Arno Alexander
Nord-Nordwest mit halber Kraft
Roman
Saga
Nord-Nordwest mit halber Kraft
© 1936 Arno Alexander
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711625996
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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„Das geht leider nicht“, sagte Kapitän Grady ruhig, mit freundlicher Bestimmtheit, wie ein Mensch, der es gewöhnt ist, dass die Passagiere mit den sonderbarsten Anliegen zu ihm kommen. „Ich habe auf dieser Fahrt sechsundzwanzig Passagiere. Die meisten von ihnen wünschen ein wenig Ablenkung, etwas Musik ...“
„Aber das ist doch nicht mehr zum Anhören!“ rief der ältere wohlbeleibte Mann, der in seinem hellen karierten Anzug und mit den blitzenden Steinen an den Fingern einen sehr zahlungsfähigen Eindruck machte. „Die Dame, die in meiner Begleitung reist, leidet an Kopfschmerzen ... Die ewige Radiomusik macht sie einfach verrückt ... Und mich auch ... Im Rauchzimmer steht doch ein Klavier ... Lassen Sie jemand Klavier spielen, wenn Ihre sechsundzwanzig Fahrgäste unbedingt Musik haben müssen ...“
Der Kapitän stand mit dem Rücken gegen die Reling gelehnt und stopfte seine Pfeife. Es war nur die Andeutung eines Lächelns auf seinen Lippen, und der kleine graue Schnurrbart verbarg auch dieses kaum merkbare Verziehen der Lippen.
„Es muss ein merkwürdiger Kopfschmerz sein, an dem die Dame leidet, die in Ihrer Begleitung reist, Mr. Prochorow“, meinte er ruhig. „Klavierspielen verträgt sie, Radioübertragung nicht ...“ Er hatte sich halb umgewandt und sah über das Wasser zu den in der Ferne entschwindenden Türmen der Stadt Alexandria. Plötzlich wandte er sich dem Mann im karierten Anzug zu: „Wenn ich Sie recht verstehe, möchten Sie verhindern, dass uns durch Rundfunk eine bestimmte Nachricht erreicht?“
Prochorow schüttelte heftig den Kopf.
„Was ich verhindern will, habe ich Ihnen schon gesagt. Aber ... Machen wir es kurz und schmerzlos: Zwanzig Pfund, wenn Sie das Radio abstellen. Einverstanden?“
„Nein.“ Der Kapitän brannte sich, das Streichholz vorsichtig mit der Hand schützend, seine Pfeife an und sah dabei mit listigen, neugierigen Augen den aufgeregten Fahrgast an.
„Dreissig?“
„Nein.“
„Fünfzig? Es ist mein letztes Angebot.“
„Ein schönes Angebot, aber ich lehne es ab. Übrigens möchte ich Ihnen einen Rat geben — kostenlos. Es war ein merkwürdiges Gespräch, das wir beide da eben führten ... Ja, und ... Nun, unsere Reise hat vor zwanzig Minuten begonnen. Es dauert ziemlich lange, bis wir nach Bremen kommen. Wenn Sie solche merkwürdige Gespräche auch fernerhin führen, kommen Sie nie nach Bremen.“
„Aber erlauben Sie mal ...!“
Mit einem kleinen Ruck stiess sich der Kapitän von der Reling ab. Jetzt stand er nicht mehr in nachlässiger Haltung vor Prochorow, sondern militärisch gerade.
„Der Dampfer ‚Cardigan‘, auf dem Sie sich befinden, hat zwar auf dieser Reise eine sehr farbige Mannschaft — viel zu viel Malaien —, aber dieser Dampfer ist dennoch britisches Gebiet“, sagte der Kapitän. Dann griff er flüchtig an den Mützenrand und stapfte davon — sehr ruhig, sehr selbstbewusst und sichtlich mit sich zufrieden.
Mit zusammengekniffenen Augen starrte Prochorow dem Kapitän nach und blickte erst auf, als Ignatjew, sein Sekretär, seinen Arm berührte. Es war ein blasser, dürrer Mann, dessen Gesicht keine Schlüsse auf sein Alter zuliess: er konnte fünfundzwanzig Jahre alt sein oder auch vierzig.
„Nun?“ fragte Ignatjew. Seine Haltung war unterwürfig, doch der forschende Blick verriet, dass er seinem Herrn mehr war als nur Sekretär.
„Er will nicht“, antwortete Prochorow böse. „Dann eben nicht. Es ist ja sehr fraglich, ob die Deutschen durch den Rundfunk ...“
„Sie tun es bestimmt“, warf der Sekretär leise ein. „Wir hätten einen anderen Dampfer nehmen sollen ...“
Prochorow stampfte zornig mit dem Fuss auf.
„Schweigen Sie! Als ob ich das nicht selbst wüsste! Alle Steine waren doch schon an Bord, als wir das Telegramm bekamen ...“
Ignatjew schien immer noch nicht von der Richtigkeit der Handlungsweise seines Herrn überzeugt.
„Lieber ohne Steine nach Frankreich oder sonstwohin fahren als mit Steinen nach Deutschland ...“
„Nach Deutschland?“ Prochorow umspannte jetzt mit beiden Händen das eiserne Geländer, und sein Griff war so fest, dass die Finger eine weisse Färbung annahmen. „Wer sagt denn, dass wir nach Deutschland fahren?“
„Wir fahren Kurs Bremen ...“
„Ach?“ Jetzt lächelte Prochorow. Dieses Lächeln war erstaunt und höhnisch zugleich. „Und Sie meinen, ich hätte mich also auf einen Kahn gesetzt, der unmittelbar nach Bremen geht? Sie müssen mich für sehr dumm halten.“
„Aber der Kahn — wie Sie sagen — geht doch nach Bremen!“
„Stimmt: er geht! Aber er kommt nicht dort an. Wenigstens nicht mit uns. Wenn nämlich der Dampfer nicht vorher irgendwo anlegt, so dass wir aussteigen können, dann ...“ Er unterbrach sich und sah sich vorsichtig um.
„Was dann? Wir sind allein und völlig hilflos ...“
„Wir sind nicht allein, lieber Ignatjew. Wir haben einen Koffer mit Juwelen. Das ist ebenso gut oder besser als ein Koffer mit Sprengstoff. Ein paar von diesen Steinchen unter die Leute geworfen, und alle mühsam errichtete menschliche Ordnung ist zum Teufel ... Aber zur Sache: Depeschieren Sie an Pearson in London, ich würde in etwa vierzehn Tagen dort sein. Nach Paris müssen wir auch Nachricht geben ... Kommen Sie in den Rauchsalon — ich diktiere Ihnen die Telegramme ...“
*
Lautes Stimmengewirr, nur hin und wieder übertönt von einer leisen, durch Rundfunk übertragenen Tanzmusik, empfing die beiden im Rauchzimmer. Fast alle Tische waren besetzt, und viele Fahrgäste standen an den breiten Fenstern, um noch einen letzten Blick auf das entschwindende Ägypten zu werfen. Prochorow nickte einer elegant gekleideten blonden Frau zu, die etwas abseits von den übrigen am Fenster lehnte; dann setzte er sich mit seinem Sekretär in eine Ecke und zog ein dickes, abgegriffenes Notizbuch aus der Tasche. Ohne sich durch den Lärm und die Gespräche stören zu lassen, begann er mit dem Ansagen der Telegramme.
„Mein Mann ist wie ein Kind!“ rief plötzlich eine dicke, etwa vierzigjährige Dame. Sie rief es in schlechtem Englisch, aber als sie sah, dass dieses Englisch fast niemand verstanden hatte, wiederholte sie den Satz in fliessendem Deutsch. „Wenn er irgendwo einen Vogel sieht, den er noch nicht kennt, ist er ganz aus dem Häuschen ... Er ist Orni — tho — loge ...“ Sie stolperte über die Silben des Wortes. „Im Norden Eritreas hat er einen unbekannten Vogel entdeckt ... Leider können wir ihm nicht unseren Namen geben, denn wir heissen Kaufmann ...“
„Warum soll ein Vogel nicht Kaufmann heissen?“ fragte Mr. Scott, ein hagerer Engländer, und rührte emsig in seiner Kaffeetasse. Es war ihm nicht anzumerken, ob er sich über Frau Professor Kaufmann lustig machte.
„Aber ich bitte Sie, Mr. Scott ...“
„Sehr gutes Name für Vogel“, liess sich der Schiffsarzt, Dr. Pembroke, vernehmen. Er hatte Deutsch im Selbstunterricht gelernt und war besonders auf seine Aussprache stolz.
Eine schwarzhaarige junge Dame, sehr hübsch und sehr gut gekleidet, beugte sich zu ihm vor. Es war Maud Kassala, die Tochter eines hohen ägyptischen Beamten, von dem man behauptete, er hätte in der Politik ein Wort mitzureden.
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