Prince sah offenbar keinerlei Nutzen mehr in einem übergeordneten Produzenten. „Er hatte alles absorbiert, was er an wichtigen Informationen aus Tommy Vicaris Hirn ziehen konnte“, sagte Husney. „Prince wollte damals ganz deutlich, dass er verschwindet, und Tommy war sehr verletzt, weil er wirklich beschissen behandelt worden war.“
Auch André Anderson ließ sich häufig im Studio blicken und wollte gern an den Songs mitarbeiten. Prince freute sich zwar darüber, dass ihm sein alter Freund Gesellschaft leistete, die kreativen Beiträge des Bassisten waren jedoch nicht willkommen. „Er wurde übergangen, weil Prince das ganze Album allein aufnehmen wollte“, erinnerte sich Husney. Das Material, das bei den früheren Jamsessions, an denen Anderson mitgewirkt hatte, entstanden war, lässt jedoch durchaus den Schluss zu, dass der Bassist eine recht wichtige Rolle spielte. „Andrés Vibe ist auf dem ganzen Album spürbar“, behauptete Charles Smith. Aber wie auch immer sein Beitrag zur Frühphase der Aufnahmen ausgesehen haben mag: Anderson blieb in Sausalito zum Zusehen verdammt. Während Prince an den Aufnahmen arbeitete, erzählte der Bassist ungeduldig immer wieder davon, dass er in Kürze seine eigene Platte aufnehmen würde, wie Rivkin sich erinnerte. „Er sagte dauernd: ‚Ich mache mein eigenes Ding, ich kann es gar nicht erwarten.‘“
Nach monatelangen anstrengenden Sessions, die alle Beteiligten viel Kraft kosteten, zogen Prince und sein Team im Januar 1978 nach Hollywood um, wo sie dem Album in den Sound Labs Studios den letzten Schliff geben wollten. Das sorgsam konstruierte Debüt war beinahe fertig. Aber obwohl das Material zweifelsohne sehr geschliffen und professionell klang, waren die Fähigkeiten von Prince als Songwriter noch nicht ausgefeilt genug, um seine Vision einer großen Synthese aus Funk, Rock und Soul umsetzen zu können. Titel wie die wehmütige Ballade „Crazy You“ und die überladene Hard-Rock-Nummer „I’m Yours“ zeigten zwar seine große stilistische Bandbreite, brachten aber wenig interessante musikalische Ideen oder unwiderstehliche Riffs mit. Wie Rivkin und die anderen schon gefürchtet hatten, waren die Gesangsharmonien teilweise zu exakt konstruiert und klangen daher manchmal beinahe künstlich.
Als sich Prince und Vicari aus dem Sound Labs verabschiedeten, erklärten sie, das Album, das den Titel For You erhielt, sei komplett. Schnell wurde ein Cover erstellt, und Warner Bros. planten die Veröffentlichung für das Frühjahr des kommenden Jahres. Prince kehrte nach Minneapolis zurück, wo er sich allmählich wieder entspannte und mit Smith, Anderson und anderen seine freie Zeit genoss. „Ich war körperlich völlig erledigt, als die Platte fertig war“, erklärte er später der Zeitschrift Musician. Aber als er dann For You seinen Freunden vorab schon einmal vorspielte, war sein Stolz unübersehbar; Prince war der Auffassung, ein perfektes Produkt geschaffen zu haben. Husney erinnerte sich: „Ich glaube, zu dieser Zeit hatte man ihm schon so oft gesagt, wie fantastisch er sei, dass er davon ausging, die Platte würde sofort ein großer Erfolg werden.“
April 1978: For You wird veröffentlicht
Das Album wurde, wie Prince verlangt hatte, als die Produktion eines einzelnen Musikers präsentiert. Chris Moon wurde als Koautor bei „Soft And Wet“ angegeben und Tommy Vicari der Titel des übergeordneten Produzenten zuerkannt. Ansonsten hieß es in den Credits lediglich, das Album sei „von Prince produziert, komponiert, arrangiert und eingespielt“ worden. Das Coverfoto, dessen dunkle und gedämpfte Farben eine geheimnisvolle und romantische Atmosphäre erzeugen sollten, zeigte Prince mit ernster Miene und recht üppiger Afrofrisur. Zusammengenommen schien die Verpackung der Platte – wie der Großteil der Musik, die sie enthielt – direkt auf das R&B-Publikum abgestimmt zu sein. Trotz Rocksongs wie „I’m Yours“ unterschied sich For You im Gesamteindruck nicht wesentlich von den Alben anderer R&B-Musiker.
Wie erwartet stürzten sich die Medien auf den Aspekt, dass hier ein Wunderkind im Alleingang ein Album bei einem Majorlabel eingespielt hatte. Das war größtenteils Husney zu verdanken, dessen Pressematerial Prince als multitalentiertes junges Genie porträtierte. Aber auch die aufwändige Publicitykampagne konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nicht genügend überzeugendes Material auf diesem Album gab, und die Platte wurde in der Fachpresse nicht besonders häufig rezensiert. Kommerziell blieb For You hinter Princes Erwartungen zurück; es verkaufte sich nur einhundertfünfzigtausendmal in den USA und erreichte immerhin einen respektablen Platz 21 in den Billboard-Soul-Charts, in den Pop-Album-Charts kam es nur bis auf Platz 163. (In späteren Jahren stiegen die Verkaufszahlen bis auf weltweit beinahe eine Million, nachdem Prince mit anderen Werken erfolgreich geworden war.) Es überraschte daher wenig, dass er nicht weiter groß wahrgenommen wurde in einer Musikszene, die 1978 ganz im Zeichen der Soundtracks zweier Kinoschlager stand: von Saturday Night Fever (auf dem sich mehrere Nummer-1-Hits der Bee Gees befanden) und Grease (das mit Hits von Frankie Valli und den Duetten der Hauptdarsteller John Travolta und Olivia Newton-John punkten konnte).
Aber trotz seiner Enttäuschung kam das Album in bestimmten Städten dennoch ganz gut an. Owen Husney konzentrierte weiterhin seine ganze Energie auf die Promotion und organisierte eine kleine Tour mit Autogrammstunden, die in einigen Städten recht große Resonanz fanden. Dazu trug entscheidend bei, dass „Soft And Wet“ im Juni als Single erschienen war und es bis auf Platz 12 der Soul-Charts geschafft hatte. Zu einem Promotionauftritt in Charlotte erschienen dreitausend lautstarke Fans, deren wildes Verhalten Prince gleichermaßen begeisterte und befremdete. „Aus heiterem Himmel tauchten tausende schreiender Kids auf, die behaupteten, ihn zu lieben – das verstand er nicht“, meinte Pepé Willie. „Er sagte mir: ‚Wie können sie mich lieben? Die kennen mich doch gar nicht.‘ Er sagte, er fühlte sich wie ein Stück Fleisch, das von einem Ort zum anderen geschleppt wurde.“
Letztlich verkaufte sich For You so gut, wie man hätte erwarten können. Das Album ist ein interessantes popgeschichtliches Dokument, da es zu den ersten Platten auf einem großen Label gehört, die von einer einzigen Person komponiert und eingespielt wurde. Zwar hatten Musiker wie Paul McCartney oder Stevie Wonder das bereits ebenfalls getan, aber nicht in so jungen Jahren. Und durch sein faszinierendes Spiel auf verschiedenen Instrumenten und mit seinen komplizierten Gesangsharmonien erwies sich Prince als hervorragender Musiker. Was jedoch das Songmaterial betraf, hatte For You nur wenig zu bieten. „In Love“ und „Soft And Wet“ haben nette Hooklines, aber auf langen Strecken bleibt das Album flach. Die Songs schaffen es nicht, durchgängig Spannung aufzubauen, sondern bewegen sich willkürlich zwischen Strophen und Refrains hin und her. For You war jedenfalls kein überragendes Debüt, sondern zählt zu den eher weniger starken Platten aus dem Gesamtwerk von Prince.
Aber trotz der Schwächen, die das Album zeigte, und trotz des nur mäßigen Verkaufserfolgs waren Warner Bros. weiterhin entschlossen, seine Karriere stark zu fördern. Während die Musikindustrie in den Achtzigern, Neunzigern und auch heute noch darauf bedacht war und ist, Künstler zu finden, die über Nacht Hits produzierten, herrschte 1978 noch ein anderer Geist, vor allem bei Warner. Dort gab man talentierten Künstlern Zeit, sich zu entfalten, und Musiker wurden nicht gleich wieder abgestoßen, wenn sie nicht sofort Hits produzierten. Prince machte es zwar zu schaffen, dass er noch kein großer Star geworden war, aber er wusste, dass er noch eine weitere Chance bekommen würde.
Im Sommer 1978 zog Prince in ein neues Haus in der France Avenue 5215 in Edina, einem Vorort von Minneapolis, und wenig später begann er, auf einem Vierspurtonband neues Material zusammenzustellen. Etwa zur gleichen Zeit erzählten ihm Charles Smith und Pepé Willie von einer sechzehnjährigen Sängerin namens Sue Ann Carwell, die eine überraschend kraftvolle Stimme besaß und damit schon mehrere Talentshows in der Gegend von Minneapolis gewonnen hatte. Prince sah sich einen ihrer Auftritte an und fragte sie anschließend, ob sie Lust auf gemeinsame Aufnahmen hätte. Sie war gern dazu bereit und ließ sich bald öfter in der France Avenue sehen, wo Prince Songs für sie schrieb und ihren Gesang auf dem Vierspurband aufzeichnete. Zwar entwickelte sich nie eine Liebesbeziehung, aber Carwell verbrachte oft ganze Nächte in seinem Haus, während sie gemeinsam an Songs arbeiteten.
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