Nico verstand nicht, was vor sich ging. Kaum waren die Geräusche verklungen, legte sich abermals Totenstille über das Areal. Träumte er etwa noch?
Ein lautes Knacken durchdrang die Stille.
Torstens Kopf ruckte zur Seite. Wie gelähmt und mit aufgerissenem Maul starrte Nico zum zuckenden Leib seines Vaters.
Wie aus dem Nichts machte die unbekannte Person eine wegwerfende Handbewegung – und Torsten flog durch die Luft, genau auf seinen zitternden Sohn zu. Vor diesem stoppte der leblose Körper. Nico konnte seinen Blick nicht abwenden. Das war sein Vater und er hatte Schmerzen. Gebannt schaute er in die gelben Augen. Kein Lebenslicht brannte mehr darin. Sie starrten tot und für ewig dunkel zu ihm auf.
»Das ist ein Scheißtraum. Ich will aufwachen«, schluchzte Nico und Tränen liefen ihm über die Wange.
»Aufwachen?«, fragte eine gehässige Stimme ganz nahe bei ihm. »Du wirst dir noch wünschen, dass das hier ein Traum ist.«
Entsetzt sah er auf und blickte direkt in die Kapuze des Fremden. Aber dort befand sich kein Hundegesicht. Das erschreckend hässliche Antlitz eines schaurigen Monsters schaute zu Nico herunter. Blank und ohne Fell, mit platt gedrückter Schnauze verzog er die fleischigen Lippen zu einem höhnischen Grinsen. Weiße Stummelzähne schauten zwischen den seltsam rosafarbenen Lefzen hervor. Seitlich aus dem Kopf ragten winzige Ohrmuscheln. Noch nie hatte Nico von so einem unheimlichen Wesen gehört oder eines in der Flimmerkiste gesehen.
»Ja, du gefällst mir. Wie alt bist du?«, erkundigte sich der Fremde zuckersüß.
»Ich … ich …«, stammelte Nico entsetzt.
Das Monster schüttelte unzufrieden den Kopf. »Wie konnte ich auch erwarten, von einem niederen Wesen eine klare Antwort zu erhalten? Dein Alter ist ohnehin egal. Lass dich mal ansehen.«
Plötzlich blitzte ein drei Fuß langer goldener Stab unter der schwarzen Robe hervor. Das Ding erinnerte Nico an eine Art Zauberstab. Die Oberfläche glänzte makellos und verjüngte sich leicht zur Spitze hin. Am anderen Ende sah er die Pfote des Monsters – felllos und ohne Krallen. Mit dem Stab drehte das Ungetüm seinen Kopf grob auf die Seite. Wut stieg in Nico auf und er bleckte die Zähne.
Das Monster nickte. »Das Gebiss scheint in Ordnung zu sein.« Erbost versuchte Nico, den Stab zu ergreifen, doch das Metall machte eine schnelle Bewegung abwärts und entkam so seiner Pfote. Bevor er auch nur einen weiteren Gedanken fassen konnte, spürte er, wie sein T-Shirt und seine Hose sich von ihm lösten. Erschrocken griff er nach dem Stoff, um diesen zurückzuhalten und blickte an sich herab. Mit offenem Maul sah er seiner Kleidung beim Fallen zu. Sie bestand nur noch aus etwa klauenlangen Stofffetzen, welche sanft wie Konfetti zu Boden schwebten. So schnell er konnte, verschränkte er die Arme vor seinem Intimbereich und drehte sich weg.
»Du bist ein perfektes Geschenk für meine kleine Schwester. Ja, dich werde ich mitnehmen«, überlegte das Monster laut.
»Bruder!«, rief Emily ängstlich hinter ihm und Nico wandte sich ihr zu.
»Du störst, Abschaum«, stieß der Fremde hervor.
»Lauf!«, schrie Nico, aber es war schon zu spät. Aus den Augenwinkeln sah er die Spitze des Goldstabes hervorschnellen. Sie zeigte direkt auf Emily. Plötzlich tauchten seltsame leuchtende Symbole auf der Oberfläche des Metalls auf. Ein Zischen erklang. Dieses Geräusch erinnerte Nico an die Entspannung der Antriebskette unter der Rennbahn.
Vor dem Stab erschien ein bläulicher, spitzer Kristall. Kürzer als einen Wimpernschlag schwebte dieser in der Luft, dann schoss er davon. Ein grauenhaftes Gurgeln erklang und Nico blickte erschrocken zu seiner Schwester. Das Geschoss steckte in ihrer Brust. Aus ihrer Kehle sickerte gurgelnd Blut hervor. Ihre Augen waren weit aufgerissen und zuckten haltlos. Urplötzlich erlosch auch deren Glanz und Emilys lebloser Körper sackte zu Boden. Nebel verschluckte sie in Bruchteilen von Sekunden.
Zitternd sackte Nico zusammen und seine Tränen waren wie Flüsse. Das durfte nicht wahr sein! Seine Schwester und sein Vater konnten doch nicht tot sein …
Ein seltsames Gefühl überkam Nico. Er fühlte sich wie in Watte eingepackt und sein denken wurde träge. Dann plötzlich durchfuhr ihn ein brennender Schmerz in seinem Kopf. Seine Sicht verschwamm und die Welt wurde schwarz.
Nico
Sklavendasein
Stimmen drangen in sein Bewusstsein. »… gefangen. Kümmere dich darum, dass es erzogen wird. Ich werde es in drei Monaten abholen und erwarte einen perfekten Sklaven. Es soll alle Hausarbeiten erledigen können und als Bettspielzeug erzogen werden. Wenn ich deine Arbeit als angemessen empfinde, wirst du deine Belohnung erhalten.«
Nico kannte diese Stimme, sie gehörte dem Monster, dem Mörder seines Rudels. Der Mann sprach so gelangweilt und hochnäsig wie einer der Reinrassigen. Er schien es gewohnt zu sein, immer das zu bekommen, was er wollte.
Eine zweite männliche Stimme antwortete in ehrfürchtigem und demütigem Ton: »Mein Herr Magier …« Bei diesen Worten erschauderte Nico. Das Monster war tatsächlich ein Magier. Magie existierte also wirklich und war nicht nur etwas aus Filmen und Büchern. In seinem Kopf drehte sich alles, dennoch spitzte er die Ohren und lauschte angestrengt.
»… ich fühle mich geehrt, für Euch einen Sklaven einzuarbeiten. Bescheiden bitte ich um eine Erweiterung der Schutzrunen meines Hauses. Ich plane zu expandieren und bräuchte somit stärkere Sicherheitsmaßnahmen, wenn Euer Würden verstehen.«
»Ja, ich verstehe, Ursay. Diese Wesen sind bestimmt nicht sehr kooperativ. Jedenfalls am Anfang.« Ein gehässiges Lachen erklang und ließ Nico das Nackenfell zu Berge stehen. »Deine Sklaven, so sagen die Leute, sollen mit Abstand die Besten sein. Daher erwarte ich nicht weniger als Perfektion!« Die Schärfe und Kälte in der Stimme des Monsters jagten Nico einen Schauer über den Rücken. Der Magier musste nicht mal eine Drohung aussprechen, um sein Gegenüber einzuschüchtern.
Langsam versuchte Nico sich zu bewegen. Etwas hinderte ihn daran und er öffnete einen Spaltbreit die Augen. Halb sitzend, halb auf dem Rücken liegend hatte man ihn mit gespreizten Beinen auf einen eigenartigen Stuhl gefesselt. Seine Gelenke waren mit Metallringen fixiert worden. Auch um seinen Hals spürte er die Kälte von Metall. Mehrere Lederriemen spannten sich über seinen Körper und schränkten seine Bewegungen zusätzlich ein. Zudem war er vollkommen nackt.
Panik kroch in ihm hoch. Er riss und zerrte an seinen Fesseln. Erfolglos. Da bemerkte er die zwei Gestalten vor sich. Die eine war der Magier in seiner schweren schwarzen Kutte. Mit dem Rücken zu Nico stand eine weitere Person – das musste Ursay sein. Der Sklavenhändler war fülliger als der andere und trug eine blaue Robe. Der Stoff sah sehr fein und teuer aus. Mehr konnte Nico in diesem Moment nicht erkennen. Ein Wimmern entrann seiner Kehle. Bei diesem Geräusch warf der Magier ihm einen verächtlichen Blick zu und grinste süffisant, als sich ihre Augen trafen. »Drei Monate!«
Ergeben verbeugte sich der Händler und der Magier hob seinen Zauberstab. Ein Ring aus Runen erschien um ihn. Einen Wimpernschlag später war der Magier verschwunden.
»Drei!«, stieß Ursay aus und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. » Drei Monate? Und dann auch noch ausgerechnet Logan, Magier des 10. Grades. Da darf ich mir keine Fehler erlauben.« Ursay drehte sich mit einem Seufzen um.
Panisch schrie Nico auf und kämpfte verzweifelt gegen seine Fesseln an. Dieser Mann war ebenfalls eines dieser Monster. Ohne Fell und mit einem aufgedunsenen, platten rosa Gesicht.
Ursays Mine verzog sich ungehalten und er befahl unwirsch: »Halt dein Maul, Sklave!« Nico dachte gar nicht daran, sich zu beruhigen und schrie noch lauter.
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