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Während meines Studiums hatte ich jede Menge Dates. Sehr viele gutaussehende Frauen gab es dort. Irische, italienische, polnische, deutsche, angelsächsische und jüdische Mädels. Wilde Zeiten mit wilden Dates. Tolle und frustrierende Flirts. Wir lebten in den Fünfzigern, und da wollten sich die Mädchen noch für ihre Ehemänner aufsparen. Damit machten sie dich vor Geilheit verrückt. Im Auto wurde geschmust. Umarmungen, ein bißchen Grabbelei und Zungenküsse, der Geschmack von Lippenstift und Speichel, zwei Körper erhitzten sich, bis die Autoscheiben beschlugen. Ich hatte eine Riesenlatte, und sie mußte feucht wie ein Regenwald sein, wir waren „ready as anybody can be“, bereit, endlich alle Glocken bimmeln zu lassen … und dann: „Nein, nein, nein. So weit wollen wir nicht gehen, Ray.“
Ich konnte es nicht fassen. Sie konnte doch jetzt nicht aufhören!
„Wir müssen es einfach tun, Barbara“, bettelte ich. „Ich kann nicht mehr länger warten.“
„Nein, Ray. Ich will mich aufsparen.“
„Wofür denn?“
„Ich weiß nicht. Es ist einfach nicht richtig.“ Jetzt kam sie mir mit Religion.
„Doch, es ist richtig … es ist schön“, lockte ich. „Wir sollten uns lieben … jetzt. Hier.“ Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, bitte zu sagen.
„Ich kann nicht, Ray. Es ist Sünde.“ Diese blöden katholischen Mädchen.
„Es ist keine Sünde, das verspreche ich dir.“
„Das kannst du nicht versprechen … das kann nur Gott.“
Meine Hand lag auf ihrem Busen. Er fühlte sich voll und hart und jung an. Mir kam der Dampf fast aus den Ohren. Sie ist wunderschön … dachte ich. Ich begehrte sie. Ich wollte diese Frau.
„Barbara, das ist alles Sünde. Alles, was wir heute abend gemacht haben.“ Ich versuchte es mit Logik. „Warum vollenden wir es jetzt nicht auch?“
„Ich will das nicht, Ray. Ich will nicht … ich will nicht.“
Ich zog sie an mich und küßte sie mitten auf den Mund. Ihre Zunge schoß der meinigen wie eine Schlange entgegen. Ich drückte mich gegen sie, ihr Bein berührte meinen Schwanz. Der kleine Ray pochte wie verrückt, er war schon völlig außer sich. Ich hatte keine Kontrolle mehr über ihn. Er beherrschte mich. Er wollte explodieren. Ich begann, gegen ihr Bein zu reiben. Ich konnte nicht mehr, ich hielt es nicht länger aus. Ich mußte jetzt kommen! Also – wamm! Ich ejakulierte in meine Hosen. Was für eine Erleichterung. Ekstatische Schauer durchliefen mich. Ich preßte mich gegen sie. War das warm. Ein gutes Gefühl. Aber jetzt ist es in meinen Hosen, nicht mehr in meinem Körper. Iiihh, wie eklig!
Ich sah auf die Uhr, während sich das warme Sperma in meinen Shorts verteilte. „Ich glaube, wir müssen gehen, Barb. Ich will nicht, daß deine Eltern auf mich sauer sind.“
„Oh Ray, bitte jetzt noch nicht.“ Sie war genauso heiß und wollte ihr Östrogen-High noch nicht aufgeben. Ich wollte das auch nicht. Aber das warme Sperma würde schnell abkühlen und anfangen zu kleben … na ja, und ich war halt auch fertig. Sie wollte mich ohnehin nicht an ihre Zuckerbüchse lassen.
„Nein, Barb, ich glaube, wir müssen wirklich los.“ Ich startete den Wagen, und es ging zurück. Raus aus dem Marquette Park. Zu ihr nach Hause. Ich gab ihr einen Gutenachtkuß. Zur Tür bringen konnte ich sie nicht, weil ich einen riesigen kalten Spermafleck auf der Hose hatte. Wie peinlich.
„Bis morgen in der Vorlesung, Ray.“ Und schon war es vorbei. Das, liebe Freunde, war Sex in den Fünfzigern. Ein Krampf.
Bis ich meine erste große Liebe traf. Wir begegneten uns in meinem zweiten Studienjahr. Sie war wunderschön. Sie trug schwarze einteilige Bodys. Sie war blond, und sie war hip. Einer meiner Freunde meinte, „Na, Ray, hast du dir ein Beatnik-Mädel geangelt?“ Wir bumsten gleich miteinander. Auf meinem eigenen Bett in meinem Zimmer. Ich hatte sie mit nach Hause gebracht – meine Familie war unterwegs –, wir zogen uns aus, und ich drang zum erstenmal in meinem Leben in eine Frau ein. Ja! Es war genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich kam mächtig in ein Kondom, und wir fühlten uns sicher und satt. Danach erkundete ich ihren Körper. Die Lust hatte nachgelassen, und nun war Zeit für Poesie. Auf diese Weise – nackt und auf einer Frau – war die Liebe in den späten Jugendjahren beinahe göttlich perfekt. Das weiche Fleisch einer Frau, biegsam und voll elastischer Festigkeit, die Samtigkeit, die dir den Kopf verdrehte … also … ich war verliebt. Es war das tollste Gefühl auf Erden. Es war das höchste Ziel, der Sinn und Zweck des Fleisches. Mein Gott, sonst hätte ich genausogut aus Holz sein können.
Wir waren drei Jahre zusammen. Dann ging ich nach Kalifornien und sie nach Europa.
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Für meine sexuelle Bildung war also gesorgt. Das war schließlich auch gar nicht so schwierig. Für meine künstlerische Bildung hatte ich jedoch noch einen weiten, weiten Weg zurückzulegen.
I’m sittin’ here wondering
if a match box’ll hold my clothes.
I ain’t got no matches but I sure
got a long way to go.
– Carl Perkins
Meine nächste Erleuchtung hatte ich dann in der Orchestra Hall, dank Fritz Reiner und der Chicago Symphony. Jeden Mittwoch nachmittag ging ich zur Matinee-Vorstellung; Studentenkarten kosteten zwei Dollar. Es war ganz gleich, was gespielt wurde – schließlich war es Fritz Reiner, und da mußte es gut werden. Man bekam natürlich die schlechtesten Plätze im ganzen Saal, aber was machte das schon? Es war die Orchestra Hall, und es kostete nur zwei Dollar.
Ich zahlte meinen Obulus und kletterte die Treppen bis ganz nach oben. Vor mir öffnete sich ein wundervoller Saal, als ich die Tür von Rang sechs aufstieß. Ich suchte mir einen Platz, mein Kopf stieß fast an die Decke, aber das war schon in Ordnung. Schließlich war es eine verzierte, barocke Decke, geschnitzt und bemalt, die einen tollen Anblick bot. Es war wie die erste Abwärtsstrecke einer Achterbahnfahrt. Es ging steil nach unten. Wenn das eine Jahrmarktsattraktion gewesen wäre, hätte sie die aufregendste Fahrt von allen geboten, denn es ging fast geradewegs nach unten. Ich bekam ein bißchen Höhenangst. Aber da hörte man schon das Orchester, das sich einstimmte. Die Akustik war phantastisch. Im Durcheinander der Instrumente lagen so viele Möglichkeiten. Der Klang der Leere, aus dem schließlich etwas Wohlgeordnetes entstehen würde.
An jenem Tag hatte ich nicht einmal ein Programm gekauft. Ich wollte bloß dasitzen und die Welle über mich hinwegspülen lassen, wollte fühlen, wie die Töne des Orchesters heranschwollen, gegen die Decke prallten und von der Decke über den obersten Balkon strömten, über meinen Kopf und meine Schultern, bis sie hinter mir eintauchten. Ich saß immer in der letzten Reihe, so daß ich die Wand im Rücken hatte, während die Musik durch den Saal wirbelte, bis sie meinen Kopf erreichte, unter meinen Füßen hindurchtauchte und schließlich wieder vom Balkon herabtroff. Es war eine sehr sinnliche Erfahrung; die beste, um klassische Musik zu genießen.
Fritz Reiner kam auf die Bühne. Plötzlich verstummte alles. Und dann begann die Musik. Weich und sanft, eine Welle nach der anderen. Jede Woge brachte einen neuen Höhepunkt. Es hatte etwas Ozeanisches an sich, es war wie das Meer. Wie gesagt, es war, als ob Wasser über mich hinwegströmte. Es zog mich nach unten, ich ertrank in weichen, modernistischen Klängen. Es war so wunderbar, und ich hatte keine Ahnung, was es war. Aber es ging weiter und weiter; ich wollte nicht, daß es je wieder aufhörte. Es erinnerte so sehr an das Meer, daß es mich bis in die Mitte des Atlantik transportierte. Ich war umgeben von Wasser. Und ich dachte, was ist das für Musik? Wer ist dieser geniale Komponist? Wer ist dieser Mann?
Schließlich war es zu Ende, aber der Bann wirkte noch nach. Sofort stürzte ich zum Platzanweiser und holte mir ein Programm; ich blätterte eilig bis zur Seite dieser Vorstellung, und da stand es … Claude Debussy, „La Mer“. Es war das erste Mal, daß ich Debussy-Musik live gehört hatte, und zum erstenmal „La Mer“. Ich wurde zum Fanatiker – zum Debussy-Fanatiker. Später fand ich ihn in Bill Evans’ Musik wieder. Mein Lieblingspianist spielte Debussy in Jazz! Phantastisch. Diese Weichheit. Der französische Romantizismus des frühen 20. Jahrhunderts, diese schlichte Schönheit … im Jazz? Tja … das mußte ich auch ausprobieren! Ich verbrachte viel Zeit damit, diesen inneren Ausdruck, diese Toncluster hinzubekommen. Vielleicht werde ich es eines Tages auch richtig gut können. „Üben, üben, üben.“
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