Bockelmann entsprach so gar nicht dem Bild, das sich Siebels von ihm gemacht hatte. Er war etwa Mitte vierzig, knapp zwei Meter groß und trug sein weißes Hemd leger über der Hose. Dunkelblonde Locken fielen bis auf seine Schultern. Er sah eher aus wie ein Sportlehrer als wie ein Consultant.
»Bockelmann. Peter Bockelmann. Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?«
»Siebels. Steffen Siebels. Kriminalpolizei. Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?« Siebels zeigte ihm seinen Ausweis.
»Kriminalpolizei? Kommen Sie rein.« Bockelmann hatte wenig Möbel und viel Platz in seinem Reich. Der Boden war anthrazitglänzend gefliest. Die Wände in hellen Tönen gestrichen. Eine Katze schmiegte sich an Siebels Beinen entlang. Auf dem Sofa im Wohnbereich saß eine dunkelhäutige Schönheit und las in einem Magazin.
»Das ist Sue.« Bockelmann deutete auf die Katze. »Und das ist Mary.« Mary war die Frau auf der Couch, die neugierig ihr Magazin zur Seite legte. »Das ist Herr Siebels von der Kripo«, stellte Bockelmann weiter vor. »Schmeißen Sie Ihre Jacke einfach über den Stuhl und setzen Sie sich doch auf den Sessel.«
»Sie sind noch als Partner von Herrn Paulsen tätig?«, fragte Siebels, als er in dem niedrigen Sessel eingesunken war.
»Ja, das bin ich. Ist das der Grund für Ihren Besuch?« Bockelmann saß neben Mary und legte seinen Arm um sie.
»Nicht direkt. Es geht um Ihre Kollegin Frau Lehmann.«
»Sabine? Ist ihr etwas zugestoßen?«
»Sie steht unter Mordverdacht. Es sieht so aus, als hätte sie ihren Lebenspartner erschlagen.«
Bockelmann nahm seinen Arm von Mary und beugte sich nach vorn. »Wahnsinn. Warum? Wie ist das passiert? War es Notwehr?«
»Ich weiß es nicht. Was die Tat betrifft, schweigt sie sich aus. Deswegen bin ich hier. Ich hatte gehofft, dass Sie mir ein wenig mehr über sie erzählen können.«
»Nun ja, sehr viel erzählen kann ich nicht über Sabine. Eigentlich sind wir ja auch mehr Konkurrenten als Kollegen. Kennen Sie das System von Paulsen und Partner?«
»Ja, in groben Zügen. Es gibt etwa 80 selbstständige Partner, die als Berater tätig sind und Porsche fahren.«
Bockelmann lachte. »Ja, das mit dem Porsche ist so ein Tick von Paulsen. Ich fahre auch einen, sonst falle ich aber ziemlich aus der Reihe. Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
Mary zündete sich gerade eine Zigarette an und Sue machte es sich schnurrend auf Siebels Schoß bequem. »Darf ich rauchen?«
»Ja natürlich. Möchten Sie einen Kaffee zur Zigarette?«
»Da sage ich nicht nein.«
»Mary, Schatz. Machst du uns einen starken Kaffee?«
Mary bewegte sich ähnlich geschmeidig wie Sue und ging in die Küche. Siebels zündete sich eine Zigarette an. »Darf ich fragen, inwiefern Sie aus der Reihe fallen?«
»Als Herr Paulsen begann, sein Partnersystem aufzubauen, war ich der Erste. Er hatte mich damals von einer großen Beratungsgesellschaft abgeworben. Kurz nach mir fingen zwei weitere Partner an, die alle bereits im Geschäft waren. Bei unserem Wechsel haben wir große Kunden mitgebracht und somit dem Geschäftsmodell von Paulsen auf die Beine geholfen. Von den Dreien aus der ersten Stunde bin ich der einzig noch Verbliebene. Aber auch ich bereite mich auf den Ausstieg vor. Mary kommt aus der Karibik. Wir wollen uns dort niederlassen. Paulsen duldet mich noch, aber er wäre mich gerne früher als später los.«
»Warum das?«
»Weil ich zur ersten Generation gehöre und ein Dinosaurier bin, der nicht mehr in die Landschaft von Paulsen und Partner passt. Da gibt es nur noch Leute, die direkt von der Uni kommen und sich voll und ganz in Paulsens System integrieren. Die werden in einer eigenen Akademie ständig geschult und getrimmt.«
Mary kam mit einem Tablett und stellte es auf den Tisch. »Kaffee aus der Karibik«, sagte sie stolz und goss Siebels eine Tasse voll.
»Vielen Dank.« Siebels probierte den Kaffee und zog genussvoll an seiner Zigarette. »Sie scheinen keine gute Meinung von dieser Akademie zu haben?«
»Die Idee an sich ist nicht schlecht. Ich habe Herrn Paulsen auch aktiv unterstützt, als er das Schulungszentrum aufbaute. Ständige Weiterbildung ist in dieser Branche unerlässlich. Die fachliche Weiterbildung der Partner ist aber nur ein Teil des Programms. Der andere Teil bezieht sich auf die Persönlichkeitsentwicklung. So nennt Paulsen es. Die jungen Leute werden auf Erfolg und Leistung getrimmt. Die sollen an nichts anderes mehr denken als an ihre Arbeit. Anfang 2000 hat Jochen Trutz die Leitung der Akademie übernommen. Trutz war vorher ein Topmanager im Strukturvertrieb. Der baute aus dem Nichts ganze Kolonnen von gierigen Verkäufern auf, die immer neue Leute angeworben haben, welche dann wieder neue Verkäufer an Land zogen. Verkauft wurden meist Versicherungen. Unzählige Verkäufer saßen abends bei den Leuten im Wohnzimmer und schwatzten denen eine Police auf. Dafür gab es Provisionen. Einen Teil für den Verkäufer, den anderen Teil für den, der den Verkäufer angeworben hatte. So verteilt sich das Geld aus den Provisionen der Versicherer nach oben. Am meisten lässt sich auf diese Weise also verdienen, wenn man nicht viele Versicherungen verkauft, sondern viele Verkäufer anwirbt, die wieder viele Verkäufer anwerben. Stellen Sie sich eine Pyramide vor. Auf dem Boden muss es möglichst viel Volk geben, dass verkauft. An der Spitze saß Jochen Trutz. Bei ihm landete ein Vermögen. Um so eine Pyramide aufzubauen, muss man viele Leute auf den verschiedenen Ebenen der Pyramide ständig motivieren. Motivation ist das A und O. Wer nicht motiviert ist, kann den Leuten abends im Wohnzimmer keine Versicherungen verkaufen und auch keine neuen Verkäufer anwerben. Das Ziel eines jeden Verkäufers muss es sein, an die Spitze der Pyramide zu gelangen. Weil da aber natürlich nur für einen Platz ist, bricht das System irgendwann zusammen. Bis dahin hat Jochen Trutz sehr viel Geld verdient und zieht weiter, baut die nächste Pyramide auf. Trutz ist ein Motivationskünstler. Er macht die Leute geldgeil und schickt sie dann auf die Jagd nach Umsatz. Früher hat er das mit ungebildeten Leuten gemacht, heute macht er es mit hoch qualifiziertem Personal. Damit das funktioniert, sucht sich Paulsen nur Leute, die extrem ehrgeizig sind. Das sind die perfekten Opfer.«
Siebels nickte nachdenklich. »Das ist sehr interessant. Als Sabine Lehmann verhaftet wurde, war sie sehr erschöpft. Sie musste in den letzten Tagen im Krankenhaus wieder aufgepäppelt werden. Kannten Sie ihren Lebenspartner?«
»Nein. Ich wusste gar nicht, dass es einen gibt. Wer als Partner bei Paulsen arbeitet, hat für gewöhnlich auch keine Zeit für eine Beziehung. Aber wie gesagt, wir kannten uns nicht besonders gut. Die Partner kennen sich eigentlich nur aus den Schulungen in der Akademie und da gehe ich schon lange nicht mehr hin. Ich bin aber auch der Einzige in dem erlauchten Kreis, der sich das erlauben kann. Mit den Partnern, die im Frankfurter Raum tätig sind, gab es meist zur Weihnachtszeit ein formloses Treffen. Das waren eigentlich die einzigen Gelegenheiten, bei denen ich Kontakt mit Sabine hatte.«
»Was für einen Eindruck hatten Sie bei diesen Treffen von ihr?« Siebels zündete sich eine weitere Zigarette an und goss sich noch einen Kaffee ein.
»Ich mochte sie. Sie war ein umgänglicher und lustiger Mensch. Aber sie war auch extrem ehrgeizig. Sie wollte sich unbedingt als Partner durchsetzen. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie sehr unter diesem Erfolgsdruck gelitten hat. Nach außen gab sie sich als harte Geschäftsfrau, aber sie hatte einen weichen Kern. Keine gute Voraussetzung, um sich in dem Umfeld durchzusetzen.«
Aber eine gute Voraussetzung, um komische Träume zu haben, dachte sich Siebels. Er hatte vorerst genug gehört und bedankte sich für das offene Gespräch und den vorzüglichen Kaffee. Bockelmann und Sue begleiteten Siebels zur Tür, Mary räumte die Kaffeetassen ab.
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