Die Scheibenwischer können dem Regenschauer nichts entgegensetzen. Hingegen braucht es nur einen Fingerdruck, damit sich der Wagen um sich selbst dreht, so als ob das Steuer plötzlich hydraulisch wäre. Als würde es nicht Wasser, sondern Öl regnen. Genau das richtige Wetter, um die Enden der Stadt zusammenzunähen. Um meine übelst gelaunten Fahrgäste abzusetzen und wieder Alleinherrscherin über diesen Schlitten zu sein. Ich nähere mich dem Hause meiner Mutter. Wir lassen den Vaziri-Platz hinter uns, dessen vier Ecken auch nach dreißig Jahren immer noch von welkem Gemüse, verfaulten Früchten und den Karren der Obstverkäufer bedeckt sind. An jedem Monatsersten bringe ich meine Mutter zur Bank, damit sie ihre erklecklichen Zinsen abheben kann. Gestern Abend rief sie an, um mich an heute zu erinnern und daran, dass in den nächsten Tagen Abtins Beschneidung gefeiert werden soll. Als ich heute früh ankam, sah ich Babaks Santa Fe an der Einmündung der Gasse stehen. Er wurde vom Regen gewaschen. Mehrmals in der Woche schaut Babak bei Mutter vorbei, bevor er zur Arbeit geht. Er gibt sich leutselig und freigiebig, nimmt an Beerdigungen, Gedächtnisfeiern zum vierzigsten Todestag und jährlichen Todestagen der Familie, Freunde und Bekannten teil, um beachtet zu werden. Und das wird er. Was er tut, ist gern gesehen. Selbst wenn es nicht von Herzen kommt.
Ich werfe einen Blick auf Babak, der sich in seinem schwarzen Anorak verkriecht und wütend auf die Straße starrt. Heute habe ich seine Männlichkeit und sein Platzhirschgebaren in Frage gestellt. Weil ich in seinem Beisein ausgestiegen bin und selbst getankt habe. Er sagte: „Bleib sitzen. Ich werde aussteigen.“
Ich habe die Autotür geöffnet und gesagt: „Mein Wagen ist ein Hätschelkind. Er trinkt sein Benzin nur aus der Hand seiner Besitzerin.“
Ich frage Mutter: „Heute gehst du nicht einkaufen, oder?“
Sie zieht die auf den Arm hochgerutschten Goldreifen auf ihr Handgelenk. Sie haben sich ins Fleisch gedrückt und kneifen sie.
„Ich weiß nicht. Lass mich überlegen, was mir fehlt. Bei diesem Wetter brauchst du sowieso nicht Taxi zu fahren. Lass uns zusammen Mittag essen. Abends kannst du dann wieder auf der Straße herumlungern.“
Dickfelligkeit ist eine Gnade, die einem nicht über Nacht zuteil wird. Diese Art Sprüche musst du oft und oft gehört haben, bis deine Haut sich mit der eines Nashorns messen kann. Am liebsten würde ich sagen, Ich brenne darauf, euch abzusetzen und sofort wieder an meine Arbeit zu gehen. Bin ich denn von allen guten Geistern verlassen, dass ich mich in dein Haus drängele? Und das bei diesem Wetter?
Babak wirft ein: „Die Tante hat recht. Bleib bei ihr. Lass sie wenigstens heute einmal nicht allein.“
Ich entgegne: „Babak, wie kommt es bloß, dass du neuerdings so mitfühlend bist? Wenn du tatsächlich soviel Mitgefühl hast, bleib doch selber bei ihr.“ Kann Mutter etwa an sich halten, wenn jemand ihrem Bruder oder dessen Sohn mit dem Zaunpfahl winkt? – „Du hackst auf ihm herum, du unverschämtes Gör?“
Ich erwidere: „Herumhacken, wieso? Ich wundere mich einfach, dass Babak mit jemandem Mitgefühl hat.“
„Hat er sich etwa jemals irgendjemandem gegenüber auch nur das Geringste zuschulden kommen lassen?“
„Wie schnell ihr alle Fatemes Bitten und Flehen vergessen habt.“
Babak schüttelt den Kopf.
„Mein Gott, war es denn nicht genug, dass ich diese Verrückte acht Jahre lang ertragen habe? Und jetzt spielst du auf einmal ihre Anwältin?“
„Hat sie nicht alles getan, was du von ihr wolltest? Aus ihrem Mantel und Kopftuch wurde ein Tschador plus eng anliegendes Schlupfkopftuch, weil du es wolltest. Ihre Schminksachen hat sie weggegeben, weil du diese, wie du es nanntest, lockeren Sitten verabscheutest. Sie hat nur noch mit deiner Erlaubnis das Haus verlassen, weil dir Frauen, die mit dem Feuer spielen, nicht gefallen... Hat sie nicht komplett nach deiner Pfeife getanzt?“
Babak atmet hörbar aus.
„Hat sie, gezwungenermaßen. Was blieb ihr anderes übrig?“
„Weil die Arme dich liebte.“
„Sie war verrückt. Sie haben sie mir aufgebunden.“
„Haben sie nicht. Es war deine Entscheidung. Danach ist die Arme nur ein bisschen zwanghaft geworden. Das war heilbar.“
„Ihr Heilmittel war das, was ich mit ihr gemacht habe.“
Mutter besiegelt Babaks Worte.
„Es ist ihr recht geschehen.“
Vor vier, fünf Monaten, als sie hörte, dass Babak sich nach acht Jahren Ehekrach von Fateme hat scheiden lassen, war es, als wäre ihr ein Sohn geboren worden. Das verschüttete Wasser war in den Krug zurückgekehrt. Sie konnte wieder dasitzen und sich daran weiden, wie Babak mich anstarrte. Jetzt möchte sie auf keinen Fall, dass ich den einzigen Mann fallen lasse, den nach ihren Worten der Esel gezwickt haben muss, dass er nach Jahren immer noch in mich verliebt ist.
Beide sind sie eingeschnappt. Ich dagegen fühle mich erleichtert. Nach fünf Monaten hatte ich endlich Gelegenheit zu sagen, was bis jetzt in mir gebrodelt hatte. Ich gebe Gas. Der Wagen hebt sich kurz und senkt sich dann wieder. Mir fährt es in den Rücken. Mutter klappt nervös das Handschuhfach auf und wühlt in dem Ramsch darin.
„Wo ist meine Quittung?“
Sie blickt um sich. Schließlich sieht sie die Quittung unter ihrem Tschadorzipfel hervorlugen.
Sie faltet ihn zusammen und steckt sie ihn die Klappe des Handschuhfachs. Das Geraschel ebbt ab. Sie atmet geräuschvoll aus. Ich blinke rechts, um in die Gasse einzubiegen. Ein beigefarbener Peykan überholt mich. Ein junger Kerl, der neben dem Fahrer sitzt, steckt seinen Kopf heraus und ruft: „ Das Gas ist in der Küche, Madame!“
Wenn er wüsste, dass der, der auf der Rückbank sitzt, ein Verwandter ist, zudem einer, dessen Nerven zum Zerreißen gespannt sind, hätte er sich das nie und nimmer herausgenommen. Nur da er dachte, es sei ein x-beliebiger Fahrgast, hat er gewagt mich derart anzupflaumen.
Babak richtet sich auf und steckt seinen Kopf zwischen den Sitzen durch.
“Gib Gas, hol ihn ein, damit der Mutterf…“
Mutters Anwesenheit zwingt ihn, seinen Kraftausdruck herunterzuschlucken.
“Mach schon, gib Gas, dieser alte…“
Ich biege in die Gasse ein und sage: „Was soll das, Babak? Man kann doch nicht wegen jeder Lappalie gleich ausrasten.“
Aber das tue ich ja selbst. Wenn die beiden nicht mit im Wagen säßen, hätte ich denen mindestens den Seitenspiegel zertrümmert. Damit sie sich hinter die Ohren schreiben, dass ich sehr wohl weiß, wo das Gas ist und mir vielleicht nur insofern etwas fehlt, als ich allein bin. Babak lehnt sich zurück und kaut an seinem Schnurrbart. Er ist stinksauer. Mutter presst die Lippen zusammen. Sobald Babaks schwarzer Santa Fe vorne in der Gasse in Sicht kommt, halte ich an.
Mutter sagt: “Kommst du nicht mit rein?“
“Nein. Vielleicht schaue ich heute Abend oder morgen bei dir vorbei. Ruf mich an und sag, was dir fehlt und was du brauchst.“
Sie steigt aus und schlägt die Tür so zu, dass das gefaltete Papier aus dem Handschuhfach fällt. Im Gehen winkt sie mit der türkisberingten Hand. Das heißt soviel wie „Mach‘s gut!“ oder „Vergelt‘s Gott!“ oder „ Du Würmchen“ oder...
Babak steigt nicht aus. Ich mache mich am Steuerradbezug zu schaffen. Beide schweigen wir. Man hört nur den Regen auf das Wagendach trommeln. Schließlich sagt Babak:
„Was war das heute? Schämst du dich nicht? Du weißt ganz genau, was mich aufregt und tust es erst recht?“
Ich schweige, um der Verwandtschaft willen und des Restes eines Gefühls für ihn, das ich mal empfunden habe. Alles hätte anders kommen können. Statt Ja zu Hamed zu sagen, hätte ich Babak in die Augen sehen und freudig Ja sagen können... Was hätte das aber geändert? Nichts. Nichts Außergewöhnliches wäre passiert, außer dass ich keine Taxifahrerin geworden wäre und Fateme keine geschiedene Frau. Eine blasse junge Frau mit blaugeäderten Händen, die immerfort zitterte und einmal zu mir sagte: „Du bist überall in meinem Leben, Shohre.
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