Vor der Kulisse dieser umstürzlerischen Atmosphäre im Rock-und-Pop-Business begann Prince mit der Arbeit an seinem dritten Album. Er war wieder einmal umgezogen und bewohnte jetzt ein gemietetes Haus, das im pittoresken Lake Minnetonka, einem Stadtteil von Minneapolis, lag und zu dem ein Sechzehnspurstudio gehörte, das er benutzen konnte. Hier nahm er die Rohfassungen der Songs auf, die er später in einem professionellen Studio weiterbearbeiten wollte. Sein neues Arbeitsumfeld war sehr anfällig für technische Pannen – das Heimstudio war eine recht zusammengestückelte Sache, und die Schlagzeugkabine stand häufig unter Wasser, das von einer stillgelegten Klärgrube in der Nähe des Hauses durch die Wand sickerte, aber dennoch blühte Prince hier richtig auf. Er fühlte sich in Minneapolis einfach viel wohler, wo ihm die Warner-Bosse nicht ständig über die Schulter blickten. Die meiste Zeit war außer ihm nur noch Don Batts im Studio, ein umgänglicher Toningenieur.
Das neue Material, das nun entstand, machte ziemlich schnell deutlich, dass Prince musikalisch offenbar eine völlige Kehrtwende vollziehen wollte. Er schrieb die Songs nun hauptsächlich auf der Gitarre, nicht mehr auf dem Klavier, und er schuf auf diese Weise Titel, die wesentlich rauer klangen als seine ersten zwei Alben. Sein Sound zeigte nun erste Spuren von New-Wave-Elementen. Zum ersten Mal schuf Prince eine echte Synthese aus verschiedenen Stilrichtungen, statt lediglich die Dynamik und den Bombast der Rockmusik zu imitieren. Auch hatte er inzwischen ein besseres Händchen für Strukturen und Popmelodien entwickelt – er schuf nicht nur Grooves, sondern formte Songs.
Zu den zahlreichen Titeln, die er nun aufnahm, zählte auch „When You Were Mine“, ein kraftvoller Popsong mit ansteckender Melodie, den er in einem Hotelzimmer auf Tournee komponiert hatte. Ähnlich wie bei Lennons besten Liebesliedern (beispielsweise „Norwegian Wood“ und „You’ve Got To Hide Your Love Away“) hatte auch dieser Text einen zornigen und sarkastischen Touch. Prince erzählte davon, wie er eine Freundin verlor, weil er zuließ, dass sie mit anderen Männern schlief.
Ein weiterer neuer Titel, das von New Wave beeinflusste „Dirty Mind“, entwickelte sich aus einem Keyboardriff, das Matt Fink bei einer Probe komponiert hatte. Prince fügte bei einer langen Session in dem Haus in Lake Minnetonka eine Überleitung hinzu, und gegen Mitternacht hatten sie die gesamte Instrumentierung fertig. Prince sagte Fink daraufhin, er könne nun Feierabend machen, und der Keyboarder ging schlafen. Bei der Probe am nächsten Tag brachte Prince eine Cassette mit „Dirty Mind“ mit, komplett mit Gesang und anderen Overdubs – er hatte die ganze Nacht daran gearbeitet. Prince verkündete der Band, es würde der Titelsong des neuen Albums werden.
Der Text von „Dirty Mind“, der von Sex im Auto erzählt, zeigte einen neuen Trend in seiner Arbeit: Seine Bildsprache wurde immer drastischer. Zwar hatten Sex und Verführung in seiner Musik schon seit „Soft And Wet“ eine große Rolle gespielt, aber jetzt wurden diese Themen sehr explizit und teilweise sogar sensationsheischend behandelt. Das harte, rockige „Sister“ beispielsweise setzte sich mit dem Tabuthema Inzest auseinander, und die dynamische Funk-Nummer „Head“ erzählte von einer Braut, die auf dem Weg zu ihrer Hochzeit mit einem anderen Mann Oralsex hat. Diese Texte, die seine Faszination für abseitigen Sex zeigten, gaben der Musik einen neuen Energiestoß.
Seine Kreativität konnte sich zudem nun so gut entfalten, weil er sich im Kreise seiner Bandmitglieder völlig geborgen fühlte. Zwar waren sie kaum in den Aufnahmeprozess eingebunden, aber er kam jeden Tag zu den Proben mit ihnen zusammen. Außerdem trieben er, Matt Fink und André Cymone in ihrer Freizeit gemeinsam Sport – sie stemmten Gewichte in den Fitnesscentern von Minneapolis, gingen beim YMCA schwimmen und fuhren auf Rollerskates am Ufer des Lake Minnetonka entlang. Gelegentlich schauten sie bei einer Rollschuhbahn in Saint Louis Park vorbei, erinnerte sich Fink, „um Mädchen kennen zu lernen“.
Bei derart lockeren Anlässen war Prince alles andere als der schüchterne Typ, als der er sich gegenüber Plattenfirmenbossen und bei Presseinterviews gebärdete. Er alberte gern herum und schlüpfte in verschiedene Rollen, die er erfunden hatte; seine liebste Figur war dabei ein rüpelhafter, unflätiger Typ, der Fink an den typischen Straßeneckenzuhälter erinnerte. „Als Prince in Nord-Minneapolis aufwuchs, liefen dort viele Zuhälter, Drogendealer und Unterweltgestalten herum, und daher kam diese Rolle“, meinte der Keyboarder. „Er fand die Vorstellung immer faszinierend, auf der anderen Seite des Gesetzes zu stehen.“ Aber das blieb tatsächlich nur eine Fantasie, und Prince gab sich nie mit den zwielichtigen Leuten ab, die er karikierte. Er tat sich vielmehr bewusst mit Leuten wie Fink, Rivkin und dem Gitarristen Dez Dickerson zusammen, die moralisch, ruhig und vielleicht sogar ein bisschen spießig waren.
Die komplizierteste Beziehung in der Band hatte Prince mit Cymone, seinem Zimmergenossen aus Teenagerzeiten. Der Bassist fühlte sich ebenso talentiert wie sein „Boss“ und kam nicht besonders gut damit zurecht, dass er neben einem engen Freund eine eher untergeordnete Rolle spielen musste. Als Fink ausgewählt wurde, um im Studio mitzuarbeiten (für „Dirty Mind“ und das wilde Keyboardsolo in „Head“), verstärkte das Cymones Eifersucht noch. „Sie hatten einmal ein Zimmer geteilt, und dann wurde Prince plötzlich dieser riesengroße Star“, meinte Owen Husney. „So etwas beeinflusst einen natürlich auf die eine oder andere Weise.“
Prince, dem zwar klar war, dass er in diesem speziellen Wettbewerb vorn lag, schien dessen ungeachtet zu befürchten, dass Cymone sich zu einem erfolgreichen Solokünstler mausern könnte. Da er mögliche Konkurrenten klein halten wollte, verhinderte er durch gezieltes Manipulieren tatsächlich, dass es für Cymone weiter vorwärts ging, sagte Charles Smith. Als Cymone beispielsweise überlegte, sich ein eigenes Studio einzurichten, um an seinen Songs zu arbeiten, erklärte Prince, das sei unnötig; Cymone könne seines benutzen, wann immer er wolle. Mit dieser scheinbar großzügigen Geste behielt Prince letztlich die organisatorische Kontrolle über die Musik des Bassisten. Einmal, berichtete Smith, suchte Cymone nach ein paar Demos und erfuhr dann von Prince, dass dieser „zufällig“ das fragliche Band gelöscht hatte.
Zwar waren die Bandmitglieder durchaus einverstanden mit der rocklastigen Richtung des neuen Materials, aber über die Texte herrschte weniger Einigkeit. Dickerson hatte Schwierigkeiten mit den kühnen sexuellen Anspielungen und machte sich Sorgen, welchen Eindruck diese Songs bei Konzerten machen würden. Für die Keyboarderin Gayle Chapman ging die Sache schließlich zu weit, als sie während der Prince-Tour dazu verpflichtet wurde, jeden Abend mit ihrem Bandchef auf der Bühne optisch umzusetzen, was im Text zu „Head“ passierte (der Titel wurde auf der Tour bereits gespielt, bevor Prince ihn im Sommer 1980 aufnahm). Kurz nach der Tour stieg Chapman aus.
Seine Manager, die erkannten, dass Prince sich stärker mit verschiedenen Geschlechterrollen beschäftigen wollte, sprachen daraufhin die neunzehnjährige Lisa Coleman an, eine Pianistin mit klassischer Ausbildung aus dem San Fernando Valley bei Los Angeles. Als Coleman und Prince sich in seinem Probenstudio in Minneapolis zum ersten Mal trafen, schienen beide gehemmt und sagten kaum etwas. Aber als Prince die Pianistin dann zum Klavier hinüberbegleitete, spielten sie sofort ohne Zögern gemeinsam. „Sie kommunizierten über die Musik“, sagt Howard Bloom. „Drei Stunden sprachen sie so miteinander und stellten fest, dass sie verwandte Seelen waren.“
Prince und Coleman kamen einander so schnell nahe, dass auch Sex in ihre Freundschaft hineinspielte und Prince dazu inspirierte, einen unveröffentlichten Song („Lisa“) zu schreiben, in dem er von einem „unanständigen“ Mädchen erzählte, mit dem er ins Kino ging. Doch den größten Einfluss übte Coleman durch ihr ausdrucksvolles Spiel aus, das dem Livesound von Prince eine ganz neue Dimension gab. „Da war irgendwas in Lisas Keyboardspiel – vor allem, wenn sie am Klavier saß –, das Prince sehr mochte und selbst schwer nachspielen konnte“, meinte Alan Leeds, der Anfang der Achtziger sein Tourmanager wurde. Langfristig wurde Coleman zu einer der wenigen Musikerinnen, die entscheidend auf sein Songwriting einwirkten.
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