»Sven Müller ist tot, das ist amtlich, ja. Verraten Sie mir den Grund für Ihren Besuch?«
»Sie hatten letzten Freitag im Zuge Ihrer Ermittlungen ein Gespräch mit Jeremy Boyle. Anscheinend ermitteln Sie im Umfeld von Paulsen und Partner.«
»Wir haben eine verdächtige Person verhaftet und diese Person arbeitete als Partnerin von Paulsen. Wo ist das Problem?«
»Ich habe vor, offen mit Ihnen zu reden. Vielleicht können wir von Ihren Ermittlungen profitieren. Was ich Ihnen jetzt erzähle, unterliegt der Schweigepflicht.«
»Was heißt Schweigepflicht?«
»Alle Informationen, die Sie von mir erhalten, tauchen nirgendwo in Ihren Berichten auf. Keine Aktenvermerke, keine Gesprächsnotizen und selbstverständlich überhaupt keine Gespräche außerhalb Ihres Ermittlungsteams in dieser Sache. Meines Wissens gehört nur Till Krüger zu Ihrem Team. Ist das richtig?«
»Theoretisch ja. Praktisch arbeiten wir in diesem Fall bereits eng mit Charly Hofmeier zusammen, einem Kollegen, der rein formal zur EDV und Spurensicherung gehört. Und natürlich Staatsanwalt Jensen.«
»Jensen lassen wir zunächst außen vor. Der braucht in diesem Stadium noch nichts davon zu wissen. Wenn Sie Herrn Hofmeier informieren müssen, tun Sie das.«
Jensen sollte also nicht involviert werden. Die Sache fing an, Siebels zu gefallen. Siebels setzte sich auf den Stuhl von Till und zündete sich genüsslich eine Zigarette an. »Ich bin ganz Ohr.«
Jens Timm steckte sich ebenfalls eine Zigarette an und paffte nachdenklich Rauchschwaden in die Luft. Dann fing er an zu erzählen. »Jeremy Boyle arbeitet für uns. Wir haben ihn als Partner bei Paulsen eingeschleust.«
»Ein verdeckter Ermittler?«, fragte Siebels ungläubig.
»Richtig. Er ist ein hervorragend ausgebildeter Mann. Wir haben ihn extra für diesen Job rekrutiert und zwei Jahre lang intensiv darauf vorbereitet, bevor wir ihn bei Paulsen eingeschleust haben. Deswegen war ich auch sehr nervös, als ich von Ihrem Besuch bei Jeremy erfuhr.«
»Ist das Unternehmen von Paulsen demokratiefeindlich?« Siebels konnte sich noch keinen Reim auf die ganze Geschichte machen.
»Nicht wirklich. Paulsen und Partner hält sich strikt an alle Gesetze. Aber die Organisation Paulsen und Partner strebt nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Ziele an und untersteht einer übergeordneten Organisation. Die Mutterorganisation ist in Amerika beheimatet. Sie wurde Anfang der sechziger Jahre in New York von einer Clique mächtiger Männer gegründet. Association for American Business Development , hieß der Verein bei seiner Gründung. Mittlerweile nennt sich die Organisation: Association for Human Development and Psychologic World Consulting . Kurz: World Consulting. Heute sind die Mitglieder dieser Organisation in den USA wie ein riesiger Krake an allen nur erdenklichen Schalthebeln der Macht vertreten. Sie sitzen in der Spitze von großen Unternehmen, in Parteien, in Bundesämtern und überall dort, wo es einflussreiche Positionen gibt. Sie wirken massiv auf politische Entscheidungen ein und verfügen über enorme wirtschaftliche Kraft. Seit Ende der neunziger Jahre baut World Consulting auch aggressiv ein europäisches Netz aus. Sie haben jetzt gut vernetzte Organisationen in Schweden, England, Frankreich, Österreich, Italien, Spanien, Griechenland und Deutschland. In Deutschland ist Paulsen und Partner für die Umsetzung der Ziele verantwortlich.«
»Und was für Ziele sind das?« Siebels verstand nicht, worum es bei der ganzen Sache ging.
»Das Ziel von World Consulting ist die Weltherrschaft«, sagte Timm trocken.
»Aha. Das klingt mir eher nach einem schlechten Film.«
»Leider ist es die Realität. In den USA hat die Organisation genug Geld und Macht, um Präsidentschaftskandidaten auszuwählen und deren Wahlkampf zu finanzieren. Das ist keine Theorie, das ist seit einiger Zeit übliche Praxis.«
Siebels drückte seine Zigarette aus. »Gab es schon einen von World Consulting aufgestellten amerikanischen Präsidenten?«, fragte er neugierig.
Timm lächelte. »Diese Information ist so geheim, geheimer geht es gar nicht. Ich weiß es nicht. Aber es liegt im Bereich des Möglichen.«
Siebels dachte über die Struktur von Paulsen und Partner nach. Mit seiner Vielzahl von selbstständig auftretenden Unternehmens-, Vermögens- und Immobilienberatern hatte die Organisation von Paulsen tatsächlich Kontakte und Einflüsse in einer breiten Oberschicht der Gesellschaft. Was Timm erzählte, klang bei näherer Betrachtung gar nicht mehr so weit hergeholt. »Was erwarten Sie nun von mir?«, fragte Siebels vorsichtig nach.
»Sie ermitteln ganz normal weiter in Ihrem Fall. Versuchen Sie, den Mörder oder die Mörderin von Sven Müller zu überführen. Wenn Sie bei Ihren Ermittlungen aber auf Dinge stoßen, die mit der von mir eben geschilderten Sachlage in Verbindung stehen, dann berichten Sie ausschließlich an mich. Oder an Jeremy Boyle. Sie dürfen aber nicht in direkten Kontakt mit Jeremy treten. Wenn Sie mit ihm in Kontakt treten wollen, schreiben Sie eine E-Mail. Schreiben Sie nur Folgendes: Es muss mehr Holzkohle in den Grill.«
»Es muss mehr Holzkohle in den Grill?«
»Sehen Sie, Sie haben es sich schon gemerkt.« Timm reichte Siebels einen Zettel, auf dem zwei Hotmail-Adressen notiert waren.
»Mit der oberen Adresse erreichen Sie Jeremy. Die untere ist Ihre eigene, die Sie ausschließlich in dieser Angelegenheit verwenden.«
»Sehr konspirativ. Ich nehme an, Sie haben auch Zugriff auf die beiden Postfächer?«
»Selbstverständlich. Sie sollten Jeremy nur kontaktieren, wenn Sie ihm etwas Wichtiges mitteilen müssen oder eine wichtige Information von ihm benötigen. Damit will ich sicherstellen, dass sich Ihre Ermittlungen nicht kontraproduktiv gegen den Verfassungsschutz richten. Wenn Jeremy eine E-Mail von Ihnen erhält, meldet er sich bei Ihnen. Mich können Sie jederzeit anrufen. Hier ist meine Karte. Und jetzt legen Sie bitte den Zettel mit den Hotmail-Adressen in den Aschenbecher und verbrennen ihn.«
Siebels sah sich die Adressen noch einmal an, prägte sie sich ein und verbrannte den Zettel. »Verfolgt Paulsen konkrete politische Absichten mit seiner Organisation?«, wollte Siebels wissen.
»Sein Ziel ist es, ein Netzwerk herzustellen, das ihm viel Macht verleiht. Das hat er mittlerweile erreicht. Er hat viele lose Fäden in der Hand, die er nach Belieben miteinander verknüpfen kann. Mit dem Heer seiner Berater kann er zum Beispiel in der Vermögensberatung in kurzer Zeit hohe Summen auf legalem Weg beschaffen und dieses Kapital über seine Immobilienschiene wieder investieren. Mit solchen Transaktionen lassen sich über viele unübersichtliche Verzweigungen schmutzige Gelder waschen und kriminelle Organisationen erhalten Zutritt zu ganz legalen Geschäften. Juristisch gesehen, wird er bei seinen Aktivitäten keine Straftaten begehen. Allerdings hat die Organisation auch das Ziel, die Gesetzgebung in ihrem Sinne mitzugestalten. Das geschieht durch Unterwanderung der betreffenden Gesellschaftsschichten. Neben Unternehmensführern suchen sie sich ihre Kunden auch mit Vorliebe in Juristen- und Politikerkreisen und betreiben dort aggressiven Lobbyismus.«
»Und das funktioniert?«, fragte Siebels zweifelnd.
»Das funktioniert leider sehr gut, weil die Kunden von Paulsen und Partner von den erbrachten Beratungsleistungen profitieren. Die Reichen werden noch reicher und sind zu Dank verpflichtet.«
»Sind denn die ganzen Partner von Paulsen über das übergeordnete Ziel der Weltherrschaft im Bilde?«
»Nein. Auf keinen Fall. Nur ein auserlesener Kreis wird nach und nach, je nach persönlicher und fachlicher Neigung, in die Geheimnisse von World Consulting eingeführt. In Deutschland sind es von den 80 Partnern schätzungsweise fünf, die von World Consulting Kenntnis haben. Jeremy gehört offiziell noch nicht dazu. Das wollen wir ändern. Der Grund, warum wir überhaupt einen Mann dort eingeschleust haben, liegt in der großen Geheimniskrämerei, die World Consulting betreibt. Offiziell gibt es keinerlei Hinweise, dass Paulsen und Partner ein Ableger von World Consulting ist. Das Gleiche gilt für die übrigen europäischen Ableger. Die europäischen Organisationen sind rechtlich völlig unabhängig. Und in den einzelnen Länderorganisationen sind die einzelnen Büros rechtlich unabhängig voneinander. Das macht die Sache für Außenstehende völlig undurchschaubar. Da wird ein weltweites Netz gesponnen, aber es bleibt unsichtbar. World Consulting ist in Europa völlig unbekannt und die Amerikaner tun alles dafür, dass das so bleibt. Trotzdem sind wir über die Vernetzung dieser Beratungsgesellschaft einigermaßen im Bilde. Der nächste Schritt von World Consulting ist die Vernetzung der europäischen Organisationen. Sie wollen gleichziehen mit der Europäischen Union, um auch hier die Politik übergeordnet beeinflussen zu können. Mit dieser Aufgabe wird auch ein europäischer Präsident für World Consulting benötigt. Paulsen ist einer der Kandidaten.«
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