Mit medienpsychologischen Experimenten sollen vor allem zwei Effekte untersucht werden:
• Im Selektionsexperiment wird der Effekt eines emotionalen Zustandes oder einer Haltung auf die Mediennutzung untersucht. Proband:innen werden dabei beobachtet, wie und warum sie bestimmte Medieninhalte auswählen. Das heißt, die Zustände der Person sind hier unabhängige Variablen. Die Teilnehmenden werden per Randomisierung mindestens zwei Gruppen zugeteilt und der psychische Zustand wird über einen Stimulus induziert. Als Beispiel möchten wir hier einen »Klassiker« der Medienpsychologie vorstellen: Bryant und Zillmann (1984) haben im Rahmen ihrer Forschung zum »Mood Management« (
Kap. 3.4) laborexperimentell untersucht, welche Fernsehinhalte Proband:innen am liebsten einschalten, nachdem sie eine langweilige Aufgabe (Experimentalgruppe 1: Dichtungsscheiben ohne Zeitvorgabe auf eine Schnur auffädeln) bzw. eine stressinduzierende Aufgabe erledigt haben (Experimentalgruppe 2: universitären Aufnahmetest unter Zeitdruck lösen). Hier ist also die induzierte Stimmung (Langeweile bzw. Stress) die unabhängige Variable. Die Forscher wollten damit herausfinden, ob Menschen mit der Selektion bestimmter Fernsehangebote auf eine gelangweilte oder gestresste Stimmung reagieren. Die Selektion der Fernsehangebote ist also hier die abhängige Variable. Zur Auswahl standen spannende und ruhige Fernsehprogramme. Wie erwartet, wählten die gelangweilten Proband:innen eher spannende Fernsehangebote aus.
• Im Wirkungsexperiment wird der Effekt eines Medienstimulus auf das Erleben und Verhalten der Proband:innen untersucht. Dazu werden Medienstimuli als unabhängige Variablen der Experimentalgruppe dargeboten und das Erleben und Verhalten der Proband:innen als abhängige Variable gemessen. Beispielsweise wurde untersucht, ob Leser:innen die Qualität eines journalistischen Textes in Abhängigkeit von der Quelle und der ethischen Darstellungsweise als besser oder schlechter beurteilen (Trepte et al., 2008). In diesem Fall waren also die Quelle (Experimentalgruppe 1: überregionale Qualitätszeitung; Experimentalgruppe 2: Blog) und die Art der Darstellung (ethisch vs. unethisch) die unabhängigen Variablen. Die Beurteilung der Qualität war die abhängige Variable und wurde mithilfe einer kurzen Befragung gemessen. In der Beispielstudie hatte die Quelle keinen Einfluss, die Teilnehmenden entschieden über die Qualität des Artikels allein aufgrund seines Inhalts.
Das Design des Experiments wird als Produkt der unabhängigen Variablen und ihrer Stufen ausgedrückt. Das Ergebnis des Produkts repräsentiert die Anzahl der im Experiment untersuchten Gruppen bzw. Versuchsbedingungen. In dem oben erwähnten Experiment wurden zwei unabhängige Variablen (UV), nämlich die Quelle und die Art der Darstellung, manipuliert und ihr Einfluss auf die Bewertung der Qualität eines Zeitungsartikels (AV) untersucht. Demnach handelt es sich um ein 2x2-Experiment (Tageszeitung vs. Blog x ethischer vs. unethischer Inhalt). In diesem Beispiel resultieren also vier Gruppen: Die erste Gruppe liest den Text einer Tageszeitung mit ethischem Inhalt, die zweite Gruppe den Text der Tageszeitung mit unethischem Inhalt, die dritte Gruppe den Blog mit ethischem Inhalt und die vierte Gruppe den Blogeintrag mit unethischem Inhalt. Am gängigsten ist das hier dargestellte between-subjects design. Wie in den zuvor beschriebenen Beispielen werden verschiedene Versuchspersonen verglichen, die jeweils einer Experimentalgruppe zugeordnet werden. Möglich ist auch das within-subjects design, bei dem dieselbe Gruppe im Hinblick auf unterschiedliche Merkmale verglichen oder im Längsschnitt betrachtet wird.
Die besondere Herausforderung medienpsychologischer Experimente liegt in der Auswahl der Medienstimuli. Die Auswahl der Stimuli hat das Ziel, die untersuchte unabhängige Variable möglichst gut zu repräsentieren. Medienstimuli sind komplex und repräsentieren nicht nur die interessierenden Variablen. Möchte man untersuchen, wie die Gewalthaltigkeit eines Computerspiels auf die Aggressivität wirkt, so gilt es zunächst, die Gewalthaltigkeit eines Computerspiels zu definieren, relevante Variablen zu isolieren und schließlich eine geeignete Operationalisierung zu finden (siehe
Abb. 2.1zum Forschungsablauf). Vielleicht zieht man einen Ego-Shooter mit vielen Gewaltszenen für die experimentelle Bedingung »Gewalt« heran und ein Lernspiel für die experimentelle Bedingung »keine Gewalt«. Dies ist eine extern valide Operationalisierung (vgl. Definition unten). Problematisch an dieser Auswahl ist, dass die Spiele sich nicht nur im Hinblick auf ihre Gewalthaltigkeit unterscheiden, sondern auch im Hinblick auf andere Störvariablen, die ebenfalls auf die abhängige Variable wirken und systematisch mit der unabhängigen Variable kovariieren können. So könnte beispielsweise der Ego-Shooter deutlich anregender sein als das grafisch einfach gestaltete Lernspiel. Das wiederum könnte Aggressivität beeinflussen. Man misst also möglicherweise den Einfluss der Grafik oder auch der Handlung oder Hintergrundmusik und nicht den Einfluss des Gewaltgehalts auf die Aggressivität. Alternativ zu diesen echten Spielen können sog. Vignetten verwendet werden, also kurze Beschreibungen eines Spiels. Dies ist eine intern validere Operationalisierung. Damit sind Hintergrundmusik oder Ästhetik des Medienangebots nicht erlebbar, die Anzahl der Störvariablen ist also reduziert und kontrolliert. Gleichzeitig sind jedoch Stimuli in Vignettenform wenig repräsentativ für echte Computerspiele, weil sie viele Aspekte des Medienangebots nicht widerspiegeln. Damit ist dann die externe Validität deutlich reduziert. Für das Experiment muss die Frage gestellt werden, ob der internen oder externen Validität größere Bedeutung beigemessen werden soll (Trepte & Wirth, 2004). Die interne und externe Validität des medienpsychologischen Experiments beeinflussen die Ergebnisse.
Interne Validität betrifft die Frage, ob und wie gut die Störvariablen kontrolliert sind.
Externe Validität betrifft die Frage, ob und wie weit sich das Ergebnis auf andere Gegebenheiten verallgemeinern lässt. Repräsentieren die Eigenschaften der verwendeten Medienstimuli die in der Problemstellung interessierenden Medieninhalte? Sind die experimentellen Kontextfaktoren für andere Kontexte außerhalb der Experimentalsituation repräsentativ? Je besser die Gegebenheiten übertragbar sind, umso höher ist die externe Validität.
Anhand der genannten Definitionen wird bereits deutlich: Die Forderungen der internen und externen Validität widersprechen sich. Sollen die Medienstimuli aktuelle Medienangebote in ihrer vollen Komplexität und »Reichhaltigkeit« repräsentieren und damit extern valide sein? Oder gilt es, die interne Validität zu bewahren, indem möglichst wenige Störvariablen einfließen? Beide Fragen können nie gleichzeitig mit »Ja« beantwortet werden. Die Konsequenz ist also, für das spezifische Studiendesign Prioritäten zu setzen und geschickt abzuwägen – sowohl bei der Gestaltung der eigenen Studie als auch bei der Lektüre und Bewertung wissenschaftlicher Studien, die andere durchgeführt haben.
Medienpsychologische Forschung ist ganz besonders an dem Erleben von Medienangeboten, ihren Genres und Inhalten interessiert. Mit dem Experiment können wir Menschen die Medienangebote, Genres und Inhalte präsentieren und ihre Reaktionen darauf untersuchen. Echte Laborexperimente sind aufwändig und teuer, da die Teilnehmenden in das Labor kommen und dort betreut und angeleitet werden müssen. Deshalb werden sie trotz ihrer Möglichkeit, Störeinflüsse zu kontrollieren immer weniger durchgeführt. Viele Forscher:innen greifen auf Online-Experimente zurück, die sie in Befragungen einbetten. Dieses Vorgehen ermöglicht eine einfachere, kostengünstigere Rekrutierung und Durchführung – dies aber eben mit einer schlechteren Kontrollierbarkeit von Störeinflüssen.
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