In der SF waren Emotionen ja bis Ende der 80er absolut verpönt. Sex fand, wenn überhaupt, irgendwo zwischen Seite 13 und 14 statt und wurde höchstens am Rande durch ein sachtes Berühren einer Hand am nächsten Tag offenbar. Liebe? Das ging denn doch zu weit. (Und geht ja manchen heute noch zu weit, die schon allein bei einem Wort wie »Zuneigung« sofort empört »Igitt! Cora-Roman!« reklamieren.)
PERRY RHODAN war, logischerweise, immer seiner Zeit verhaftet. Bewusst oder unbewusst ließen die Autoren ihre Gedanken und Erfahrungen mit einfließen, so dass man sich in gewissem Maße auch immer ein Bild über die allgemeine politische Lage machen konnte. Parallelen fanden sich durchaus. Das zeigte sich nicht nur in den Handlungen, sondern auch auf dem Cover, wo sich die elegante Lady im schicken gelben Kostüm (evtl. sogar mit Handschuhen) mit der Zeit zu einer bewaffneten und langmähnigen jungen Frau im engen Dress oder Minirock wandelte. So nach und nach wurden die Frauen auch nicht mehr bewusstlos auf Händen aus einer Gefahr getragen oder versteckten sich mit aufgerissenen Augen und aufgerissenem Mund hinter dem sie verteidigenden Helden.
Was das Frauenbild betraf, hinkte PERRY RHODAN in Text und Bild lange seiner eigenen Zukunft hinterher; so nimmt es nicht wunder, dass die Serie heute noch das Stigma der »Männerdomäne« aufweist. Was man über zwanzig Jahre lang gepflegt hat, ist nur schwer wieder loszuwerden. Bei mir führte es dazu, dass ich das Lesen wieder einstellte. Ich mochte die Serie, aber ich mochte sie nicht mehr lesen, sondern ich malte mir viel lieber aus, wie es wäre, wenn ich selbst mitschriebe.
Nicht dass ich jemals daran gedacht hätte, einen Text nach Rastatt zu schicken, ich schrieb auch nie Fanfiction. Die Mitarbeit traute ich mir zu dem Zeitpunkt, da gerade mein Debüt, aber im Genre Fantasy, ins Haus stand, nicht zu. Trotz meiner zu dem Zeitpunkt bereits sehr freundschaftlichen Verbindung zu Ernst Vlcek, wobei es da aber mehr um MYTHOR ging.
Aber in der Science Fiction und Fantasy kreuzen sich die Wege einfach immer wieder, dem kann man nicht entgehen. Man lernt Autorenkollegen kennen, man geht auf Cons und kommt ins Gespräch mit Fans … und ich selbst wurde allmählich auch erfahrener und sicherer. Einen PERRY RHODAN traute ich mir immer noch nicht zu, obwohl es schon so vorsichtige, sehr subtile Anfragen gab. Aber schreiben nach fremdem Exposé, im Korsett, im Zusammenspiel mit den anderen Autoren, die schon Jahrzehnte dabei waren? Das ist doch eine ganz andere Herausforderung.
Der ich mich dann eben 1991 doch stellte, als ich ganz konkret angesprochen wurde, weil einfach kein Weg an PERRY RHODAN vorbeiführte. Und ganz ehrlich – er war auch eine tolle Publikationschance zu einer Zeit, da deutschsprachige Autoren bei den Verlagen verpönt waren und kaum eigenständige Werke an den Lektor bringen konnten. Und an jener Serie mitzuwirken, die ich in der Jugend gelesen hatte, das wollte ich dann doch endlich einmal ausprobieren. Es war so weit!
So gehen wir also auf die eine oder andere Weise seit Anbeginn gemeinsam unseren Weg, PERRY RHODAN und ich, betrachten schmunzelnd unser Alter und sind gespannt auf das, was da noch kommen mag.
Das Projekt
Von Leo Lukas
Stellen wir uns einmal vor, 1961 hätten zwei Schriftsteller folgendes Projekt angekündigt: Sie würden einen fantastischen Kosmos erschaffen, der sich über unzählige Galaxien, mehrere Universen und Millionen von Jahren erstrecken werde, sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. Dutzende professionelle Autoren und Illustratoren sollten daran mitwirken, Hunderte und Aberhunderte von Kreativen aus verschiedensten Ländern der Erde weitere Beiträge liefern – Kurzgeschichten, Grafiken aller Art, Musik, Filme, Modellbau, Kostüme, Rätsel, Spiele, Veranstaltungen von Stammtischtreffen bis zu mehrtägigen Conventions, und nicht zuletzt massenhaft Sekundärliteratur. Überdies sollten Tausende und Abertausende Leser die Möglichkeit wahrnehmen, ihrerseits diesen Kosmos durch permanentes Feedback mitzugestalten, anfänglich via Leserbrief, später via elektronische Medien, weit über fünfzig Jahre lang.
Wer hätte diesen beiden Schriftstellern auch nur minimale Chancen zugestanden, einen solchen Traum zu verwirklichen?
Nicht einmal Karl-Herbert Scheer und Walter Ernsting (alias Clark Darlton) selbst wären damals so kühn gewesen, ihrer neuen Science Fiction-Serie ein derartiges Wachstum weit über den deutschen Sprachraum hinaus zu prophezeien. Natürlich glaubten sie an »Perry Rhodan« und hofften, mehr als die vom Verlag maximal geplanten fünfzig Heftromane schreiben zu können. Aber dass sich daraus die umfangreichste literarische Unternehmung der Menschheitsgeschichte entwickeln würde, hätten gewiss auch sie nicht für möglich gehalten.
Quantität ist nicht alles, klar. Das PERRY RHODAN-Projekt weist allerdings obendrein einige ganz spezielle Qualitäten auf. Die Serie proklamiert, trotz der vielen Widrigkeiten und Fieslinge, mit denen sich unsere Helden fast pausenlos herumschlagen müssen, positive Utopien – angefangen von der Einung der Menschheit durch den Aufbruch zu den Sternen über den tiefgreifenden, vor allem von William Voltz geprägten Humanismus, der sich im Begriff »Terraner« ausdrückt, bis zur wahrhaft intergalaktischen Überwindung jeglicher Fremdenfeindlichkeit. Die Person, der »Charakter« Perry Rhodan steht nicht für egozentrischen Superheldenkult, sondern für den steten, gemeinsamen Kampf um bessere Lebensbedingungen für alle.
(Dabei ist Perry, weil so »gut«, dass es manchmal fast weh tut, als Figur für uns Autoren oft schwierig zu handhaben. Aber irgendwie haben wir es noch immer einigermaßen hingekriegt …)
Mich ganz persönlich fasziniert an diesem Irrwitz, der mich mittlerweile einige Jahre meines Lebens, allerhand Nerven und mindestens eine Beziehung gekostet hat, dass das Projekt Rhodan eine Art Mannschaftssport ist, ein Teamspiel. Ungeachtet der wenig erquicklichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bin ich wie Kollege Michael Marcus Thurner leidenschaftlicher Fußballfan. Ein paar hübsche Analogien lassen sich da schon konstruieren. Wir sind aktuell elf Autoren, mit einer hervorragend besetzten Reservebank, dem besten Trainer der Welt und einem hochklassigen Amateurteam voller vielversprechender Talente. Unsere Fanclubs unterstützen uns gerade dadurch, dass sie uns ständig das Beste abverlangen. Wie bei jeder Spitzenmannschaft kommunizieren wir heftig (gelobt seien die elektronischen Medien!), und nicht selten entwickelt sich ein Spielzug anders als ursprünglich geplant.
Aber genau das ist das Geile daran!
Sosehr ich fluche, wenn ich wieder einmal einen Passball – soll heißen: ein Exposé – zu knapp zugespielt bekomme, so gern nehme ich die Vorgabe auf. Und versuche, im Rahmen meiner Möglichkeiten das Optimale daraus zu machen. Manchmal haue ich grauenhaft daneben, manchmal, eher selten, treffe ich mit dem Außenrist ins Kreuzeck. Dann kurz feiern lassen, locker auslaufen, und die Tortur fängt wieder von vorne an.
Um einen Buchtitel von Ror Wolf zu paraphrasieren: Der nächste Roman ist immer der schwerste.
Ich würde es niemals offiziell zugeben, aber unter uns: Ich hasse PERRY RHODAN. Jedes Mal wieder. Heulend und zähneknirschend, die Haare raufend und die Fäuste gen Himmel ringend, renne ich durch die Wohnung, sobald das Expo endlich eingetroffen ist. Diese Phase dauert im Schnitt ein bis drei Tage. Allmählich schält sich dann eine Idee heraus, ein Ansatz, wie ich die vorgeschlagene, eh nicht so blöde Geschichte zu meiner Geschichte machen könnte. Denn ohne Herzblut geht gar nichts. Wie es der grandiose Jazzmusiker Sun Ra formuliert hat: »I’m not talking about history. I’m talking about my story.«
Und wenn ich mich durchgequält habe, Kapitel um Kapitel, Seite um Seite, Anschlag für Anschlag, und schließlich das schönste, das tollste, das ultimate Wort hingetippt habe, nämlich »Ende« … Dann will ich sofort den nächsten RHODAN-Band anfangen.
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