Der 23-Jährige plauderte mit ihm über seinen Erstlingsroman »Sternenkämpfer«, der 1958 unter dem Namen William Ch. Voltz in der Reihe der Wieba-Leihbücher erschienen war, die der in Wuppertal-Barmen ansässige Wiesemann Verlag herausbrachte. Sein Buch hatte einen besonderen Stellenwert gehabt, denn es handelte sich um eine »Sonderausgabe der Buchgemeinschaft Transgalaxis«, genauer gesagt um den »1. Band für die Mitglieder«. Die Veröffentlichung war auf Betreiben des Gründers der Buchgemeinschaft Transgalaxis (TG), Heinrich Bingenheimer, erfolgt, der wie K. H. Scheer und Winfried Scholz Mitglied im Science Fiction-Club »Stellaris« war. Bereits 1957 hatte Bingenheimer eine SF-Anthologie herausgebracht, die auch zahlreiche Kurzgeschichten von William Chr. Voltz enthielt. Sie hatten den jungen Mann, der seitdem bei Bingenheimers Literarischer Agentur unter Vertrag war, deutlich aus der Fanszene jener Zeit hervortreten lassen.
Vielleicht hatten Scheer und Voltz sich bei ihrem Gespräch auch erinnert, dass dieses Leihbuch am 20. November 1959 als UTOPIA-Roman 200 unter dem Titel »Sternenkämpfer und Raumpiraten« seinen einzigen Heftnachdruck erlebt hatte – und das auch noch im Moewig-Konkurrenzverlag Pabel und mit dem einzigen Cover, das Johnny Bruck zu dieser Reihe jemals beitragen sollte. Oder wie ihr Club-Kamerad Heinrich Bingenheimer seinen Kunden den Erstlingsroman angekündigt hatte, nämlich dass der Autor ihnen von seinen beliebten Kurzgeschichten im Nachrichtenblatt von Transgalaxis her bekannt war und dass es sich um einen echten Leckerbissen handelte: »Das Manuskript lag einem größeren Kritikerkreis vor und der Prominenteste aus diesem Kreis, K. H. Scheer, faßte sein Urteil mit den Worten ›Das ist ein ausgezeichneter Roman‹ zusammen.«
Dem Leihbuch selbst hatte damals bei Erscheinen ein Blatt beigelegen, auf dem Bingenheimer die Entstehungsgeschichte der Sonderausgabe umriss: »Der Anfang! In diesen Tagen konnte TG die Vorarbeiten zur langerwarteten ersten Mitgliederausgabe zum Abschluß bringen. Da die Mitgliederzahl TG’s einerseits erst mit rund 1.200 zu Buche steht, andererseits aber auch die täglichen Anfragen und Wünsche der Mitglieder Beachtung finden müssen, habe ich mich schon jetzt zu dieser Publikation entschlossen und mit dem Verlag zwecks Rentabilität der Auflage, und um einen günstigen Mitglieder-Preis zu ermöglichen, vereinbart, daß eine weitere kommerzielle Auflage von 300 Exemplaren gedruckt werden kann, die im Leihbuchhandel vertrieben wird. Die Gesamtauflage beträgt 1.500 Exemplare und somit wird dieses Buch im Handel nicht zu haben sein. Die Mitgliederausgabe erscheint in Sonderausstattung, Ganzleinenband mit Prägung, Widmungsvorsatz, gutes Papier und vierfarbigem Titel-Schutzumschlag.«
Und auf dem Buch selbst machte auch der Klappentext einiges her: »Wenn die Buchgemeinschaft Transgalaxis – Deutschlands führender Utopia-Spezial-Versand – gerade dieses Werk ihren Mitgliedern widmet, ist dies ein Werturteil par excellence. Aus vielen Manuskripten ausgewählt, besticht dieser Roman in seiner großartigen Spannung, in seinen Ideen und mit seiner flüssigen Sprache.« Und man verhehlte den Lesern auch nicht, worum es ging: »Die Geschichte beschreibt eine Zukunft, die trotz aller phantastischen Ereignisse immer real bleibt. Es ist die Geschichte Wade Quentin’s, des Beauftragten der Sternenkämpfer-Liga, erzählt von dem positronischen Gehirn seines Robotgefährten SHAW mit der Seriennummer TNA 347–56. Die Truppe der Sternenkämpfer wurde aufgestellt, als im Jahre 2495 die vereinigten Sternkolonien den Krieg gegen den Mutterplaneten Terra begannen. Es war ein einsamer und fast aussichtsloser Kampf, den dieses Team begann – ein Kampf gegen Menschen und Dinge – gegen Zeit und Wissen einer fernen Epoche.«
Bingenheimer, der diesen Text verfasst hatte, überschlug sich darin fast vor Begeisterung. »Welche Macht besitzt der extraterrestische Telepath des Planeten BOSTIK und auf wessen Seite steht er? Wer ist der eigentliche Feind am Rande der Milchstraße – sind es die Raumflotten der Rebellen oder die Söldner der Sternenreiche? Der Friede eines Universums steht auf dem Spiel und Wade Quentin hat nichts als den Willen, ihn zu erhalten. SHAW, der Robot, ist mehr als eine Kampfmaschine – er ist humanoid und … das müssen Sie selbst lesen – es ist einmalig erzählt! Gehen Sie mit Quentin und SHAW diesen Weg ins phantastische Abenteuer. Versuchen Sie die Lektüre vor dem Schluß einzustellen – es wird Ihnen unmöglich sein! Sternenkämpfer – eine großartige Space Opera über Raum und Zeit!«
Die Begeisterung seines ersten Mäzens, die zur Veröffentlichung des Erstlings geführt hatte, wird Willi Voltz bei jenem schicksalhaften Treffen in Friedrichsdorf sicher durch den Kopf gegangen sein – und auch, dass der Roman bei den Lesern keineswegs gut angekommen war. Im Gegenteil! Bei der regelmäßigen Umfrage des Science Fiction Club Deutschland war er sogar zum schlechtesten Roman des Jahres 1958 »gekürt« worden.
Bestimmt wird ihm auch bekannt gewesen sein, dass es das Wieba-Label nur drei Jahre lang gegeben hatte. Nur vierzehn Bücher waren bis 1959 herausgekommen – neben seinem Erstling »Sternenkämpfer« noch drei weitere Erstlinge deutscher SF-Autoren, die witzigerweise sämtlich den Vornamen Jürgen trugen, allen voran der damals achtzehnjährige Jürgen Grasmück, der als Jay Grams veröffentlichte. Andere erstveröffentlichende »Jürgen« waren der damals ebenfalls achtzehnjährige Jürgen vom Scheidt mit »Männer in Raum und Zeit« gewesen und Jürgen Duensing, damals schon satte neunzehn, mit »Die Flucht aus dem All«. Er schrieb seine wenigen SF-Werke unter dem Namen J. C. Dwynn, und nur bis 1966. Die drei »Jürgen« hatten gemeinsam neun Titel des Wieba-Labels bestritten!
Aber noch konnte Willi Voltz aus Offenbach nicht ahnen, als Scheer dieses Gespräch mit ihm führte, dass Jürgen Grasmück aus dem Nachbarort Hanau später als J. A. Garrett für die Konkurrenzserie REX CORDA tätig sein und als Dan Shocker in Deutschland das Genre des Grusel-Krimis erfinden sollte. Oder dass Jürgen Duensing aus dem nahen Aschaffenburg schließlich in allen möglichen Genres vom Western bis zum Fürstenroman an die tausend Heftromane verfassen sollte, während er nebenbei noch ein Antiquariat führte.
Und doch war es ein schicksalhaftes Treffen in Friedrichsdorf, denn K. H. Scheer schlug dem jungen Mann namens Willi Voltz die Mitarbeit an PERRY RHODAN vor, einer neuen SF-Serie, für die dringend Autoren gesucht wurde, und als dieser das Heinrich Bingenheimer mitteilte, reagierte der Literaturagent hocherfreut, zerriss vor den Augen des jungen Mannes den Vertrag und wünschte ihm alles Gute auf seinem neuen Lebensweg.
In ihren persönlichen Erinnerungen schreibt Inge Mahn, die Witwe des angehenden neuen Starautors, mehr als vierzig Jahre später: »Willi machte sich an die Arbeit. Er las alle bisher erschienenen PERRY RHODAN-Romane und die Exposés, um dann den Roman zu schreiben, der später als Nr. 74 erscheinen sollte. Bis dahin war es jedoch noch ein weiter Weg. Die erste Fassung brachte Willi zu K. H. Scheer, der nach Überprüfung des Manuskripts einige Änderungen und Korrekturen vornahm. Willi schrieb alles noch einmal. Daraufhin wurde das Manuskript an Günter M. Schelwokat gesandt. Dass ein junger Neu-Autor nicht ungeschoren an der Kritik des großen SF-Meisters vorbeikam, war jedem klar. Willi hörte sich die Kritik an, akzeptierte die Änderungsvorschläge, die nicht unbedingt freundlich vorgebracht wurden, und machte sich erneut an die Arbeit.«
Inge Mahn weiß auch zu berichten, dass das Thema dieses Romans erst bei dem Treffen in Friedrichsdorf besprochen wurde. Die Handlung blieb bewusst in sich abgeschlossen. Falls der Roman nicht den Anforderungen entsprechen und der Verlag das Manuskript ablehnen sollte, durfte sich das nicht nachteilig auf die ganze Serie auswirken.
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