmtes System einzugliedern. In eine Welt, in der man höchstens ein Viertel seiner Zeit frei, unabhängig und selbstbestimmt verbringen kann und sich die Leute vor lauter iPhone schwertun, einander in die Augen zu schauen. Was manchmal fehlt, ist die Erkenntnis oder der Wille, sich Zeit zu nehmen und den ganzen Alltagsstress einfach mal Alltagsstress sein zu lassen. Und an Tagen, an denen einem genau diese Tatsachen tierisch auf den Geist gehen, wünscht man sich auf ein kleines Segelboot irgendwo in die Weiten des Pazifiks, fernab von Smartphones, Facebook, Businesskasperei und Co.«
Aus dem Video- und Fotomaterial der Reise produziert Martin einen Film, der während gut 25 ausverkaufter Vorstellungen Fernweh in bayerischen Kinos auslöst. Ihr Umweltprojekt führen Corinna und Martin noch in einigen Schulen in der Heimat durch. Die Resonanz: riesig.
Ach ja, und dann wäre da noch … der Motor: IVALU hat inzwischen wieder einen Dieselmotor. Der E-Antrieb flog nach der Rückkehr raus, da das Vertrauen der Schiffseigener in ihn dann doch nicht so grenzenlos war wie das ihres Sohnes.
Der schmiedet bereits neue Pläne: »Ich habe tausend Ideen für weitere Reisen im Hinterkopf. Und jeder geht davon aus, dass ich irgendwann wieder weg sein werde.«
Irgendwann ist manchmal schon ganz bald.
… Tipps für Weltumsegler
• Sich genug Zeit nehmen, drei Jahre sind das Minimum. Zwei Jahre, das klappt nicht.
• Auf gute Ausrüstungsgegenstände wie Anker und Selbststeueranlage achten. Sie können das Leben an Bord, vor Anker und unterwegs, sehr komfortabel machen.
• Improvisieren können: Mit Zwei-Komponenten-Kleber kann man auch mal einen abgebrochenen Zahn reparieren [lacht]. Hat bis zum Ende der Reise gehalten!
… wichtigste Bücher an Bord
• »Segelrouten der Welt« von Jimmy Cornell.
• Mein Lieblingsbuch: »Schiffbruch mit Tiger« von Yann Martel.
… spontane Antworten
Nordsee oder Ostsee? Eigentlich keine von beiden, sondern die Passatregion, wo der Wind stetig weht. Aber die Ostsee ist einfach wunderschön, hat viel zu bieten, tolle Ankerplätze. Die Nordsee sicher auch, ist aber wahnsinnig rau und ungemütlich. Ich würde immer schauen, dass ich da schnell durchkomme. Ein Freund von mir hat mal gesagt, die Nordsee sei kein Segelrevier, sondern eine Zumutung.
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