Wenn Sie im 2. Dienstjahr sind, haben sie die Grundausbildung bereits hinter sich gebracht und freuen sich darauf, Ihr erlerntes theoretisches Wissen endlich in der polizeilichen Praxis anwenden zu dürfen. Das wird auch der Fall sein. Jedoch werden Sie auch in diesem Ausbildungsabschnitt sehr viele Stunden Einsatzrecht haben, mit dem Schwerpunkt Ausländerrecht.
Neben dem Bundespolizeigesetz (BPolG), dem Strafgesetzbuch (StGB) und der Strafprozessordnung (StPO) werden für Sie nun, insbesondere im Bereich des Ausländerrechts, folgende Rechtsvorschriften wichtig (linke Spalte in der nachfolgenden Tabelle). In den beiden rechten Spalten der Tabelle sehen Sie die Zugehörigkeit der Rechtsvorschriften zum Unionsrecht/Völkerrecht bzw. zum nationalen Rechtskreis:
Rechtsvorschrift |
Gehört zum Unionsrecht bzw. Völkerrecht |
Gehört zum nationalen Recht |
Aufenthaltsgesetz(AufenthG) |
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X |
Aufenthaltsverordnung(AufenthV) |
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X |
EU-Visa-Verordnung(EUVisaVO) |
X |
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Schengener Grenzkodex(SGK) |
X |
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Schengener Durchführungsübereinkommen(SDÜ) |
X |
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Visakodex(VK) |
X |
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Freizügigkeitsgesetz/EUFreizügG/EU |
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X |
Beschäftigungsverordnung(BeschV) |
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X |
Asylgesetz(AsylG) |
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X |
Zudem werden Sie im 2. Dienstjahr mit weiteren Spezialgesetzen wie
• dem Waffengesetz (WaffG),
• Versammlungsgesetz (VersG) und
• Betäubungsmittelgesetz (BtmG) konfrontiert.
In den folgenden Kapiteln werden wir versuchen, Ihnen mit einfachen Worten und zielgerichteten Übersichten den Themenbereich Ausländerrecht in den Grundzügen näherzubringen. Die Zielrichtungdieses Buches ist ausdrücklich nicht, jede denkbare Ausnahme und jedes Detail darzustellen und zu problematisieren. Es geht vielmehr darum, dass Sie die Grundlagendes Ausländerrechts erlernen. Die Vertiefung muss und wird dann später in der polizeilichen Praxis (nach Ihrer Ausbildung) erfolgen.
Wir freuen uns über jede Anregung und jede Kritik, die uns mit diesem Buch voranbringt. Richten Sie diese bitte an einsatzrecht@web.de.
Die Schwierigkeit für Bücher im Bereich des Ausländerrechts ist es, stets auf dem aktuellen Stand zu sein. Die Regelungen sind, insbesondere durch die EU-Institutionen, einem ständigen Wandel unterworfen. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen die aktuelle Rechtslage berücksichtigt.
Bamberg, im Januar 2021
Die Verfasser |
Astrid Rabenstein Patrick Lerm |
1. Entwicklung des Ausländerrechts
Haben Sie sich gefragt, warum Sie so viele Gesetze für das Ausländerrecht benötigen?
Wir leben in der Europäischen Union (EU) und haben einen gemeinsamen Lebensraum, der sich aus vielen Einzelstaaten zusammensetzt. Dieses Lehrbuch soll nicht (wie bereits in der Einführung angedeutet) dazu dienen, Ihnen eine detaillierte Abhandlung über die Entwicklung der Europäischen Union zu liefern. Aber um die oben genannte Frage zu klären, müssen wir hier (zumindest) ein paar Sätze darüber schreiben.
Das heutige Europa, wie Sie es kennen, besteht aus 27 EU-Staaten. Das war nicht immer so. Ganz am Anfang waren es nur sechs Staaten, die sich zur Stabilisierung des Friedens vertraglich darüber geeinigt haben, eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zu gründen. Im Laufe der Zeit wurden diese Verträge immer wieder erweitert und immer mehr Staaten haben sich dazu entschlossen, diesen Gemeinschaften beizutreten und die Verträge zu unterschreiben. Es wurden die Europäische Atomgemeinschaft (EAG) und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet. Jede Gemeinschaft musste einzeln rechtlich geregelt werden, sodass die Mitgliedsstaaten sich entschieden haben, alle Verträge zusammenzuführen. Daraus ist die Europäische Gemeinschaft (EG) entstanden.
Es wurden Organe für die Legislative, Judikative und Exekutive geschaffen, da gewisse Bereiche der Politik zur Regelung an die EG abgegeben wurden. Auch der Bereich des Ausländerrechts wurde in Teilen zur einheitlichen Regelung abgegeben. So entstand das Schengener Durchführungsübereinkommen ( SDÜ).
Das SDÜ enthielt Regelungen zum Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Binnengrenzen sowie Regelungen für Drittstaatsangehörige für eine zeitliche Beschränkung ihres Aufenthalts im Schengen-Raum.
Dieses Durchführungsübereinkommen wurde jedoch nicht von allen EU-Staaten akzeptiert.
Heute befinden sich insgesamt 26 Staatenim sogenannten Schengen-Raum. Hiervon sind zeitgleich 22 Staaten EU-Staaten. Die anderen Staaten sind Island, Norwegen und Liechtenstein, die (nur) EWR-Staaten sind, sowie die Schweiz, die EFTA-Staat ist und ein Freizügigkeitsabkommen mit der EU hat.
Folgende Staaten haben (noch) einen Sonderstatus: Die EU-Staaten Zypern, Bulgarien, Rumänien und Kroatiensind sogenannte Schengen-Teilanwenderstaaten. Das Vereinigte Königreich und Irland sind dem SDÜ nie beigetreten.
Im Laufe der Entwicklung der EU und des Schengen-Raumes wurden Teilregelungen aus dem SDÜ herausgenommen und detaillierte Vorschriften erarbeitet.
Daraus entstanden sind:
Somit kennen Sie nun bereits vier Vorschriften (die in der Grafik dargestellten und das SDÜ), die eine entscheidende Rollefür die ausländerrechtliche Sachverhaltsbearbeitung spielen.
Diese Vorschriften regeln in erster Linie Einreise und Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen, die einen Kurzaufenthaltim Schengen-Raum planen oder sich bereits aufhalten. Was ein Kurzaufenthalt genau ist, wird in den nachfolgenden Kapiteln erklärt. Da es aber auch Drittstaatsangehörige gibt, die einen langfristigen Aufenthalt anstreben, benötigen Sie auch nationale Regelungen. Diese finden Sie u. a. im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und der Aufenthaltsverordnung (AufenthV).
Die wichtigsten nationalen Rechtsvorschriften:
Das europäische Ausländerrecht und dadurch auch das nationale Ausländerrecht unterliegen einem ständigen Wandel, deshalb wird es für Sie zukünftig sehr wichtig sein, Ihre Gesetzestexte immer auf den neuesten Stand zu bringen.
Bevor wir jedoch auf die einzelnen Rechtsnormen und den Regelungsgehalt eingehen, ist es notwendig, die wichtigsten Begriffe im Ausländerrecht kennenzulernen. Denn seien Sie ehrlich, auch wir haben Sie jetzt ganz schnell viele Begrifflichkeiten lesen lassen, mit welchen Sie noch wenig in Verbindung bringen können.
Zunächst soll es um die Schengen-Staaten gehen.
Folgende Staaten sind sog. Schengen-Vollanwenderstaaten 1:
• Belgien
• Dänemark
• Deutschland
• Estland
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