Die Flammen sprangen von Haus zu Haus. Das große Strohdach verbrannte gänzlich. Eine Bäuerin legte ihren Säugling in Mutters Arm und eilte fort, zu retten, was zu retten war. Auch im Wald begann die Feuersbrunst zu wüten. Mit aufgerissenen Augen, voller Ruß und Schweiß, rannte der Bürgermeister zu Vater. Was würde geschehen? Er war ein kräftiger Mann, würde er Vater schlagen wollen? Vater stand “Gesicht zu Gesicht” vor dem Allmächtigen im Gebet.
“Herr Rabbiner, nie wieder werde ich Gott lästern! Euer Gott ist unerbittlich.”
Da schien es mir, als fielen Tränen aus Vaters geschlossenen Augen hinab. Waren es erste Regentropfen? Sie wurden zum Wolkenbruch! Sie wurden zur Sintflut! Und sie löschten allen Brand.
Hilfe
Mit dem Ende der Sintflut fiel auch langsam der Abend über Bakony-Tamasi. Unter freiem Himmel standen noch vier Wände unseres Hauses. Zwei Betten, Tisch und Stühle glitten wie Kähne durchs Zimmer, überall schwamm verbranntes Holz und Stroh. Erste Sterne überblinkten die Nässe. Der Sabbat war beendet. Vater holte seinen Stuhl, wischte ihn ab und setzte sich an den Tisch, wir taten das Gleiche.
“David, bei welchem Gebet brachen wir ab?”
Ich wusste es genau und stimmte an.
Aus dem Hof tönte bitteres Weinen und Schreien. Da brach auch aus Mutter ihr Leid. Ihre Tränen flossen gleich einer zweiten Sintflut. Sie hatte die Gesetze befolgt, nichts Weltliches zu retten. Wir Kinder küssten ihre Hände und unsere Liebe schaute zu ihr auf. Da leuchtete ihr Lächeln durch die Tränen.
Mutter flüsterte: “Gott hat euch geschützt, preisen wir Ihn. Der Allmächtige wird uns weiterhelfen.”
Und wir stimmten aufs Neue die Gebete des Sabbat an.
Die Füße im Wasser, in nassen Kleidern, fröstelnd und zitternd saßen wir da, aber wir waren gerettet. Da trat der Bürgermeister herein. Vater und ich hielten noch die Thora im Arm. Erschüttert betrachtete er dieses Bild, leise den Kopf wiegend, wie um besser zu verstehen. Als unser Gesang beendet war, sprach er: “Herr Rabbiner, jenseits auf dem Hügel, auf der anderen Seite des Dorfes, hat das Feuer nicht gewütet. Ich besitze dort ein Haus, in welchem niemand wohnt. Es hat drei Zimmer, Küche und Backofen und einen kleinen Garten darum herum. Ich stelle es Ihnen zur Verfügung. Tun Sie mir den Gefallen und nehmen Sie es an. Ihre Frau und Ihre Kinder werden sich dort besser fühlen. Hier können Sie nicht bleiben.”
Vater nickte dankend. Noch in der Nacht kam der Bürgermeister mit einem Wagen, bestand darauf, dass Vater nur die Thora betreute und fasste selbst mit an. Alles war schwarz und nass, aber seltsamerweise waren Vaters Bücher im Schrank trocken geblieben.
In unserem neuen Heim fanden wir trockenes, sauberes Stroh. Noch in dieser Nacht weihte Vater das erste Zimmer als Synagoge ein. Das zweite, mit dem Studiertisch und den Büchern, war für Vater und Mutter. Zum Backofen sagte er: “Dort werden wir Matze backen.” Das kleine dritte Zimmer bekamen die Schwestern mit der Bemerkung: “Sollte ein armer Mann ins Dorf kommen, so müsst ihr es zeitweilig abtreten.” Ich durfte in der Küche schlafen, die einen Ausgang zum Garten hatte. Gottes Zorn beruhigte sich.
Heute noch fröstelt es mich und ich zittere, wenn ich bedenke, dass eigentlich die Worte der Thora so tief in alle Seelen der Menschen eindringen müssten, auf dass sie es werden, die unsere Handlungen leiten, so wie bei Vater. Aber das ist noch ein sehr langer Weg.
Vater sagte: “Alles wandert.”
Lajos
Nach dieser Sintflut vertrank mancher Bauer das Geld der Versicherungsämter in der Schenke und die erhitzten Gemüter meinten, der Brand sei von den Juden heraufbeschworen worden. Anderen lief der Schweiß vom Gesicht, während sie Haus und Ställe neu deckten. Mutter wusch, stopfte und besserte Wäsche aus für die Bauern. Ich durfte dann am Abend frische Milch holen. Auf diesen Wegen umschwebten mich Versuchungen! Die Bauersfrauen schienen sich einen Spaß daraus zu machen, mir Speck und Schinken anzubieten. Doch ich blieb stoisch! Einer ihrer Verführungssprüche war: “Was zum Munde hineingeht, ist keine Sünde, nur was aus ihm herauskommt.” An die Vielzahl der ungarischen Flüche denkend, schien mir dieser Spruch wichtig zu sein. Nach guter Überlegung meinte ich aber, man müsse auf beide Richtungen aufpassen.
So ordnete sich langsam wieder das Leben, bis uns ein Brief von Lajos erreichte. Wer war Lajos? Wir hatten nie von Lajos gehört. Dieser Lajos schrieb: “Ich heirate, kommt bitte alle zu meiner Hochzeit!”
Wir Kinder setzten uns am Abend um Mutter herum. Sie erzählte: “Als wir aus Russland flohen und viele Nächte zu Fuß durch Wald und Feld eilten, um nicht in die Hände der Kosaken zu geraten, da fanden wir in einer Nacht am Ufer des großen Dnjepr einen kleinen Kahn. Wir mussten das Wasser herausschöpfen, damit er mich tragen konnte. ‘Du bist mein teuerstes Gut’, sagte Vater, setzte mich in den Kahn und schwamm selbst nebenher. Als wir ans andere Ufer kletterten, stand noch der Mond am Himmel. Er zeigte uns einen kleinen Weg zwischen großen, großen Kornfeldern. Dort, bei Sonnenaufgang, schickte uns der Allmächtige, mitten in den Feldern, euer erstes Brüderchen. Wir haben es in Vaters weißes Hemd eingewickelt und an unseren Herzen gewärmt. Er aber sagte uns: ‘Habt mich lieb! Vergesst mich nicht, ich werde wiederkommen, wenn ihr ein warmes Bett habt!’ Und so war es.
Nach vielen Wochen des Wanderns kamen wir nach Ungarn. Dort gründete Vater in einem kleinen Dorf eine neue jüdische Gemeinde. Wir fanden ein zerfallenes Haus, das wir aufbauten, und die Gemeinde schenkte uns zwei Federbetten zum Winter. Und da kam Lajos wieder zu uns auf die Welt. Lajos war ein sehr stiller, lieber Junge, der Vater niemals beim Studium störte. Denn damals begann Vater sein Kabbala-Studium. Er schob unsere Betten für neun lange Jahre auseinander. Lajos wuchs heran, er war ganz mein Junge und erst als er elf Jahre alt war, bekam er sein erstes Schwesterchen, das war Karoline. Dann kam bald unsere Frieda und zuletzt Davidel. Vater wurde bald von größeren Gemeinden gebeten, dort Rabbiner zu sein. Aber er wollte nur in Dörfern bleiben, um viel Freizeit für sein Studium zu behalten. David wurde in Nagisimonyi geboren; wir waren nun eine große Familie geworden und wir waren sehr arm. Für Lajos kam die Zeit seiner Bar-Mitzwa (Volljährigkeit) und Vater beschloss, ihn mit seinen dreizehn Jahren in eine Talmudschule zu schicken, um dort Rabbiner zu werden. Zuerst bekamen wir oft Briefe und dann immer seltener und seltener. Nun ist mein Lajos ein großer Mann geworden und heiratet. Vater hat beschlossen: wir gehen alle zu seiner Hochzeit!” Mutter strahlte.
Der stolze Wagen des Bürgermeisters brachte uns zur Bahn.
Es kam der unvergessliche Moment, als wir beiden Brüder uns betrachteten. Lajos war fast so groß wie Vater, trug einen kleinen Bart. Die Augen strahlten nicht wie die Vaters, sie waren traurig und sein Rücken leicht gebeugt. Seine Erscheinung erfüllte mich nicht mit Bewunderung, wohl aber seine Braut, die ich sehr schön fand. Ich sagte:
“Du hast aber gut ausgesucht, Lajos!” Worauf er still lächelte. Als ich aber fragte: “Hast du auch schon mit fünf Jahren die Mischna mit Vater studiert so wie ich?”, gab er keine Antwort und schaute in die Ferne. Vater befahl mir zu schweigen. Lajos war es nicht vergönnt gewesen, neben Vater zu studieren; es war damals die Zeit, als Vater sich gänzlich in die Kabbala vertieft hatte.
Die Vermählung war ganz orthodox. Wir Kinder spielten derweil im Hof, natürlich auch Hochzeit. Man bestimmte mich zum Bräutigam und die kleine Nichte der Braut war meine Auserwählte. Als die Großen dann zu uns hinüberkamen, belustigt zuschauend, da donnerte Vaters Stimme: “David, schämst du dich nicht, mit kleinen Mädchen solche Spiele zu spielen?”
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