Zu den vorgestellten Beispielen
Im Folgenden werden noch einige Projekte vorgestellt, die auf die o. a. Anforderungen reagieren und diese besonders innovativ umsetzen.
Es ist hervorzuheben, dass die Auswahl für diese Darstellung äußerst eng ist und sich auf die Eingangshalle, also ein Einzelmerkmal, bezieht. Einige weitere Schulbauten - bereits dokumentiert oder auch weitgehend unbeachtet 63- lassen eine sorgfältige Auseinandersetzung mit pädagogischen Zielsetzungen erkennen. Diese Lücke im Sinne einer Gesamtdarstellung des bayerischen, pädagogischen Schulbaus ab etwa der Jahrtausendwende zu schließen, 64ist bislang noch ein Desiderat.
In welchen Bereichen lassen sich raumoffene Lösungen realisieren?
In der Makroebene gibt es hier hauptsächlich zwei wesentliche Themen: die Schule als Stadtteil- bzw. Bürgerhaus/-zentrum sowie ihre Verbindung mit außerschulischen Lernorten.
Beide Definitionen erweitern das Spektrum der Schule als Ort der Bildung, zum Aufbau von Kompetenzen und als soziale Begegnungsstätte erheblich. Die Schule und ihre externen Verbindungen – allein die Augsburger Westpark(grund)schule etwa unterhält etwa 30 Kooperationen mit Partnern aus den Fachgebieten Umwelt, Sport, Kunst; die Stadtbibliothek betreibt in ihren Räumen eine auch für Nutzer aus dem Stadtteil nutzbare Lesestation – bietet Transferpunkte zu Lernorten wie Museen, Werkstätten, Theater- und Kulturstätten, aber auch zu Kirchen, Betrieben, sozialen Einrichtungen und Hochschulen/Universitäten. 65Stadtteilzentren bieten Elemente der Kinder- und Jugendarbeit, der Förderung von Schülern oder integrierte Angebote an. Im Stadtteilzentrum Milbertshofen bei München etwa gibt es kreative und lernorientierte Freizeitgestaltungen, im Bürgerhaus Pfersee (Augsburg) werden, neben Ferienangeboten für Schüler, Kinder von Geflüchteten unterrichtet. Während solche Projekte in Skandinavien seit Jahren große Beachtung erfahren, sind sie in Bayern bislang Gegenstand der Arbeit von privaten Vereinen und weniger Teil der Schullandschaft. 66
Die Gestaltung der Freiflächen der Schuleist ein ebenso vielseitiger wie kreativer Bereich, der besonders mit der Anlage von begehbaren Flächen, dem Pausenhof oder Sportstätten besetzt werden kann. Von bedeutender pädagogischer Qualität kann die Einbeziehung von Schulgärten und naturnahen Schulumfeldernwerden, denn neben Kompetenzen im freiräumlichen Lernen, in Bewegung und Sport ist der respektvolle Umgang mit der Natur und der Übernahme von Verantwortung – etwa mit der Pflege von Pflanzen und Beeten oder der Übernahme einer Patenschaft für Nisthilfen oder Bienenstöcke - eine Aufgabe der nachhaltigen Entwicklung und damit zugleich eines der obersten Bildungsziele des Freistaats. 67Einige Schulen entwickelten bereits beachtliche Kreativität in der Umsetzung und werden darin gefördert. 68
Die wichtigste an die Architektur der Schule gebundene Plattform für raumoffene Lösungen sind dann vorwiegend die Klassenzimmer, sowohl in ihrer Variabilität, d. h. Erweiterungsfähigkeit durch Zusammenlegung von Räumen und Zonen (etwa Verkehrsflächen), der Nutzung von Ergänzungs- und Förderflächen, als auch in der konzeptionellen Anlage innerhalb des Schulgrundrisses. Die verschiedenen Möglichkeiten – neben Lernlandschaften also die Cluster, Lerninseln, Lernhäuser, als die zentralste, wertigste und effizienteste Ressource sind nicht Teil der vorliegenden Darstellung. 69
Anwendungsoffen und vielseitig zeigen sich außerdem Lernateliers und Lernwerkstätten: Hier werden anregende Lernumgebungen mit ausgewählten Unterrichtsmaterialien und Medien zur Verfügung gestellt, um vor allem Aufgaben aus den Bereichen Sprachen, Mathematik oder Technik zu lösen. Pädagogische Absicht ist der eigenverantwortlich gesteuerte Lernprozess. 70In der Lernwerkstatt an der Sperberschule (GS/MS) in Nürnberg zum Beispiel werden Schüler über die gesamte Dauer ihrer Schulzeit von einer solchen Werkstatt begleitet. Für deren Ausstattung sorgt ein Förderverein.
Die Schulbibliothekist das geeignete Lernumfeld zum Erwerb eines werteorientierten und verantwortungsvollen Umgangs mit gedruckten und digitalisierten Medien. Neben pädagogischen (Angebot) und organisatorischen (Öffnungszeiten) Erwägungen sind die räumliche Platzierung innerhalb des Schulbaus, raumoffene Lösungen und die Qualität der Rückzugsorte wesentlich für deren Erfolg. Als vielversprechend zeigen sich Kooperationen zu externen Bildungspartnern, wenn etwa, wie in der Mittelschule Marktredwitz, die Stadtbibliothek eine Zweigstelle im Schulgebäude unterstützt: ein klassisches Joint Venture. 71
Die Qualität einer ggf. mit selbständiger Küche bzw. Austeilküche kombinierten Mensa, grundlegend für den Schulbetrieb über die Mittagszeit hinaus, wird künftig noch mehr Bedeutung haben als früher. Offene Lösungen können, etwa in Kombination mit der Aula oder einem von Schülern betriebenen Café, ein reizvolles Zentrum innerhalb des Schulbaukörpers sein – sie sind jedoch auch raumakustisch zu bewältigen. Ein multifunktionaler Raum bietet einige Möglichkeiten – etwa in der Nachmittagsbetreuung, bei Veranstaltungen oder, beim gemeinsamen Essen/ggf. der wertbewussten Zubereitung von Speisen – als Lernort sozialen Handelns, salopper: als Ort zum Wohlfühlen. 72
Aula, Foyer, Atrium: die zentrale Eingangshalle als raumoffenes Zentrum
Eine freundlich wirkende, von Tageslicht erfüllte, mit hohem Anspruch an die Qualität von Licht, Luft, Akustik, von Materialen und besonders auch von räumlicher Organisation entwickelte Eingangshalle nimmt innerhalb des Schulgebäudes eine Schlüsselrolle ein, die durch ihre Position innerhalb der gesamten Anlage noch verstärkt wird. Ihre Funktionalität als Entrée, als Aufenthaltsraum für verregnete Pausen oder als Wartehalle, u. U. auch als Rückzugs- Spiel- und Lernraum erhält so erheblichen Mehrwert durch die angemessene Qualität und Größe des Raumes, die Veranstaltungen der Schulfamilie aus den Themenkreisen der Darstellenden Kunst wie Theater- oder Musikaufführungen begünstigen. Mit Konzerten, Lesungen, Ausstellungen oder Vorträgen kann die Schule so in Beziehung zu den Bürger*innen, den Institutionen oder Partnern vor Ort treten – und so ein Forum erhalten, in dem sich ein von der Schule angestrebten kooperatives Profil darstellen lässt. Für die Schüler ist die Aula aber auch ein wichtiges soziales Zentrum, das zuletzt häufiger mit dem Begriff »Marktplatz« umschrieben wurde. Zu den (ausgewählten) Beispielen:
Die besonders großzügige Halle ist der Trumpf in der Planung der Erweiterung zum Gymnasium Kirchheim bei München ( Heinle & Wischer, Berlin), das derzeit als Großprojekt für bis zu 1.350 Schüler und 120 Lehrkräfte errichtet wird. An das Foyer schließen sich nicht nur die Aula und eine Cafeteria an, sondern auch Bereiche für Kunst und Musik. Es bietet auch direkten Zugang zum Freiraum. Mittels einer Überdachung kann man trockenen Fußes zur Vierfach-Sporthalle gelangen. Die ohnehin schon überaus offen und einladend wirkende Halle erweitert sich zudem stark in die Vertikale. Dort wird der Blick über alle fünf Stockwerke – jedes mit transparent wirkender und konvex in die Lichte des Innenraums vorschwingender Brüstung und über große Öffnungen in der Dachzone belichtet – nach oben gezogen (vgl. Abb. 1).
Abb.1: Gymnasium Kirchheim: Heinle & Wischer, Berlin
In der nur für knapp halb so viele (600) Schüler geplanten Gersthofener Anna-Pröll-Mittelschule (Behnisch Architekten, München) 73 erfüllt die zentrale Halle ebenfalls ihre raumorganisatorische Funktion als Verbindungselement aller vier Ebenen. Freitragende Treppenläufe und der unregelmäßige Zuschnitt der Brüstungen lassen auch hier vielfache, unterschiedliche Perspektiven entstehen. Das löst eine abwechslungsreiche, als positiv wahrnehmbare Spannung aus, die Aula wirkt also bauseits der Monotonie des Alltags entgegen. Erlebnisoffen und abwechslungsreich, wie die Sitzstufen im Zentrum des Foyers – so kann diese Schularchitektur verstanden werden. Offenheit projiziert sich in Architektur, aber auch in der Kunst. So passt es gut ins Konzept, dass die Stadt Gersthofen nach dem Bezug (2018) noch einen beschränkten Wettbewerb für die künstlerische Gestaltung der Außenflächen ausgelobt hat (vgl. Abb. 2). 74
Читать дальше