Dort lassen Martin und Barbara nach der spannenden Überfahrt die Seele baumeln – zu zweit jedoch, Johannes hat die Reise beendet. Am Boot ist reichlich zu tun, und der junge Skipper trifft eine Entscheidung: Ein neuer Motor muss her, ohne geht es nicht. Er ist von dem Konzept eines Elektromotors überzeugt, dessen Versand in die Südsee zudem weniger kostet als der eines neuen Dieselantriebs. Nach Fidschi soll das Modell aus den USA geliefert werden, dort liegt das nächste Ziel der IVALU.
Robinson ist hängen geblieben – ein großes Problem bei einem straffen Zeitplan und einem schmalen Budget.
Auf den Einbau folgt jedoch Ernüchterung statt Erleichterung: Das heiß ersehnte Teil funktioniert nicht. Ersatzteile lassen auf sich warten, Tage und Wochen verstreichen und auch der Moment, um noch sicher in der Saison weiterzusegeln. Robinson ist hängen geblieben – ein großes Problem bei einem straffen Zeitplan und einem schmalen Budget. Für zwei Jahre hätten Martins Ersparnisse gereicht. 500 Euro pro Monat und Mitsegler hat er kalkuliert, jeder zahlt für sich selbst. Das ist zwar knapp, reicht aber – bis zum Motor-Aus.
Eine Idee ist, während der anstehenden Zyklonsaison in Australien oder Neuseeland zu arbeiten. »Aber wir waren ja nicht zum Arbeiten auf Weltumsegelung, sondern um etwas zu sehen«, lacht Martin. Es wird Plan B: ein Jahr länger segeln, das dabei entstehende Zeitfenster mit einer Route zu den abgelegenen Inseln des Nordpazifiks füllen und später durch Südostasien segeln. IVALUS Eigner in der Heimat zeigen sich wieder als Eltern, von denen weltumsegelnde Kinder träumen: Sie verzichten ein weiteres Jahr auf das Familienschiff und borgen Geld für die nächsten zwölf Monate.
Und so fährt IVALU zickzack auf dem Pazifik. Auf den weiten Schlag nach Süden folgt die lange Tour nach Norden. Sie will gut vorbereitet sein, da nur wenige Crews in die Richtung segeln. Tankstellen für Weltumsegler gibt es dort nicht. Frischwasser und Proviant werden bis zum Anschlag gebunkert, ein Haufen Geschenke für Tauschgeschäfte auf den Inseln ohne Bargeldverkehr kommt an Bord: »Angelhaken, Köder, Messer, Taschenlampen und bayerische Bierkrüge im Miniformat kamen immer gut an«, sagt Martin. Ein freundlicher Australier, der gerade aus dem Norden kommt, schenkt ihnen die nötigen Seekarten und Gastlandflaggen.
Ein heißer Tropfen auf einem rollenden Stein
Barbaras Urlaub ist vorbei, dafür kommt die Studentin Corinna an Bord. Und mit ihr ein Umweltprojekt, das diese Weltumsegelung noch ungewöhnlicher machen soll, als sie es ohnehin schon ist: Corinnas Initiative »Ivalu & You« soll auf die Verschmutzung der Meere aufmerksam machen.
»Unser Ziel war es, in den Ländern der Reise Workshops mit Kindern durchzuführen, um sie auf spielerische Art und Weise für die Müllproblematik zu sensibilisieren«, sagt Martin. »Natürlich war das vielfach nur ein Tropfen auf einem heißen Stein. Aber an manchen Orten haben wir vielleicht einen kleinen Stein ins Rollen gebracht.« Auf den Fidschi-Inseln beginnen sie, besuchen später Schulen in Tuvalu, Mikronesien und auf den Philippinen. Aus angeschwemmten Plastikteilen bauen Corinna und Martin Mülltonnen mit den Kindern der Pazifikinseln. Produkte in Verpackungsmaterial werden hier mit dem Versorgungsschiff angeliefert – der entstehende Plastikabfall begräbt manch kleine Insel.
Woher weißt du, dass schon März ist?
Ihre Energie wird nach wie vor von der Achillesferse der Reise in Anspruch genommen.
Etwa 15 Schulen besuchen Corinna und Martin während der Reise – weit weniger, als geplant war. Denn ihre Energie wird nach wie vor von der Achillesferse der Reise in Anspruch genommen – dem neuen Motor, der immer noch nicht so läuft wie er soll. Martin verdächtigt einen defekten Sensor, schuld daran zu sein, dass sie alle Riffpassagen und Ankermanöver unter Segeln statt unter Maschine absolvieren müssen. »Es war zwar cool, wenn man durch einen langen Pass segelt, seitlich die Wellen brechen und einen die alten Segler in der Hafenkneipe später ungläubig anschauen und fragen: ›Ihr seid da reingesegelt, oder?‹«, lacht Martin. »Aber ich würde es nicht noch mal machen.«
Seine Reiseplanung muss mangels Maschine besonders vorausschauend und exakt sein. Um durch die teils langen und engen Riffdurchfahrten zu gelangen, müssen Wind und Strömung aus der richtigen Richtung kommen, das Sonnenlicht von oben oder achtern, um Korallen und die Wassertiefe ausmachen zu können. Azur heißt flach, tiefblau heißt tief. Auch nach Wochen der Übung bleibt das Bauchkribbeln bei diesen Manövern, die die Crew stets mit einer geschützten türkisfarbenen Lagune belohnen. »Manchmal mussten wir zwei bis drei Tage vor einer Insel warten, bis die Bedingungen stimmten«, erzählt Martin. »Unter Motor kann man im Notfall noch mal abdrehen, unter Segeln hat man nur eine Chance. Kreuzen im Pass war mit einem Schiff wie IVALU quasi unmöglich.« Manchmal taucht Corinna vorher hindurch, um Tiefe und Kurven auszuloten. Manchmal helfen andere Segler oder Einheimische mit dem Dingi bei der Ausfahrt.
Einladungen auf eine Kokosnuss anstatt zum Feierabendbier, Regenwasser fangen statt Wasserhahn aufdrehen.
Doch bei allem Pech mit dem elektrischen Antrieb: »Im Nachhinein war die Panne mit dem Motor ein Glücksfall. Mit dem Verpassen der Saison begann ein neues Segeln, bei dem wir die Möglichkeit hatten, Orte und ihre Bewohner über einen längeren Zeitraum hinweg kennenzulernen. Die Tour über Tuvalu, Mikronesien und Palau zu machen, war die beste Idee der Weltumsegelung.« Die Inseln beeindrucken Martin mit der Gastfreundschaft ihrer in Einfachheit lebenden Bewohner. Kaum Internet, kein Handyempfang. Dafür Tauschgeschäfte statt Kreditkartenzahlung, Einladungen auf eine Kokosnuss anstatt zum Feierabendbier, Regenwasser fangen statt Wasserhahn aufdrehen. Verabredungen nicht zu einer Uhrzeit, sondern zum Sonnenuntergang. Einmal wird den jungen Seglern strahlend erzählt, dass sie nur knapp einen anderen deutschen Reisenden verpasst hätten – der Landsmann hatte die Insel zwei Jahre zuvor besucht. Das Zeitgefühl dieser anderen Welt überträgt sich auf das Paar. Auf Corinnas Aussage »Du, es ist schon März«, ist Martins Antwort: »Woher weißt du so was?«
Sie sind im Paradies für Robinson.
34 Tage im Südchinesischen Meer
Umso gewaltiger ist der Kulturschock, als die IVALU-Crew im Frühjahr und Sommer 2012 durch Südostasien segelt. Laute Städte, Millionen Menschen. Reizüberflutung. Großes Plus der Region jedoch: Es gibt Segelmacher für IVALUS lädierte Tücher, volle Supermärkte, aber auch einsame Buchten für die Momente, in denen der Skipper den Pazifik vermisst.
»Die Überquerung des Verkehrstrennungsgebiets war, wie eine vierspurige Autobahn zur Hauptverkehrszeit auf Krücken zu überqueren.«
Zeit für Wehmut bleibt nicht lange, denn der lahmende Motor führt auch zu verlängerten Aufenthalten an Orten, die man eigentlich möglichst schnell wieder verlassen will. Die Straße von Singapur und die Malakkastraße gehören dazu. Martin: »Abertausende von Schiffen drängen sich hindurch, noch mal so viele liegen zu beiden Seiten vor Anker. Der Panamakanal ist ein Witz dagegen. Die Schiffe sind bis zu 350 Meter lang und teils mit über 20 Knoten unterwegs. Die Überquerung des Verkehrstrennungsgebiets war, wie eine vierspurige Autobahn zur Hauptverkehrszeit auf Krücken zu überqueren.«
Zu dem Schiffsverkehr im Südchinesischen Meer gesellen sich heftige Schauerböen und Unwetter, Flauten, leichte, drehende Winde und starke Strömungen. Dem neuen Fahrplan hinkt die Crew durch das ständige Warten auf Ersatzteile für den defekten Antrieb und andere Reparaturarbeiten wieder hinterher. Der Nordost-Monsun hat bereits auf Südwest gedreht – und kommt nun direkt von vorn. 34 Tage brauchen Martin und Corinna kreuzend für die Strecke von den Philippinen nach Singapur, die eigentlich in der Hälfte der Zeit zu schaffen wäre.
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