Ob nicht ein Gewitter im Anzuge sei? fragte Wallenstein, nach dem dunstigen Horizont blickend. Nein, sagte Argoli, noch acht Tage, solange Jupiter den Himmel beherrsche, werde die Atmosphäre den entzündlichen Stoff einsaugen und vertilgen; hernach, wenn sie überladen sei, werde es mit furchtbarer Gewalt ausbrechen. Es mochte in entfernten Regionen ein starker Wind lebendig sein; denn während die Wipfel der Platanen um den Platz herum unbeweglich schwebten, eilte dunkles Gewölk unstet durch den blauen Himmel. Etwa um die zehnte Stunde traten die Sterne hervor, und bald darauf zeigte Argoli seinem Schüler die aufblitzende Krone des Jupiter. »Seht«, sagte er, »Wolken und Sterne ducken sich vor dem glücklichen Licht, wie wenn ein König unter sie getreten wäre.« Wallenstein, welcher wusste, dass dieser Planet seine Geburtsstunde beherrscht hatte, betrachtete ihn aufmerksam, der mit dem Feuer des weißen Saphirs, wie eine Ewige Lampe in der marmornen Rotunde eines Domes, den Raum durchglänzte. So blieb es jedoch nur kurze Zeit, dann sammelten sich die Wolken, die die Festung des Lichtes vergeblich berannt und sich zerstreut hatten, in dichteren Haufen und schwollen langsam über den Westen, das Strahlenreich fast ganz mit Finsternis bedeckend. »Das Glück begünstigt nur meinen Anfang«, sagte Wallenstein; »oder ist es der Tod, der meine Laufbahn früh abschneidet?« Argoli antwortete nicht, sondern blickte in tiefen Gedanken auf das stetig sich verändernde Bild des beweglichen Himmels. Sich nach Norden wendend, sah er, dass dicht über dem Horizont eine graue Dunstmauer sich gebildet hatte, in der es wetterleuchtete; es sah aus, als stieße eine Schlange ihre lechzende Zunge über das Ufer eines Meeres. »Ihr werdet hoch steigen, hoch, hoch«, sagte Argoli sinnend; »aber das Ende wird vor der Zeit kommen. Es ist eine jähe Bahn. Die Kraft, die der Seele mitgeteilt wurde, verteilt sich nicht gelassen über das Dasein, sondern verdichtet und staut sich und erwirkt mit hitzigem Regiment hitziges Widerstreben; wie sie das Leben verschlingt, so wird das Leben sie verschlingen.« Er blickte forschend in das schmale, gelblichblasse Gesicht des ihm gegenübersitzenden Mannes, dessen in schön gewölbtem Hohl sich verbergende graue Augen mit vorsichtig zurückgehaltener Gier auf ihm ruhten. »Dass ich sterblich bin, weiß ich«, sagte Wallenstein; »habt keine Scheu, mir mitzuteilen, was Ihr wisst, wenn der Bescheid auch bitter ist.« Noch wisse er gar nichts, entschuldigte sich Argoli eifrig, er müsse nun Messungen und Berechnungen anstellen, aus denen er das Ergebnis ziehen werde; am nächsten oder darauffolgenden Tage sei er bereit, Wallenstein ausführliche Auskunft zu geben.
Als Wallenstein am nächsten Tag um die Mittagszeit sich bei Argoli einfand, zierte die Mitte der Tafel ein ausgestopfter Adler, in dessen offenem Schnabel eine Zitrone befestigt war. Es hätte, sagte Argoli, mit listigem Blick lächelnd, eine Orange sein sollen, doch sei ja, wie Wallenstein wohl wisse, diese Frucht eben nicht zeitig; so habe er denn die längliche Zitrone als ungenügendes Symbol des Erdballs benützen müssen. »Das soll nicht bedeuten«, fuhr er fort, »dass ich Euch als Cäsar grüße; denn des Wortes ›Kaiser‹ will ich mich nicht bedienen, um selbst zwischen uns beiden nichts auszusprechen, was wie ein Angriff auf die heilige Majestät klänge.« Aber wenn auch nicht Kaiser, werde er doch dem Kaiser gleich sein. Triumph blitzte aus Wallensteins dunklem Gesicht, und er wurde immer aufgeräumter, je mitteilsamer Argoli unter dem Essen sich zeigte. Vom Osten komme ihm Ruhm und Ehre, sagte Argoli unter anderm, dort werde der Schauplatz seiner Siege sein. Er werde den Thron des Sultans umstürzen und das alte Reich von Byzanz erneuern. Ob er nicht bemerkt habe, wie der dünne Halbmond gestern Nacht beim Aufstieg des Jupiters am östlichen Himmel wie ein fadenscheiniger Leinenfetzen verschwunden sei? Mars sei ihm günstig, nur zuletzt werde etwas kommen, das mächtiger als der Gott der Schlachten sei. Diese Gefahr drohe vom Norden, und vor dem Norden solle er auf der Hut sein; von dorther komme sein Überwinder. Aber das schlummere in ferner Zukunft; noch sei der Kelch seines Glückes nicht erblüht und werde blühend noch lange prangen.
Tags darauf überbrachten reichgekleidete Diener Wallensteins dem Professor Geschenke ihres Herrn: einen silbernen Globus, auf welchem in blauem Schmelz der Sternenhimmel abgebildet war; eine Uhr, welche die in Erz getriebene Gestalt des Riesen Atlas auf der Schulter trug, und eine silberne, mit Halbedelsteinen reich besetzte, kunstreich und geheimnisvoll verschließbare Kassette, in der hundert Golddukaten waren.
Auf der Rückfahrt durch die blaugrüne Luft, die fiebernd über den friaulischen Sümpfen zitterte, saß Wallenstein in seinen Wagen zurückgelehnt und ließ sich, die müden Augen halb schließend, vom mystischen Flimmern der Zukunft umweben. Er atmete das unendliche Schweigen der unbewohnten Ebene wie Weihrauch der Erde ein, die sich unter ihm bückte; jenseit des Umkreises, den die Ehrfurcht seiner Größe einräumte, mochten die zurückgewichenen Völker knien und scheu das sengende Gestirn vorüberrollen sehen.
1 kleines Kind <<<
Moritz von Hessen hatte Ursache, stolz auf seine Kinder zu sein; namentlich war er es auf die anmutige und kluge Elisabeth, die so bescheiden zuzuhören wusste, wenn ihr Vater sich mit gelehrten Männern unterhielt, und so überraschend gedankenvoll mitzusprechen, wenn sie dazu aufgefordert wurde. Schöner waren die Söhne, denen die frühverstorbene Mutter ihren vielbewunderten Reiz zum Gedächtnis eingeprägt zu haben schien: Otto, der älteste, mit dem vollen griechischen Munde und dem runden Kinn, und Moritz mit den goldstrahlenden Augen, dem braunen Gelock und der mädchenhaft leicht errötenden zarten Haut. Die junge Stiefmutter sah die wundervolle Blüte der bevorzugten Nachkommen ihres Mannes nicht ohne Eifersucht, doch war sie zu einsichtig, um es merken zu lassen, und das Ansehen des Landgrafen in der Familie zu groß, als dass Streit und Misshelligkeit sich laut hervorgewagt hätten.
Es war ein Augenblick schöner Genugtuung für Moritz, als sein Erstgeborener im Jahre 1612 den neugewählten Kaiser Matthias in Frankfurt in einer zierlichen lateinischen Ansprache begrüßte und die Augen der Fürsten neidisch oder wohlwollend auf dem Achtzehnjährigen ruhten, nicht wenige von dem Gedanken erfüllt, wie lieblich der Satan seine gefährlichen Werkzeuge auszuzieren wisse.
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